Celsissimus
By Arthur Achleitner

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VIII.

Von Hohen-Salzburg donnerten die großen “Stücke” und ihr mächtig Krachen brachte die ganze Bischofstadt auf die Beine. Die Bürger eilten durch die engen Gassen zum Domplatz, von dessen Freiung man freien Blick zur Veste hinauf hat, und guckten sich die Augen wund. Eine große Erregung lief durch das städtische Volk, die Frage nach der Bedeutung des Geschützspieles setzte die Zungen in Bewegung. Schlauere Leute hatten den Weg zum Keutschachhof genommen und bestürmten Trabanten und Thürsteher mit Fragen, worauf ein mächtig langer Spießträger stolz verkündete, daß Seiner Hochfürstlichen Gnaden ein Sohn geboren worden sei, das erste Kind!

Fassungslos im ersten Augenblick stand der Menschenwall im Hofe der Residenz; doch rasch fanden die Leute die Sprache wieder, um das unglaubliche Ereignis zu discutieren, hitzig und mit Aufgebot aller Lungenkraft.

Wirr genug schwirrten die Ausdrücke höchster Überraschung durcheinander, und je nach der Gesinnung der einzelnen Bürger ward Stellung zu dem aufregenden Ereignis genommen. Da gröhlte ein dicker Bäcker wild, daß ein Erzbischof überhaupt nicht verheiratet, also auch nicht Vater sein könne, und die “Stücke” seien nicht dazu auf der Veste, um ein Kind anzudonnern.

Eine Gruppe von Maurern, die im Brot des Fürsten standen und mit Korn bedacht worden, lärmte und verteidigte den Gebieter, der ein guter Herr sei und das Recht habe, so viel Kinder zu bekommen wie ein Schullehrer. Und Angehörige der Sippen und Zünfte nörgelten an dem Verhältnis Wolf Dietrichs zur schönen Salome, schimpften weidlich über offenkundige Cölibatsverletzung und prophezeiten Unheil, wasmaßen der Papst derlei Lebenswandel nicht dulden könne, dürfe und werde. Immer hitziger wurden die Ausdrücke des Unwillens, die Leute verstiegen sich schließlich zur Behauptung, daß solches Stückspiel eine Schande für das Erzstift, der Bastard das Pulver nicht wert sei, das ohnehin wieder der Bürgersmann zahlen müsse. Den Trabanten ward das Geschimpfe aber mählich zu arg, sie jagten die Leute mit den Helebarden hinweg und räumten den Hof. Lärmend zogen die erregten Gruppen weiter, die Kunde von der Geburt eines fürstlichen Sprößlings verbreitete sich schnell wie der Sturmwind durch die Stadt, überall Zwiespalt der Meinungen hervorrufend, schärfste Kritik provozierend.

All’ der Unmut über das Verhältnis des Fürsten mit Salome, ihr Weilen und Residieren bei Hof brach mit elementarer Gewalt los, und wer es wagte, den Erzbischof zu verteidigen, mußte sich grimmigen Schimpf an den Kopf werfen lassen, sodaß die Reihen der dem Fürsten Gutgesinnten sich schnell lichteten, zumal die Menge jene Verteidiger Wolf Dietrichs schlankweg ketzerischer Gesinnung zeihte und sie verkappte Lutheraner nannte, wie nach der Volksmeinung auch der Fürst selbst verdächtig schien, zum mindesten ein halber Protestant zu sein. Am übelsten kam in solchen wilden Erörterungen die schöne Salome weg, die als Ausbund aller Lasterhaftigkeit hingestellt ward. Dagegen remonstrierten nun doch Angehörige der Patrizierkreise, die eben nicht vergessen hatten, daß Salome Alt aus altangesehenem Geschlecht stammt und trotzalledem ihren Kreisen beizuzählen ist. Schließlich verdichtete sich all’ der Meinungsstreit zur Kardinalfrage, ob der Fürst-Erzbischof mit Salome verheiratet sei oder nicht, und hierüber wußte niemand bestimmte Auskunft zu geben. In besseren Kreisen stritt man sich darüber, daß eine Gewissensehe vorliege, daß Wolf Dietrich sich eine compromessa cattolica zurecht gestutzt, eine eigene Theologie gebildet habe, wie das unter Kaiser Maximilian II. nicht eben selten war. Diese Auffassung fand lebhafte Unterstützung in geistlichen Kreisen, soweit solche noch nicht vom Arm des Gebieters getroffen worden waren.

Gefragt ist niemand worden, niemand war Zeuge einer kirchlichen Trauung des Fürsten mit Salome, niemand weiß Bestimmtes. Kein Wunder, daß den Gerüchten und Verleumdungen Thür und Thor geöffnet waren.

So hoch die Wogen der Erregung im Volk gingen, um so stiller ging es zu in den Gemächern der Wöchnerin, wo auf Befehl des überglücklichen Gebieters in peinlichster Weise Ruhe gehalten werden mußte. Wolf Dietrich, der Typus echter Ritterlichkeit, bekundete für eine Coeurdame eine zärtliche Fürsorge, die sich bis in die kleinsten Bedürfnisse erstreckte. Der Fürst ging auf im Gedanken, für das Weib zu sorgen, das ihm einen Sprossen, noch dazu einen allerliebsten Knaben, geschenkt.

So kam Wolf Dietrich auf den Zehen geschritten ins Gemach Salomes, um jegliches Geräusch zu vermeiden, sein ängstlich besorgter Blick galt der ihm so teuren Frau, die mild lächelnd, bleich und schwach zu Bette lag, und dem Gebieter einen Gruß aus den sanften Augen zusandte.

Der Fürst trat an das Bett, küßte die schmale Rechte Salomes und flüsterte in bewegten Worten seinen heißen Dank für diese herzerfreuende Gabe, die ihn glücklich mache, so glücklich, daß es für solche Seligkeit keinen Ausdruck gäbe.

Ein Schimmer milder Wonne verklärte Salomes Züge, ihre Lippen flüsterten: “Gefällt der Kleine meinem gnädigen Herrn?”

Wolf Dietrich wollte zur Wiege schreiten, da bat Salome flehentlich, das Knäblein ja nicht auszuheben, es sei so leicht ein Beinchen weg. Da lachte der Fürst herzlich auf: “So gebrechlich wird ein Raittenau nicht sein!”

Ein glücklich Lächeln flog auf die Lippen der Wöchnerin, Salome sprach bewegt: “So trägt der Kleine den Namen des Vaters?!”

“Gewiß, Geliebte! Er ist ein Raittenau und Wolf soll er getauft werden!”

“O Dank, heißen Dank, gnädiger Herr!”

“Ich muß danken dir, larissima! Für alles weitere laß sorgen mich, den Vater und Fürsten! Soll ein tüchtiger Bursch und Mann werden aus dem kleinen Wölflein, darauf geb’ ich mein fürstlich Wort!”

“Habt Dank, gnädiger, gütiger Gebieter! Nun freu’ ich meines Lebens wieder mich und will gern ertragen, was das Geschick mir beut!”

In aufwallender Glückseligkeit küßte der Fürst zärtlich Salomens Hände, hauchte einen Kuß auf die weiße Stirne, und bat besorgt, es möge die Teure sich nun schonen und pflegen lassen, wie es der Fürstin ziemt.

Ergebungsvoll ließ Salome das bleiche Haupt in die Kissen fallen, mutig unterdrückte sie den Seufzer, der ihrer Brust entsteigen wollte.

Still verließ Wolf Dietrich das Gemach, und erst nachdem er die Flucht mehrer Räume hinter sich hatte, trat er wieder fest auf nach seiner Gewohnheit, und der Hauch inniger Zärtlichkeit verschwand von seinen Zügen.

In seinen Wohngemächern angelangt, wollte der Fürst eben fragen, ob niemand aus der Stadt sich eingefunden, die Glückwünsche auszusprechen zum erfreulichen Ereignis bei Hof, da ward Graf Lamberg gemeldet und sogleich vorgelassen.

Das höfische Ceremoniell Lambergs schnitt Wolf Dietrich sofort ab durch den Ruf: “Freund, du bist der erste Gratulant, nimm meinen und Salomens Dank dafür! Herzlich willkommen!”

“Es ist des treue Unterthanen Pflicht, dem gnädigen Fürsten die Glückwünsche zu Füßen zu legen!” sprach Graf Lamberg ehrerbietig und verbeugte sich tief vor dem Gebieter.

“Sei meines innigen Dankes überzeugt, Freund Lamberg! Mir ist’s eine freudige Genugthuung, just dich bei mir zu sehen! Von Salzburgs Bürgerschaft, vom Adel auch, hat niemand eingefunden sich, ich habe keine Meldung!”

“Hochfürstliche Gnaden wollen Geduld üben! Die Kunde wird zu sehr überrascht haben die getreuen Unterthanen, sie fassen es nicht, es wird klar erst werden müssen in den Köpfen, dann wird wohl der Glückwunsch kommen an den Hof.”

Ein forschender Blick flog zu Lamberg, gedehnt klang des Fürsten Frage: “Glaubt Lamberg wirklich?”

Der Kapitular antwortete vorsichtig: “Es wäre Pflicht nur und schuldige Dankbarkeit!”

“Ha, Dank! Und mit den Pflichten wird genau es nicht genommen! Der Beispiele sind viele, die das Gegenteil beweisen! Sei’s drum! Urkunden will ich in nächster Zeit, daß tragen soll der Sproß den Namen Wolf Raittenau.”

Lamberg wagte nun seinerseits den forschenden Blick auf den Gebieter zu richten, sprach aber nichts.

Mehr für sich entwickelte Wolf Dietrich in seiner hastigen Art hochfliegende Pläne, wie der kleine Wolf erzogen, herangebildet werden solle, auf daß er gebührend seinen Platz dereinst einnehme als ein Raittenau.

Lamberg drückte seine ergebene Zustimmung durch wiederholte Verbeugungen aus und behielt seine Gedanken für sich. Liebt doch der Fürst nicht, unterbrochen zu werden, und Andeutungen, daß es anders werden könne, als der temperamentvolle Gebieter glaubt, sind Wolf Dietrich alle Zeit verhaßt.

Der Fürst sprach sich warm, kam vom Hundertsten ins Tausendste, und gelangte schließlich zu seinem Lieblingsthema: bauen! Und einmal in diesem Fahrwasser ereiferte sich Wolf Dietrich für den Plan, seiner Salome ein würdig, fürstlich Heim zu gründen. Unzureichend sei der Keutschachhof nun, da einen jungen Raittenau er in sich birgt, die Residenz müsse verlegt werden.

“Die ganze Residenz?” fragte überrascht Graf Lamberg.

“Nicht doch, das hat Zeit, bis jenseit der Salzach ein Gebäu erstanden ist, das ’Altenau’ ich werde heißen. Zuvörderst will meine Wohnung bei Hof ich verändern, es störet vieler Lärm mich hier. Ein lautes Volk, meine Salzburger! Auch ist Botschaft mir geworden in den letzten Tagen, daß laut und im Übermaß es zugeht vielfach auf dem Lande wie in Salzburg. Den Weinteufel glaubte ich gestutzt durch Mandat und kräft’ge Steuer, will scheinen, die Leute spüren wenig und saufen weiter. Werd’ ein kräftig Wort sprechen müssen! Dieweilen mir Unterthanen, arme Leut’ hungern und entbehren des Nötigsten, herrscht Fraß und Völlerei bei andern! Will mich bedünken, werd’ examinieren lassen müssen auf dem Konsistorio und die Leut’ befragen auf Herkommen und Glaubensbekenntnis. Wird nicht zu frühe sein damit!”

“Gewiß nicht! Euer Hochfürstliche Gnaden werden den Dank Roms sich erwerben mit bemeldter restauratio. Nur möchte ich, sothanermaßen der gnädige Herr und Gebieter das Wort mir wollen verstatten, raten....”

“Was?”

”... raten, eine längere Frist zu setzen gleich manchen Fürsten im Reich, auf daß die Leute sich werden schlüssig zur Umkehr und Einschluß in die ecclesia cattolica oder zu gehen aus der Heimat. Bin richtig ich informiert, besteht im Reich die Frist von einem Jahr!”

“Zu lang’ währt solche Frist, auch hab’ schon zu lang’ ich gezögert. Es ist mir lieb, daß kommt die Sprache zwischen uns auf solch’ Kapitel. Es ist mein Wille, daß citieret werde Ludwig Alt und Salzburgs Stadtrat bald zu Hof, und ein Kommissarius soll die Leut’ befragen auf das Trienter Bekenntnis, soll es beschwören lassen.”

Lamberg wagte den Hinweis, daß vielleicht doch jetzt in diesen Tagen ein solches Vorgehen nicht den gewünschten Erfolg haben könnte.

In seinem Ungestüm rief Wolf Dietrich: “Warum nicht jetzt? Wer kann mich hindern? Mein Wort hat Geltung allezeit und zu jeglicher Stunde! Ich will Farbe bekennen sehen! Und zugleich soll man die Leut’ beschauen, so einer will zum Bürger aufgenommen werden in Salzburg. Soll mir keiner Bürger werden, er habe denn hundert Gulden im Vermögen zum mindest!”

Lamberg mochte wohl nicht näher seine Meinung erörtern, da der Fürst nicht selbst erkannte, daß die Geburt eines Sprossen wenig zur gewaltsamen Forderung eines Glaubensbekenntnis der Unterthanen passe; der Kapitular sprach daher nur sich dahin aus: “Es wird Euer Hochfürstlichen Gnaden sicher eine gute Vorbetrachtung sein, zu mandatieren über Prüfung bei Aufnahmen von neuen Bürgern und Mindestforderung eines festgesetzten Vermögens.”

Wolf Dietrich beruhigte sich ob dieser Versicherung, nur schien es, als horche der Fürst ab und zu auf, wie in Erwartung, daß Deputationen zur Gratulationscour erscheinen sollen. Da aber niemand sich melden ließ, bemächtigte sich des verletzten Gebieters eine gewisse Verdrossenheit, die den Kapitular veranlaßte, um gnädige Entlassung unter dem Vorgeben zu bitten, daß sogleich bezüglich der Citation die nötigen Ordnungen getroffen werden sollen.

Der Reihe nach im Rang fanden sich die Hof- und Kapitelbeamten ein, um ihre ehrerbietigen Glückwünsche zum erfreulichen Ereignis auszusprechen; die einen in überschwänglicher Weise, andere wieder gelassen und trocken, alle aber auf höflichste Art, demütig, wie es dem hochfahrenden Sinn des Fürsten entsprechen und gefallen mußte. Wolf Dietrich entfaltete, hiervon angenehm berührt, all seine fascinierende Leutseligkeit und lud die Herren zu einem Festmahle ein, um seinem fürstlichen Dank vollen Ausdruck zu verleihen.

Hatte der kluge, diplomatisch geschulte Graf Lamberg die Absicht, mit der befohlenen Glaubensexaminierung zuzuwarten, um den Gemütern der erregten Salzburger Zeit zu einer gewissen Beruhigung zu lassen, auf daß doch eine Restauration nicht unmittelbar auf die Geburt eines Kindes ohne gültigen Ehebund folge,–der Fürst, der das Warten nicht kannte, durchkreuzte solche feinfühlige Absicht durch scharfes Monieren, und so mußte denn der ad hoc bestellte Kommissar seine wenig angenehme Thätigkeit entfalten. Der Kanzler aller geistlichen Sachen im Erzstift citierte den Bürgermeister und die Stadträte in den Palast, legte ihnen das Trienter Glaubensbekenntnis vor und verlangte dessen feierliche Beschwörung. Die meisten leisteten den Eid ohne Zögern, einige der Handelsherren aber verlangten eine Frist, um sich klar zu werden über den Stand ihres Glaubens, und deuteten an, daß die Citierung ebenso überraschend sei, wie ein gewisses Ereignis am fürstlichen Hofe.

So in eine fatale Notlage gebracht, mußte der Kommissar den zögernden Kaufherren doch wohl eine kurze Frist gewähren. Dafür aber wurde am nächsten Tage von den übrigen Bürgern Erscheinen und Beschwörung verlangt, und zwar in einem schärferen Tone und unter Androhung der zu gewärtigenden Strafen. Die Scheu vor dem strengen Fürsten, die Liebe zur Heimat und die Furcht vor Verarmung, all’ dies übte auf die Bürger einen Druck aus, unter welchem sie den geforderten Eid leisteten. Über zwanzig Bürger aber verweigerten das Jurament und verhielten sich ablehnend, auch als die Ausweisung angedroht wurde.

Eine abermalige Gärung in der Bevölkerung griff um sich. Wolf Dietrich zeigte sich erbost und erließ nach kurzer Zeit eine besondere Verordnung “zu verhütung mehreren unraths” über den Wegzug der ketzerisch Gebliebenen, derzufolge diese Ketzer sofort ein genaues Verzeichnis ihres Besitzstandes einreichen und eine hohe Gebühr für die Erlaubnis zum Wegzug zahlen mußten. Wer diesem Befehl nicht nachkam, dessen Gut war dem Fiskus verfallen; ihre Güter im Lande mußten an Personen, deren Tauglichkeit und Glaubenstreue vom Fürsten zu betätigen ist, entweder schleunigst verkauft oder mit der ausdrücklichen Bedingung des baldigen Verkaufes verpachtet werden, widrigenfalls der Erzbischof über sie verfügen würde.

Die von dieser Verordnung Betroffenen waren großenteils Kaufleute und Wirte, denen nicht nur alle Rechte und Freiheiten entzogen wurden, sondern auch bei Konfiskation der Waren aller Handel im Erzstift verboten ward. Da nun auch Mündel von diesem Mandat betroffen wurden, übernahm die fürstliche Regierung die Vormundschaften unter Beifügung der Bestimmung, daß alle an ketzerischen Orten befindlichen Mündel sobald als möglich nach Salzburg zurückkehren müssen. Wer seine Geschäfte in Ordnung gebracht habe, solle innerhalb vierzehn Tagen die Stadt verlassen; der äußerste Termin wurde auf vier Wochen gesetzt.

Ein Weheruf ging durch das Land. Graf Lamberg fühlte Erbarmen mit den Leuten, seinen Bemühungen gelang es, daß der Fürst die Frist um weitere vier Wochen verlängerte. In dieser Zeit erfolgte unter dem furchtbaren Druck doch noch manche Unterwerfung, die aber, weil der Termin nicht rechtzeitig eingehalten, mit einer äußerlich sichtbaren Strafe dahin belegt wurde, daß diese Säumigen an Sonn- und Feiertagen im Dom mit brennenden Lichtern in der Hand Buße thun mußten.

Darüber vergingen Monde, und allmählich verliefen sich die Wogen der Erregung, zumal ein Widerstand gegen die fürstliche Macht und Gewalt ja doch aussichtslos erscheinen mußte. Die Leute durften mählich froh sein, wenn keine neuen Mandate erfließen, die bei diesen Zeitläufen förmlich in der Luft hingen und dem Regen gleich herabprasseln können zu jeglicher Stunde.

Wolf Dietrich oblag tiefer Andacht meist im Dom, und eines Tages ward der Erzbischof darin gestört durch einen leichtfertigen Schuljungen, der auf den heiligen Ort gänzlich vergaß und den im andächtigen Gebet knieenden Bürgern Schnecken auf den Rücken setzte, so daß die Kleider der Andächtigen arg von dem Schneckenschleim beschmutzt wurden. Als Wolf Dietrich diesen Unfug gewahrte, erfaßte ihn Zorn und Entrüstung, der Erzbischof sprang auf, schritt auf den Schuljungen zu, faßte ihn schlankweg beim Schopf und führte den auf den Tod erschrockenen Jungen aus der Kirche. Diener liefen herbei, denen Wolf Dietrich den kleinen Missethäter zur Inhaftierung übergab. Noch am selben Tage dekretierte der Fürst die Strafe: Auspeitschung mit Ruten und ewige Landesverweisung, die sogleich am zeternden Jungen und trotz aller Bitten der inzwischen dazugekommenen Eltern vollzogen wurde.

Dieses Ereignis sollte insofern weitere Folgen haben, als Wolf Dietrich nun gegen jegliches Laster überhaupt mit großer Schärfe vorging. Mord und Totschlag gab es viel, und mit der Sittlichkeit war es allerorten übel bestellt. Ein Mandat forderte zur Umkehr und Besserung auf und drohte mit dem Malefizrichter.

Ein kaum dem Knabenalter entwachsener Bursch Jakob Staudner[14] wurde von revierenden Schergen ertappt, als er ein kleines Mädchen Namens Susanna Pauser seinen Gelüsten gefügig machen wollte, und in den Turm geschleppt. Auf erstattete Anzeige befahl der im höchsten Maße erzürnte Fürst, es solle sogleich Gericht über den Missethäter gehalten und die Todesstrafe ausgesprochen werden.

Die Richter hatten somit das Urteil bereits vorgeschrieben; das Verhör ließ aber doch die Möglichkeit offen, daß der Verhaftete die Unthat nicht begangen habe. Auch konnte eine “Beschädigung” (Verletzung) des Mädchens nicht konstatiert werden. Als von solchem Sachverhalt der Fürst verständigt ward, lautete die Antwort: Es solle gleichwohl durch den Freimann ein Exempel statuiert werden. Das Urteil lautete daher auf Hinrichtung durch das Schwert.

Im Hof des Gerichtshauses waren alle Vorbereitungen getroffen. Der dem Tode geweihte Bursch wurde zum Schaffot geleitet, der Stab über ihm gebrochen; der Franziskaner-Pater, welcher dem Delinquenten den letzten Trost der Religion gereicht, betete die Sterbgebete, und der Scharfrichter riß dem Burschen das Wams vom Leibe. Brust und Hals waren nun unbedeckt, der wimmernde Delinquent harrte des Todesstreiches.

Da kamen plötzlich zwei Franziskaner in großer Hast und Aufregung in den Hof gelaufen und riefen, es solle der Malefizrichter innehalten, der gnädige Fürst habe Pardon gegeben.

Thatsächlich hatte sich Wolf Dietrich von der beweglichen Fürbitte der Franziskaner, denen er ein Kloster erbaut hatte, zu einem Gnadenakt bewegen lassen, jedoch nur unter der Bedingung, daß die Franziskaner den Burschen weiterhin in ihre Obhut nehmen müßten. Als dies gelobt worden, gab Wolf Dietrich den Delinquenten frei, und die Franziskaner kamen im letzten Augenblick, ein Menschenleben zu retten.

Fürder aber blieb der Fürst in allen Mord- und sonstigen Lasterfällen unerbittlich; im benachbarten Engendorf wurde kurz darauf ein Bauernknecht wegen Totschlages hingerichtet. Das wirkte heilsam; man wußte nun, daß jegliche Begnadigung ausgeschlossen sei, die Mandate fanden Beachtung.

Der Vorfall in dem Dom zu Salzburg brachte den Fürsten auch auf den Gedanken, in den Schulen auf besseren Unterricht und Verhalten zu dringen, und es erfolgte eine strenge Schulordnung, nach welcher die Lehrer vor ihrer Anstellung examiniert, die Bücher der Lehrer wie der Schüler visitiert, der Katechismus nach P. Canisius wenigstens zweimal wöchentlich gelehrt, den Kindern tüchtig eingeprägt werden solle. Die Lehrer wurden verhalten, Sorge für die österliche Beichte und Kommunion zu tragen, die Kinder schärfstens zu überwachen, auch brave Knaben als Aufsicht zu bestellen, und die Schulstuben mit Wachholder auszuräuchern. Ingleichen sollen die Kleinen vom Essen unreifen Obstes abgehalten werden.

Über Mangel an fürstlicher Initiative und Überraschungen durch die mannigfaltsten Mandate konnten sich die Salzburger also nicht beklagen. Eine eigenartige, unerhörte Überraschung sollte aber die Fußwaschung der zwölf armen Männer, welche die Apostel darzustellen hatten, am Gründonnerstag bringen.

Im Dom begann diese uralte Ceremonie, welche der Fürst-Erzbischof in eigener Person vornahm. Wie Christus beim letzten Abendmahl den Aposteln die Füße wusch, um ihnen sinnbildlich die Tugenden der Demut und der brüderlichen Liebe einzuprägen, ist in Domkirchen der Bischof gehalten, zur Erinnerung an diese Handlung Christi diese Ceremonie zu vollziehen.

Nach abgelesenem Evangelium legte Wolf Dietrich den Mantel ab, ließ sich ein Vortuch reichen, und begann den zwölf Greisen die entblößten Füße zu nässen und gleich darauf mit dem Handtuch abzutrocknen. Dann folgte der Apostelkuß, den Wolf Dietrich allerdings etwas rasch vornahm.

Soweit ging alles nach uralter kirchlicher Vorschrift und hätte nun die Geleitung des Erzbischofes zum Hochaltar erfolgen müssen. Die Domherren und Kleriker ordneten sich zum Zug dahin, aber Wolf Dietrich ignorierte dieses Arrangement, schritt plötzlich wortlos quer durch das Kirchenschiff und stieg zur größten Überraschung des Kapitels wie der massenhaft anwesenden Gläubigen die Kanzeltreppe hinan.

Ein Flüstern ging durch die weiten Hallen des Domes, von Mund zu Mund flog es, daß der Erzbischof gegen allen Brauch unerhörterweise nun predigen werde.

Richtig erschien Wolf Dietrich in der Kanzel und begann mit der ihm eigenen Gabe hinreißend schon nach wenigen Sätzen zu predigen.

Alles hielt den Atem an, um kein Wort dieser überraschenden Kanzelrede zu verlieren, die also begann: “Am heutigen Tage folgen dem Beispiel Jesu der Papst und die Bischöfe, in den Klostern die Äbte und Vorsteher, häufig auch christliche Kaiser, Könige und Fürsten, und alle beweisen durch Fußwaschung, Bewirtung und sonstige Versorgung mehrerer Armen, daß die erhabene Würde, so sie als Erdenbeherrscher über die Unterthanen erhebet, sie nicht trennen dürfe von den Banden der christlichen Bruderliebe, durch die wir im katholischen Glauben alle Glieder einesLeibes sind. Wir haben uns zu befleißigen, aufzunehmen in uns den Geist der Demut und Bruderliebe, zu beherzigen die Worte, die Jesus nach der Fußwaschung zu den Aposteln gesprochen: ’Ich habe euch ein Beispiel gegeben, daß ihr einander thuet, wie ich gethan habe. Wie ich, euer Herr und Lehrmeister, euch die Füße gewaschen habe, sollet auch ihr einander die Füße waschen.’–Kein Tag im ganzen Jahr mahnt mehr und besser zur Einkehr, zur Demut, und demütigen müssen sich alle wahrhaft Gläubigen vor Gott dem Herrn, demütigen auch die Unterthanen vor ihrem Fürsten und Gebieter.”

Wolf Dietrich hatte damit den gewünschten Übergang gefunden, um den Zuhörern ihre Pflichten der Ergebenheit darzulegen, und gewandt sprach der Kanzelredner zu Herzen, er spielte auf manche Ereignisse an, welche die schuldige Demut auch vor dem Fürsten und seinen Regierungsakten schwer vermissen ließen. Mit flammenden Worten rügte der Redner solchen Mangel an Ehrfurcht und Demut, er geißelte Unbotmäßigkeit und Nörgelsucht und führte aus, daß jeder Fürst ein Recht darauf habe, sich auch als Mensch zu fühlen, und der Unterthan zu schweigen habe. Besser sei da ein menschlich Leben in weiser Beschränkung als verhüllte Sünde; besser, es hält der Mann es mit einem einzig Weibe in Ehren, denn er führe ein ausschweifend Leben, wie beklagenswert anzutreffen sei an vielen Orten und leider auch in Priesterhäusern und im Widum.

Die Rede schloß mit einem Appell an den guten Sinn und demütige Ergebenheit aller guten Unterthanen, die den Balken im eigenen Auge erkennen sollen.

In höchster Überraschung flüsterten die Zuhörer wie die Kapitelherren, es kann kein Zweifel sein, daß Wolf Dietrich über sein Verhältnis zu Salome sich ausgesprochen, den Unterthanen eine Epistel vorgetragen habe. Ein unerhörtes Beginnen, überraschend, verblüffend, aber echt im Charakter des Fürsten, der so viel Unberechenbares in sich birgt.

Gelassen stieg Wolf Dietrich die Kanzelstufen herab und begab sich zu seinem erhabenen Platz neben dem rechtseitigen Chorgestühl des Kapitels. Zögernd nur, ringend nach Fassung, begannen die Priester und Domherren die Funktionen wieder anzunehmen und durchzuführen. Graf Lamberg saß wie zu Stein erstarrt an seinem Platz, auch er, der vertraute Freund des Erzbischofs, ist grenzenlos überrascht worden.

Salzburgs Bevölkerung hatte abermals eine Gelegenheit zu ausgiebigen Erörterungen, die Predigt des Erzbischofs giebt Gesprächsstoff auf lange Zeit. Allein ein ebenfalls gänzlich unerwartetes Ereignis lenkte die Aufmerksamkeit der Salzburger auf ein anderes Gebiet. Über Nacht war nämlich von Seite des Fürsten ein Krieg erklärt worden, und zwar den salzburgischen––Hunden.

Wolf Dietrich hatte seine Privatwohnung in den Trakt gegen den Aschhof verlegt und schon in der ersten Nacht revoltierten Hunde dortselbst mit einem Lärm, daß von Schlaf keine Rede sein konnte. Und die rebellischen, bellenden Biester kümmerten sich nicht im mindesten um die Zornesrufe des Landesfürsten, im Gegenteil ward ihr Geheul um so ärger, je kräftiger Wolf Dietrich schimpfte. Es graute der Morgen kaum, da war der Krieg schon erklärt; ein Wachthüttlein mußte im Hof aufgestellt und von einem Nachtwächter bezogen werden, und der Hundschlager (Wasenmeister) erhielt Befehl, an allen Werktagen die salzburgischen Hunde auf allen Gassen einzufangen und abzuschlagen.

Der Hundschlager verstand keinen Spaß und begann sein Handwerk mit einer alle Hundefreunde mit Schrecken erfüllenden Gründlichkeit. Vom frühesten Morgen bis zur Dämmerung am Abend war der Hundemeuchler unterwegs und fing die Biester mit Stricken ein, erdrosselte sie gleich auf der Straße, unbekümmert um das Gezeter der Hundebesitzer. Der Schlager konnte rücksichtslos vorgehen, denn der ihm gewordene Befehl lautete auf Vernichtung aller Hunde, so gefangen werden konnten. Wer seinen Hund lieb hatte, mußte sehr acht geben auf den Schlager und durfte den Hund nicht aufsichtlos lassen.

Die grausame Verfolgung merkten mit der Zeit die Biester selbst, die vor ihrem Todfeind ausrissen, wo immer es ging. Doch der Schlager erwies sich überaus findig, er warf lange Schlingen mit großer Sicherheit aus und fing die Köter mit unfehlbarer Sicherheit. Der Aschhof war auf diese Weise bald von vierfüßigen Nachtwandlern befreit, doch blieb der Befehl zu weiterer Vernichtung in Kraft, Salzburg hatte nach fürstlicher Auffassung überhaupt zu viel Hunde.

Dem Schlager erwuchs zu große Arbeit durch das Wegführen der Hundekadaver, er tötete jeden eingefangenen Hund, indem er ihn mit dem Kopf um die Erde oder Häuserecken schlug, und ließ die Kadaver einfach auf den Gassen liegen. Bei solcher Massenverfolgung und -Tötung konnten Fehlgriffe insofern nicht ausbleiben, als auch Tiere weggefangen und gemeuchelt wurden, die einflußreichen Leuten bei Hof gehörten. Die Metzger beschwerten sich, daß einerseits der Viehtrieb ohne Hunde erschwert sei, und daß der Schlager die Hundekadaver als Bosheit vor den Fleischbänken liegen lasse. Alte Jungfern beweinten den Tod ihrer vierbeinigen Lieblinge und inscenierten Aufläufe. Kurz es schien, als sollte Salzburgs Bevölkerung abermals rebellisch werden, und die Kunde davon kam auch dem Fürsten zu Ohren. Zu einer Revolution der Hunde wegen wollte Wolf Dietrich es nun aber doch nicht kommen lassen. Die Beschwerden wurden geprüft, für begründet befunden, und nun erfolgte die Verhaftung des Schlagers.

Die Aburteilung endete mit Entlassung “mit Spot und Schant”.

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Vorwort.  •  I  •  II.  •  III.  •  IV.  •  V.  •  VI.  •  VII.  •  VIII.  •  IX.  •  X.  •  XI.  •  XII.  •  XIII.  •  XIV.  •  XV.  •  Fußnoten

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