Der zerbrochene Krug
By Heinrich von Kleist

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Neunter Auftritt

Walter.  Adam.  Frau Marthe usw.  ohne die Magd.

Adam
–Wenn ich freimütig reden darf, Ihr Gnaden,
Die Sache eignet gut sich zum Vergleich.

Walter
Sich zum Vergleich?  Das ist nicht klar, Herr Richter.
Vernünft’ge Leute können sich vergleichen;
Doch wie Ihr den Vergleich schon wollt bewirken,
Da noch durchaus die Sache nicht entworren,
Das hätt ich wohl von Euch zu hören Lust.
Wie denkt Ihrs anzustellen, sagt mir an?
Habt Ihr ein Urteil schon gefaßt?

Adam
Mein Seel!
Wenn ich, da das Gesetz im Stich mich läßt,
Philosophie zu Hilfe nehmen soll,
So wars–der Leberecht–

Walter
Wer?

Adam
Oder Ruprecht–

Walter
Wer?

Adam
Oder Lebrecht, der den Krug zerschlug.

Walter
Wer also wars?  Der Lebrecht oder Ruprecht?
Ihr greift, ich seh, mit Eurem Urteil ein,
Wie eine Hand in einen Sack voll Erbsen.

Adam
Erlaubt!

Walter
Schweigt, schweigt, ich bitt Euch.

Adam
Wie Ihr wollt.
Auf meine Ehr, mir wärs vollkommen recht,
Wenn sie es alle beid gewesen wären.

Walter
Fragt dort, so werdet Ihrs erfahren.

Adam
Sehr gern.
Doch wenn Ihrs herausbekommt, bin ich ein Schuft.
–Habt Ihr das Protokoll da in Bereitschaft?

Licht
Vollkommen.

Adam
Gut.

Licht
Und brech ein eignes Blatt mir,
Begierig, was darauf zu stehen kommt.

Adam
Ein eignes Blatt?  Auch gut.

Walter
Sprich dort, mein Kind!

Adam
Sprich, Evchen, hörst du, sprich jetzt, Jungfer Evchen!
Gib Gotte, hörst du, Herzchen, gib, mein Seel,
Ihm und der Welt, gib ihm was von der Wahrheit.
Denk, daß du hier vor Gottes Richtstuhl bist,
Und daß du deinen Richter nicht mit Leugnen,
Und Plappern, was zur Sache nicht gehört,
Betrüben mußt.  Ach, was!  Du bist vernünftig.
Ein Richter immer, weißt du, ist ein Richter,
Und einer braucht ihn heut, und einer morgen.
Sagst du, daß es der Lebrecht war: nun gut;
Und sagst du, daß es Ruprecht war: auch gut!
Sprich so, sprich so, ich bin kein ehrlicher Kerl,
Es wird sich alles, wie du wünschest, finden.
Willst du mir hier von einem andern trätschen,
Und dritten etwa, dumme Namen nennen:
Sieh, Kind, nimm dich in acht, ich sag nichts weiter.
In Huisum, hols der Henker, glaubt dirs keiner,
Und keiner, Evchen, in den Niederlanden;
Du weißt, die weißen Wände zeugen nicht,
Der auch wird zu verteidigen sich wissen:
Und deinen Ruprecht holt die Schwerenot!

Walter
Wenn Ihr doch Eure Reden lassen wolltet.
Geschwätz, gehauen nicht und nicht gestochen.

Adam
Verstehens Ew.  Gnaden nicht?

Walter
Macht fort!
Ihr habt zulängst hier auf dem Stuhl gesprochen.

Adam
Auf Ehr!  Ich habe nicht studiert, Ew. Gnaden.
Bin ich Euch Herrn aus Utrecht nicht verständlich,
Mit diesem Volk vielleicht verhält sichs anders:
Die Jungfer weiß, ich wette, was ich will.

Frau Marthe
Was soll das?  Dreist heraus jetzt mit der Sprache!

Eve
O liebste Mutter!

Frau Marthe
Du–!  Ich rate dir!

Ruprecht
Mein Seel, ’s ist schwer, Frau Marthe, dreist zu sprechen,
Wenn das Gewissen an der Kehl uns sitzt.

Adam
Schweig Er jetzt, Nasweis, mucks Er nicht.

Frau Marthe
Wer wars?

Eve
O Jesus.

Frau Marthe
Maulaffe, der!  Der niederträchtige!
O Jesus!  Als ob sie eine Hure wäre.
Wars der Herr Jesus?

Adam
Frau Marthe!  Unvernunft!
Was das für–!  Laß Sie die Jungfer doch gewähren!
Das Kind einschrecken–Hure–Schafsgesicht!
So wird uns nichts.  Sie wird sich schon besinnen.

Ruprecht
O ja, besinnen.

Adam
Flaps dort, schweig Er jetzt.

Ruprecht
Der Flickschuster wird ihr schon einfallen.

Adam
Der Satan!  Ruft den Büttel!  He!  Hanfriede!

Ruprecht
Nun, nun!  Ich schweig, Herr Richter, laßts nur sein.
Sie wird Euch schon auf meinen Namen kommen.

Frau Marthe
Hör du, mach mir hier kein Spektakel, sag ich.
Hör, neunundvierzig bin ich alt geworden
In Ehren: funfzig möcht ich gern erleben.
Den dritten Februar ist mein Geburtstag;
Heut ist der erste.  Mach es kurz.  Wer wars?

Adam
Gut, meinethalben!  Gut, Frau Marthe Rull!

Frau Marthe
Der Vater sprach, als er verschied: “Hör, Marthe,
Dem Mädel schaff mir einen wackern Mann;
Und wird sie eine liederliche Metze,
So gib dem Totengräber einen Groschen,
Und laß mich wieder auf den Rücken legen:
Mein Seel, ich glaub, ich kehr im Grab mich um.

Adam
Nun, das ist auch nicht übel.

Frau Marthe
Willst du Vater
Und Mutter jetzt, mein Evchen, nach dem vierten
Gebot hoch ehren, gut, so sprich: in meine Kammer
Ließ ich den Schuster, oder einen dritten,
Hörst du?  Der Bräut’gam aber war es nicht.

Ruprecht
Sie jammert mich.  Laßt doch den Krug, ich bitt Euch;
Ich will ’n nach Utrecht tragen.  Solch ein Krug–
Ich wollt, ich hätt ihn nur entzwei geschlagen.

Eve
Unedelmüt’ger, du!  Pfui, schäme dich,
Daß du nicht sagst: gut, ich zerschlug den Krug!
Pfui, Ruprecht, pfui, o schäme dich, daß du
Mir nicht in meiner Tat vertrauen kannst.
Gab ich die Hand dir nicht, und sagte: ja,
Als du mich fragtest: “Eve, willst du mich?"
Meinst du, daß du den Flickschuster nicht wert bist?
Und hättest du durchs Schlüsselloch mich mit
Dem Lebrecht aus dem Kruge trinken sehen,
Du hättest denken sollen: Ev ist brav,
Es wird sich alles ihr zum Ruhme lösen,
Und ists im Leben nicht, so ist es Jenseits,
Und wenn wir auferstehn, ist auch ein Tag.

Ruprecht
Mein Seel, das dauert mir zu lange, Evchen.
Was ich mit Händen greife, glaub ich gern.

Eve
Gesetzt, es wär der Leberecht gewesen,
Warum–des Todes will ich ewig sterben,
Hätt ichs dir Einzigen nicht gleich vertraut;
Jedoch warum vor Nachbarn, Knecht’ und Mägden–
Gesetzt, ich hätte Gründ, es zu verbergen,
Warum, o Ruprecht, sprich, warum nicht sollt ich
Auf dein Vertraun hin sagen, daß du’s warst?
Warum nicht sollt ichs?  Warum sollt ichs nicht?

Ruprecht
Ei, so zum Henker, sags, es ist mir recht,
Wenn du die Fiedel dir ersparen kannst.

Eve
O du Abscheulicher!  Du Undankbarer!
Wert, daß ich mir die Fiedel spare!  Wert,
Daß ich mit Einem Wort zu Ehren mich,
Und dich in ewiges Verderben bringe.

Walter
Nun–?  Und dies einz’ge Wort–?  Halt uns nicht auf.
Der Ruprecht also war es nicht?

Eve
Nein, gnäd’ger Herr, weil ers denn selbst so will,
Um seinetwillen nur verschwieg ich es:
Den irdnen Krug zerschlug der Ruprecht nicht,
Wenn ers Euch selber leugnet, könnt Ihrs glauben.

Frau Marthe
Eve!  Der Ruprecht nicht?

Eve
Nein, Mutter, nein!
Und wenn ichs gestern sagte, wars gelogen.

Frau Marthe
Hör, dir zerschlag ich alle Knochen!

Sie setzt den Krug nieder.

Eve
Tut, was Ihr wollt.

Walter drohend.
Frau Marthe!

Adam
He!  Der Büttel!–
Schmeißt sie heraus dort, die verwünschte Vettel!
Warum solls Ruprecht just gewesen sein?
Hat Sie das Licht dabei gehalten, was?
Die Jungfer, denk ich, wird es wissen müssen:
Ich bin ein Schelm, wenns nicht der Lebrecht war.

Frau Marthe
War es der Lebrecht etwa?  Wars der Lebrecht?

Adam
Sprich, Evchen, wars der Lebrecht nicht,
mein Herzchen?

Eve
Er Unverschämter, Er!  Er Niederträcht’ger!
Wie kann Er sagen, daß es Lebrecht–

Walter
Jungfer!
Was untersteht Sie sich?  Ist das mir der
Respekt, den Sie dem Richter schuldig ist?

Eve
Ei, was!  Der Richter dort!  Wert, selbst vor dem
Gericht, ein armer Sünder, dazustehn–
–Er, der wohl besser weiß, wer es gewesen!

Sich zum Dorfrichter wendend.

Hat Er den Lebrecht in die Stadt nicht gestern
Geschickt nach Utrecht, vor die Kommission,
Mit dem Attest, der die Rekruten aushebt?
Wie kann Er sagen, daß es Lebrecht war,
Wenn Er wohl weiß, daß der in Utrecht ist?

Adam
Nun, wer denn sonst?  Wenns Lebrecht nicht, zum Henker–
Nicht Ruprecht ist, nicht Lebrecht ist–Was machst du?

Ruprecht
Mein Seel, Herr Richter Adam, laßt Euch sagen,
Hierin mag doch die Jungfer just nicht lügen.
Dem Lebrecht bin ich selbst begegnet gestern,
Als er nach Utrecht ging, früh wars Glock acht,
Und wenn er auf ein Fuhrwerk sich nicht lud,
Hat sich der Kerl, krummbeinig wie er ist,
Glock zehn Uhr nachts noch nicht zurückgehaspelt.
Es kann ein dritter wohl gewesen sein.

Adam
Ach was!  Krummbeinig!  Schafsgesicht!  Der Kerl
Geht seinen Stiefel, der, trotz einem.
Ich will von ungespaltnem Leibe sein,
Wenn nicht ein Schäferhund von mäß’ger Größe
Muß seinen Trab gehn, mit ihm fortzukommen.

Walter
Erzähl den Hergang uns.

Adam
Verzeihn Ew.  Gnaden!
Hierauf wird Euch die Jungfer schwerlich dienen.

Walter
Nicht dienen?  Mir nicht dienen?  Und warum nicht?

Adam
Ein twatsches Kind.  Ihr sehts.  Gut, aber twatsch.
Blutjung, gefirmelt kaum; das schämt sich noch,
Wenns einen Bart von weitem sieht.  So ’n Volk,
Im Finstern leiden sie’s, und wenn es Tag wird,
So leugnen sie’s vor ihrem Richter ab.

Walter
Ihr seid sehr nachsichtsvoll, Herr Richter Adam,
Sehr mild, in allem, was die Jungfer angeht.

Adam
Die Wahrheit Euch zu sagen, Herr Gerichtsrat,
Ihr Vater war ein guter Freund von mir.
Wollen Ew.  Gnaden heute huldreich sein,
So tun wir hier nicht mehr, als unsre Pflicht,
Und lassen seine Tochter gehn.

Walter
Ich spüre große Lust in mir, Herr Richter,
Der Sache völlig auf den Grund zu kommen.–
Sei dreist, mein Kind; sag, wer den Krug zerschlagen.
Vor niemand stehst du, in dem Augenblick,
Der einen Fehltritt nicht verzeihen könnte.

Eve
Mein lieber, würdiger und gnäd’ger Herr,
Erlaßt mir, Euch den Hergang zu erzählen.
Von dieser Weigrung denkt uneben nicht.
Es ist des Himmels wunderbare Fügung,
Die mir den Mund in dieser Sache schließt.
Daß Ruprecht jenen Krug nicht traf, will ich
Mit einem Eid, wenn Ihrs verlangt,
Auf heiligem Altar bekräftigen.
Jedoch die gestrige Begebenheit,
Mit jedem andern Zuge, ist mein eigen,
Und nicht das ganze Garnstück kann die Mutter,
Um eines einz’gen Fadens willen, fordern,
Der, ihr gehörig, durchs Gewebe läuft.
Ich kann hier, wer den Krug zerschlug, nicht melden,
Geheimnisse, die nicht mein Eigentum,
Müßt ich, dem Kruge völlig fremd, berühren.
Früh oder spät will ichs ihr anvertrauen,
Doch hier das Tribunal ist nicht der Ort,
Wo sie das Recht hat, mich darnach zu fragen.

Adam
Nein, Rechtens nicht.  Auf meine Ehre, nicht.
Die Jungfer weiß, wo unsre Zäume hängen.
Wenn sie den Eid hier vor Gericht will schwören,
So fällt der Mutter Klage weg:
Dagegen ist nichts weiter einzuwenden.

Walter
Was sagt zu der Erklärung Sie, Frau Marthe?

Frau Marthe
Wenn ich gleich was Erkleckliches nicht aufbringe
Gestrenger Herr, so glaubt, ich bitt Euch sehr,
Daß mir der Schlag bloß jetzt die Zunge lähmte.
Beispiele gibts, daß ein verlorner Mensch,
Um vor der Welt zu Ehren sich zu bringen,
Den Meineid vor dem Richtstuhl wagt; doch daß
Ein falscher Eid sich schwören kann, auf heil’gem
Altar, um an den Pranger hinzukommen,
Das heut erfährt die Welt zum erstenmal.
Wär, daß ein andrer, als der Ruprecht, sich
In ihre Kammer gestern schlich, gegründet,
Wärs überall nur möglich, gnäd’ger Herr,
Versteht mich wohl,–so säumt ich hier nicht länger.
Den Stuhl setzt ich, zur ersten Einrichtung,
Ihr vor die Tür, und sagte: geh, mein Kind,
Die Welt ist weit, da zahlst du keine Miete,
Und lange Haare hast du auch geerbt,
Woran du dich, kommt Zeit, kommt Rat, kannst hängen.

Walter
Ruhig, ruhig, Frau Marthe.

Frau Marthe
Da ich jedoch
Hier den Beweis noch anders führen kann,
Als bloß durch sie, die diesen Dienst mir weigert,
Und überzeugt bin völlig, daß nur er
Mir, und kein anderer, den Krug zerschlug,
So bringt die Lust, es kurzhin abzuschwören,
Mich noch auf einen schändlichen Verdacht.
Die Nacht von gestern birgt ein anderes
Verbrechen noch, als bloß die Krugverwüstung.
Ich muß Euch sagen, gnäd’ger Herr, daß Ruprecht
Zur Konskription gehört, in wenig Tagen
Soll er den Eid zur Fahn in Utrecht schwören.
Die jungen Landessöhne reißen aus.
Gesetzt, er hätte gestern nacht gesagt:
“Was meinst du, Evchen?  Komm.  Die Welt ist groß.
Zu Kist und Kasten hast du ja die Schlüssel"
Und sie, sie hätt ein wenig sich gesperrt:
So hätte ohngefähr, da ich sie störte,
–Bei ihm aus Rach, aus Liebe noch bei ihr–
Der Rest, so wie geschehn, erfolgen können.

Ruprecht
Das Rabenaas!  Was das für Reden sind!
Zu Kist und Kasten–

Walter
Still!

Eve
Er, austreten!

Walter
Zur Sache hier.  Vom Krug ist hier die Rede.
Beweis, Beweis, daß Ruprecht ihn zerbrach!

Frau Marthe
Gut, gnäd’ger Herr.  Erst will ich hier beweisen,
Daß Ruprecht mir den Krug zerschlug,
Und dann will ich im Hause untersuchen.–
Seht, eine Zunge, die mir Zeugnis redet,
Bring ich für jedes Wort auf, das er sagte,
Und hätt in Reihen gleich sie aufgeführt,
Wenn ich von fern geahndet nur, daß diese
Die ihrige für mich nicht brauchen würde.
Doch wenn Ihr Frau Brigitte jetzo ruft,
Die ihm die Muhm ist, so genügt mir die,
Weil die den Hauptpunkt just bestreiten wird.
Denn die, die hat Glock halb auf elf im Garten,
Merkt wohl, bevor der Krug zertrümmert worden,
Wortwechselnd mit der Ev ihn schon getroffen;
Und wie die Fabel, die er aufgestellt,
Vom Kopf zu Fuß dadurch gespalten wird,
Durch diese einz’ge Zung, ihr hohen Richter:
Das überlaß ich selbst euch einzusehn.

Ruprecht
Wer hat mich

Veit
Schwester Briggy?

Ruprecht
Mich mit Ev?  Im Garten?

Frau Marthe
Ihn mit der Ev, im Garten, Glock halb elf,
Bevor er noch, wie er geschwätzt, um elf
Das Zimmer überrumpelnd eingesprengt:
Im Wortgewechsel, kosend bald, bald zerrend,
Als wollt er sie zu etwas überreden.

Adam für sich.
Verflucht!  Der Teufel ist mir gut.

Walter
Schafft diese Frau herbei.

Ruprecht
Ihr Herrn, ich bitt euch:
Das ist kein wahres Wort, das ist nicht möglich.

Adam
O wart, Halunke!–He!  Der Büttel!  Hanfried!–
Denn auf der Flucht zerschlagen sich die Krüge–
–Herr Schreiber, geht, schafft Frau Brigitt herbei!

Veit
Hör, du verfluchter Schlingel, du, was machst du?
Dir brech ich alle Knochen noch.

Ruprecht
Weshalb auch?

Veit
Warum verschwiegst du, daß du mit der Dirne
Glock halb elf im Garten schon scharwenzt?
Warum verschwiegst du’s?

Ruprecht
Warum ichs verschwieg?
Gotts Schlag und Donner, weils nicht wahr ist, Vater!
Wenn das die Muhme Briggy zeugt, so hängt mich.
Und bei den Beinen sie meinthalb dazu.

Veit
Wenn aber sie’s bezeugt–nimm dich in acht!
Du und die saubre Jungfer Eve dort,
Wie ihr auch vor Gericht euch stellt, ihr steckt
Doch unter einer Decke noch.  ’s ist irgend
Ein schändliches Geheimnis noch, von dem
Sie weiß, und nur aus Schonung hier nichts sagt.

Ruprecht
Geheimnis?  Welches?

Veit
Warum hast du eingepackt?
He?  Warum hast du gestern abend eingepackt?

Ruprecht
Die Sachen?

Veit
Röcke, Hosen, ja, und Wäsche;
Ein Bündel, wie’s ein Reisender just auf
Die Schultern wirft?

Ruprecht
Weil ich nach Utrecht soll!
Weil ich zum Regiment soll!  Himmel-Donner–!
Glaubt Er, daß ich–?

Veit
Nach Utrecht?  Ja, nach Utrecht!
Du hast geeilt, nach Utrecht hinzukommen!
Vorgestern wußtest du noch nicht, ob du
Den fünften oder sechsten Tag wirst reisen.

Walter
Weiß Er zur Sache was zu melden, Vater?

Veit
–Gestrenger Herr, ich will noch nichts behaupten.
Ich war daheim, als sich der Krug zerschlug,
Und auch von einer andern Unternehmung
Hab ich, die Wahrheit zu gestehn, noch nichts,
Wenn ich jedweden Umstand wohl erwäge,
Das meinen Sohn verdächtig macht, bemerkt.
Von seiner Unschuld völlig überzeugt,
Kam ich hierher, nach abgemachtem Streit
Sein ehelich Verlöbnis aufzulösen,
Und ihm das Silberkettlein einzufordern,
Zusamt dem Schaupfennig, den er der Jungfer
Bei dem Verlöbnis vor’gen Herbst verehrt.
Wenn jetzt von Flucht was und Verräterei
An meinem grauen Haar zu Tage kommt,
So ist mir das so neu, Ihr Herrn, als Euch:
Doch dann der Teufel soll den Hals ihm brechen.

Walter
Schafft Frau Brigitt herbei, Herr Richter Adam.

Adam
–Wird Ew.  Gnaden diese Sache nicht
Ermüden?  Sie zieht sich in die Länge.
Ew.  Gnaden haben meine Kassen noch,
Und die Registratur–Was ist die Glocke?

Licht
Es schlug soeben halb.

Adam
Auf elf?

Licht
Verzeiht, auf zwölfe.

Walter
Gleichviel.

Adam
Ich glaub, die Zeit ist, oder Ihr verrückt.

(Er sieht nach der Uhr.)

Ich bin kein ehrlicher Mann–Ja, was befehlt Ihr?

Walter
Ich bin der Meinung–

Adam
Abzuschließen?  Gut–!

Walter
Erlaubt!  Ich bin der Meinung, fortzufahren.

Adam
Ihr seid der Meinung–Auch gut.  Sonst würd ich
Auf Ehre, morgen früh, Glock neun, die Sache
Zu Euerer Zufriedenheit beendigen.

Walter
Ihr wißt um meinen Willen.

Adam
Wie Ihr befehlt.
Herr Schreiber, schickt die Büttel ab; sie sollen
Sogleich ins Amt die Frau Brigitte laden.

Walter
Und nehmt Euch–Zeit, die mir viel wert, zu sparen–
Gefälligst selbst der Sach ein wenig an.

(Licht ab.)

Continue...

Preface  •  Erster Auftritt  •  Zweiter Auftritt  •  Dritter Auftritt  •  Vierter Auftritt  •  Fünfter Auftritt  •  Sechster Auftritt  •  Siebenter Auftritt  •  Achter Auftritt  •  Neunter Auftritt  •  Zehnter Auftritt  •  Elfter Auftritt  •  Zwölfter Auftritt  •  Letzter Auftritt

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Der zerbrochene Krug: Nach Heinrich von Kleist
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