Hermann und Dorothea
Von Johann Wolfgang von Goethe

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Klio
Das Zeitalter

Als nun der geistliche Herr den fremden Richter befragte, Was die Gemeine gelitten, wie lang sie von Hause vertrieben, Sagte der Mann darauf: “Nicht kurz sind unsere Leiden; Denn wir haben das Bittre der sämtlichen Jahre getrunken, Schrecklicher, weil auch uns die schönste Hoffnung zerstört ward. Denn wer leugnet es wohl, daß hoch sich das Herz ihm erhoben, Ihm die freiere Brust mit reineren Pulsen geschlagen, Als sich der erste Glanz der neuen Sonne heranhob, Als man hörte vom Rechte der Menschen, das allen gemein sei, Von der begeisternden Freiheit und von der löblichen Gleichheit! Damals hoffte jeder sich selbst zu leben; es schien sich Aufzulösen das Band, das viele Länder umstrickte, Das der Müßiggang und der Eigennutz in der Hand hielt. Schauten nicht alle Völker in jenen drängenden Tagen Nach der Hauptstadt der Welt, die es schon so lange gewesen Und jetzt mehr als je den herrlichen Namen verdiente? Waren nicht jener Männer, der ersten Verkünder der Botschaft, Namen den höchsten gleich, die unter die Sterne gesetzt sind? Wuchs nicht jeglichem Menschen der Mut und der Geist und die Sprache?

Und wir waren zuerst, als Nachbarn, lebhaft entzündet. Drauf begann der Krieg, und die Züge bewaffneter Franken Rückten näher; allein sie schienen nur Freundschaft zu bringen. Und die brachten sie auch: denn ihnen erhöht war die Seele Allen; sie pflanzten mit Lust die munteren Bäume der Freiheit, Jedem das Seine versprechend, und jedem die eigne Regierung. Hoch erfreute sich da die Jugend, sich freute das Alter, Und der muntere Tanz begann um die neue Standarte. So gewannen sie bald, die überwiegenden Franken, Erst der Männer Geist, mit feurigem munterm Beginnen, Dann die Herzen der Weiber, mit unwiderstehlicher Anmut. Leicht selbst schien uns der Druck des vielbedürfenden Krieges; Denn die Hoffnung umschwebte vor unsern Augen die Ferne, Lockte die Blicke hinaus in neueröffnete Bahnen.

Oh, wie froh ist die Zeit, wenn mit der Braut sich der Bräut’gam Schwinget im Tanze, den Tag der gewünschten Verbindung erwartend! Aber herrlicher war die Zeit, in der uns das Höchste, Was der Mensch sich denkt, als nah und erreichbar sich zeigte. Da war jedem die Zunge gelöst; es sprachen die Greise, Männer und Jünglinge laut voll hohen Sinns und Gefühles.

Aber der Himmel trübte sich bald. Um den Vorteil der Herrschaft Stritt ein verderbtes Geschlecht, unwürdig, das Gute zu schaffen. Sie ermordeten sich und unterdrückten die neuen Nachbarn und Brüder und sandten die eigennützige Menge. Und es praßten bei uns die Obern und raubten im großen, Und es raubten und praßten bis zu dem Kleinsten die Kleinen; Jeder schien nur besorgt, es bleibe was übrig für morgen. Allzu groß war die Not, und täglich wuchs die Bedrückung; Niemand vernahm das Geschrei, sie waren die Herren des Tages. Da fiel Kummer und Wut auch selbst ein gelaßnes Gemüt an, Jeder sann nur und schwur, die Beleidigung alle zu rächen Und den bittern Verlust der doppelt betrogenen Hoffnung. Und es wendete sich das Glück auf die Seite der Deutschen, Und der Franke floh mit eiligen Märschen zurücke. Ach, da fühlten wir erst das traurige Schicksal des Krieges! Denn der Sieger ist groß und gut; zum wenigsten scheint er’s, Und er schonet den Mann, den besiegten, als wär’ er der seine, Wenn er ihm täglich nützt und mit den Gütern ihm dienet. Aber der Flüchtige kennt kein Gesetz; denn er wehrt nur den Tod ab Und verzehret nur schnell und ohne Rücksicht die Güter. Dann ist sein Gemüt auch erhitzt, und es kehrt die Verzweiflung Aus dem Herzen hervor das frevelhafte Beginnen. Nichts ist heilig ihm mehr; er raubt es. Die wilde Begierde Dringt mit Gewalt auf das Weib und macht die Lust zum Entsetzen. Überall sieht er den Tod und genießt die letzten Minuten Grausam, freut sich des Bluts und freut sich des heulenden Jammers.

Grimmig erhob sich darauf in unsern Männern die Wut nun, Das Verlorne zu rächen und zu verteid’gen die Reste. Alles ergriff die Waffen, gelockt von der Eile des Flüchtlings Und vom blassen Gesicht und scheu unsicheren Blicke. Rastlos nun erklang das Getön der stürmenden Glocke, Und die künft’ge Gefahr hielt nicht die grimmige Wut auf. Schnell verwandelte sich des Feldbaus friedliche Rüstung Nun in Wehre; da troff von Blute Gabel und Sense. Ohne Begnadigung fiel der Feind und ohne Verschonung; Überall raste die Wut und die feige, tückische Schwäche. Möcht’ ich den Menschen doch nie in dieser schnöden Verirrung Wieder sehn! Das wütende Tier ist ein besserer Anblick. Sprech’ er doch nie von Freiheit, als könn’ er sich selber regieren! Losgebunden erscheint, sobald die Schranken hinweg sind, Alles Böse, das tief das Gesetz in die Winkel zurücktrieb.”

“Trefflicher Mann!” versetzte darauf der Pfarrer mit Nachdruck, “Wenn ihr den Menschen verkennt, so kann ich Euch darum nicht schelten; Habt Ihr doch Böses genug erlitten vorn wüsten Beginnen! Wolltet Ihr aber zurück die traurigen Tage durchschauen, Würdet Ihr selber gestehen, wie oft Ihr auch Gutes erblicktet. Manches Treffliche, das verborgen bleibt in dem Herzen, Regt die Gefahr es nicht auf, und drängt die Not nicht den Menschen, Daß er als Engel sich zeig’, erscheine den andern ein Schutzgott.”

Lächelnd versetzte darauf der alte würdige Richter. “Ihr erinnert mich klug, wie oft nach dem Brande des Hauses Man den betrübten Besitzer an Gold und Silber erinnert, Das geschmolzen im Schutt nun überblieben zerstreut liegt. Wenig ist es fürwahr, doch auch das wenige köstlich; Und der Verarmte gräbet ihm nach und freut sich des Fundes. Und so kehr ich auch gern die heitern Gedanken zu jenen Wenigen guten Taten, die aufbewahrt das Gedächtnis. Ja, ich will es nicht leugnen, ich sah sich Feinde versöhnen, Um die Stadt vom Übel zu retten; ich sah auch der Freunde, Sah der Eltern Lieb’ und der Kinder Unmögliches wagen; Sah, wie der Jüngling auf einmal zum Mann ward, sah, wie der Greis sich Wieder verjüngte, das Kind sich selbst als Jüngling enthüllte. Ja, und das schwache Geschlecht, so wie es gewöhnlich genannt wird, Zeigte sich tapfer und mächtig und gegenwärtigen Geistes. Und so laßt mich vor allen der schönen Tat noch erwähnen, Die hochherzig ein Mädchen vollbrachte, die treffliche Jungfrau, Die auf dem großen Gehöft allein mit den Mädchen zurückblieb; Denn es waren die Männer auch gegen die Fremden gezogen. Da überfiel den Hof ein Trupp verlaufnen Gesindels, Plündernd, und drängte sogleich sich in die Zimmer der Frauen. Sie erblickten das Bild der schön erwachsenen Jungfrau Und die lieblichen Mädchen, noch eher Kinder zu heißen. Da ergriff sie wilde Begier, sie stürmten gefühllos Auf die zitternde Schar und aufs hochherzige Mädchen. Aber sie riß dem einen sogleich von der Seite den Säbel, Hieb ihn nieder gewaltig; er stürzt’ ihr blutend zu Füßen. Dann mit männlichen Streichen befreite sie tapfer die Mädchen, Traf noch viere der Räuber; doch die entflohen dem Tode. Dann verschloß sie den Hof und harrte der Hülfe, bewaffnet.”

Als der Geistliche nun das Lob des Mädchens vernommen, Stieg die Hoffnung sogleich für seinen Freund im Gemüt auf, Und er war im Begriff, zu fragen, wohin sie geraten? Ob auf der traurigen Flucht sie nun mit dem Volk sich befinde? Aber da trat herbei der Apotheker behende, Zupfte den geistlichen Herrn und sagte die wispernden Worte: “Hab ich doch endlich das Mädchen aus vielen hundert gefunden, Nach der Beschreibung! So kommt und sehet sie selber mit Augen; Nehmet den Richter mit Euch, damit wir das Weitere hören!” Und sie kehrten sich um, und weg war gerufen der Richter Von den Seinen, die ihn, bedürftig des Rates, verlangten. Doch es folgte sogleich dem Apotheker der Pfarrherr An die Lücke des Zauns, und jener deutete listig. “Seht Ihr”, sagt’ er, “das Mädchen? Sie hat die Puppe gewickelt, Und ich erkenne genau den alten Kattun und den blauen Kissenüberzug wohl, den ihr Hermann im Bündel gebracht hat. Sie verwendete schnell, fürwahr, und gut die Geschenke. Diese sind deutliche Zeichen, es treffen die übrigen alle; Denn der rote Latz erhebt den gewölbeten Busen, Schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr knapp an; Sauber ist der Saum des Hemdes zur Krause gefaltet Und umgibt ihr das Kinn, das runde, mit reinlicher Anmut; Frei und heiter zeigt sich des Kopfes zierliches Eirund, Und die starken Zöpfe um silberne Nadeln gewickelt; Sitzt sie gleich, so sehen wir doch die treffliche Größe Und den blauen Rock, der, vielgefaltet, vom Busen Reichlich herunterwallt zum wohlgebildeten Knöchel. Ohne Zweifel, sie ist’s. Drum kommet, damit wir vernehmen, Ob sie gut und tugendhaft sei, ein häusliches Mädchen.”

Da versetzte der Pfarrer, mit Blicken die Sitzende prüfend: “Daß sie den Jüngling entzückt, fürwahr, es ist mir kein Wunder, Denn sie hält vor dem Blick des erfahrenen Mannes die Probe. Glücklich, wem doch Mutter Natur die rechte Gestalt gab! Denn sie empfiehlst ihn stets, und nirgends ist er ein Fremdling. Jeder nahet sich gern, und jeder möchte verweilen, Wenn die Gefälligkeit nur sich zu der Gestalt noch gesellet. Ich versichr’ Euch, es ist dem Jüngling ein Mädchen gefunden, Das ihm die künftigen Tage des Lebens herrlich erheitert, Treu mit weiblicher Kraft durch alle Zeiten ihm beisteht. So ein vollkommener Körper gewiß verwahrt auch die Seele Rein, und die rüstige Jugend verspricht ein glückliches Alter.” Und es sagte darauf der Apotheker bedenklich: “Trüget doch öfter der Schein! Ich mag dem Äußern nicht trauen, Denn ich habe das Sprichwort so oft erprobet gefunden: “Eh’ du den Scheffel Salz mit dem neuen Bekannten verzehret, Darfst du nicht leichtlich ihm trauen; dich macht die Zeit nur gewisser, Wie du es habest mit ihm und wie die Freundschaft bestehe.” Lasset uns also zuerst bei guten Leuten uns umtun, Denen das Mädchen bekannt ist und die uns von ihr nun erzählen.”

“Auch ich lobe die Vorsicht”, versetzte der Geistliche folgend; “Frein wir doch nicht für uns! Für andere frein ist bedenklich.” Und sie gingen darauf dem wackern Richter entgegen, Der in seinen Geschäften die Straße wieder heraufkam. Und zu ihm sprach sogleich der kluge Pfarrer mit Vorsicht: “Sagt! wir haben ein Mädchen gesehn, das im Garten zunächst hier Unter dem Apfelbaum sitzt und Kindern Kleider verfertigt Aus getragnem Kattun, der ihr vermutlich geschenkt ward. Uns gefiel die Gestalt, sie scheint der Wackeren eine. Saget uns, was Ihr wißt; wir fragen aus löblicher Absicht.”

Als, in den Garten zu blicken, der Richter sogleich nun herzutrat, Sagt’ er: “Diese kennet Ihr schon; denn wenn ich erzählte Von der herrlichen Tat, die jene Jungfrau verrichtet, Als sie das Schwert ergriff und sich und die Ihren beschützte Diese war’s! Ihr seht es ihr an, sie ist rüstig geboren, Aber so gut wie stark; denn ihren alten Verwandten Pflegte sie bis zum Tode, da ihn der Jammer dahinriß Über des Städtchens Not und seiner Besitzung Gefahren. Auch, mit stillem Gemüt, hat sie die Schmerzen ertragen Über des Bräutigams Tod, der, ein edler Jüngling, im ersten Feuer des hohen Gedankens nach edler Freiheit zu streben, Selbst hinging nach Paris und bald den schrecklichen Tod fand; Denn wie zu Hause, so dort, bestritt er Willkür und Ränke.” Also sagte der Richter. Die beiden schieden und dankten, Und der Geistliche zog ein Goldstück (das Silber des Beutels War vor einigen Stunden von ihm schon milde verspendet, Als er die Flüchtlinge sah in traurigen Haufen vorbeiziehn), Und er reicht’ es dem Schulzen und sagte: “Teilet den Pfennig Unter die Dürftigen aus, und Gott vermehre die Gabe!” Doch es weigerte sich der Mann und sagte: “Wir haben Manchen Taler gerettet und manche Kleider und Sachen, Und ich hoffe, wir kehren zurück, noch eh es verzehrt ist.”

Da versetzte der Pfarrer und drückt’ ihm das Geld in die Hand ein: “Niemand säume zu geben in diesen Tagen, und niemand Weigre sich anzunehmen, was ihm die Milde geboten! Niemand weiß, wie lang er es hat, was er ruhig besitzet; Niemand, wie lang er noch in fremden Landen umherzieht Und des Ackers entbehrt und des Gartens, der ihn ernähret.”

“Ei doch!” sagte darauf der Apotheker geschäftig, “Wäre mir jetzt nur Geld in der Tasche, so solltet Ihr’s haben, Groß wie klein; denn viele gewiß der Euren bedürfen’s. Unbeschenkt doch laß ich Euch nicht, damit Ihr den Willen Sehet, woferne die Tat auch hinter dem Willen zurückbleibt." Also sprach er und zog den gestickten ledernen Beutel An den Riemen hervor, worin der Tobak ihm verwahrt war, Öffnete zierlich und teilte; da fanden sich einige Pfeifen. “Klein ist die Gabe”, setzt’ er dazu. Da sagte der Schultheiß. “Guter Tobak ist doch dem Reisenden immer willkommen.” Und es lobte darauf der Apotheker den Knaster.

Aber der Pfarrherr zog ihn hinweg, und sie schieden vom Richter. “Eilen wir!” sprach der verständige Mann; “es wartet der Jüngling Peinlich. Er höre so schnell als möglich die fröhliche Botschaft.” Und sie eilten und kamen und fanden den Jüngling gelehnet An den Wagen unter den Linden. Die Pferde zerstampften Wild den Rasen; er hielt sie im Zaum und stand in Gedanken, Blickte still vor sich hin und sah die Freunde nicht eher, Bis sie kommend ihn riefen und fröhliche Zeichen ihm gaben. Schon von ferne begann der Apotheker zu sprechen; Doch sie traten näher hinzu. Da faßte der Pfarrherr Seine Hand und sprach und nahm dem Gefährten das Wort weg: “Heil dir, junger Mann! dein treues Auge, dein treues Herz hat richtig gewählt! Glück dir und dem Weibe der Jugend! Deiner ist sie wert; drum komm und wende den Wagen, Daß wir fahrend sogleich die Ecke des Dorfes erreichen, Um sie werben und bald nach Hause führen die Gute.”

Aber der Jüngling stand, und ohne Zeichen der Freude Hört’ er die Worte des Boten, die himmlisch waren und tröstlich, Seufzete tief und sprach: “Wir kamen mit eilendem Fuhrwerk, Und wir ziehen vielleicht beschämt und langsam nach Hause; Denn hier hat mich, seitdem ich warte, die Sorge befallen, Argwohn und Zweifel und alles, was nur ein liebendes Herz kränkt. Glaubt Ihr, wenn wir nur kommen, so werde das Mädchen uns folgen, Weil wir reich sind, aber sie arm und vertrieben einherzieht? Armut selbst macht stolz, die unverdiente. Genügsam Scheint das Mädchen und tätig; und so gehört ihr die Welt an. Glaubt Ihr, es sei ein Weib von solcher Schönheit und Sitte Aufgewachsen, um nie den guten Jüngling zu reizen? Glaubt Ihr, sie habe bis jetzt ihr Herz verschlossen der Liebe? Fahret nicht rasch bis hinan; wir möchten zu unsrer Beschämung Sachte die Pferde herum nach Hause lenken. Ich fürchte, Irgendein Jüngling besitzt dies Herz, und die wackere Hand hat Eingeschlagen und schon dem Glücklichen Treue versprochen. Ach! da steh ich vor ihr mit meinem Antrag beschämet.”

Ihn zu trösten, öffnete drauf der Pfarrer den Mund schon; Doch es fiel der Gefährte mit seiner gesprächigen Art ein: “Freilich! so wären wir nicht vorzeiten verlegen gewesen, Da ein jedes Geschäft nach seiner Weise vollbracht ward. Hatten die Eltern die Braut für ihren Sohn sich ersehen, Ward zuvörderst ein Freund vom Hause vertraulich gerufen; Diesen sandte man dann als Freiersmann zu den Eltern Der erkorenen Braut, der dann in stattlichem Putze Sonntags etwa nach Tische den würdigen Bürger besuchte, Freundliche Worte mit ihm im allgemeinen zuvörderst Wechselnd und klug das Gespräch zu lenken und wenden verstehend. Endlich nach langem Umschweif ward auch der Tochter erwähnet, Rühmlich, und rühmlich des Manns und des Hauses, von dem man gesandt war. Kluge Leute merkten die Absicht; der kluge Gesandte Merkte den Willen gar bald und konnte sich weiter erklären. Lehnte den Antrag man ab, so war auch ein Korb nicht verdrießlich. Aber gelang es denn auch, so war der Freiersmann immer In dem Hause der Erste bei jedem häuslichen Feste; Denn es erinnerte sich durchs ganze Leben das Ehpaar, Daß die geschickte Hand den ersten Knoten geschlungen. Jetzt ist aber das alles mit andern guten Gebräuchen Aus der Mode gekommen, und jeder freit für sich selber. Nehme denn jeglicher auch den Korb mit eigenen Händen, Der ihm etwa beschert ist, und stehe beschämt vor dem Mädchen!”

“Sei es, wie ihm auch sei!” versetzte der Jüngling, der kaum auf Alle die Worte gehört und schon sich im stillen entschlossen; “Selber geh ich und will mein Schicksal selber erfahren Aus dem Munde des Mädchens, zu dem ich das größte Vertrauen Hege, das irgendein Mensch nur je zu dem Weibe gehegt hat. Was sie sagt, das ist gut, es ist vernünftig, das weiß ich. Soll ich sie auch zum letztenmal sehn, so will ich noch einmal Diesem offenen Blick des schwarzen Auges begegnen; Drück ich sie nie an das Herz, so will ich die Brust und die Schultern Einmal noch sehn, die mein Arm so sehr zu umschließen begehret; Will den Mund noch sehen, von dem ein Kuß und das Ja mich Glücklich macht auf ewig, das Nein mich auf ewig zerstöret. Aber laßt mich allein! Ihr sollt nicht warten. Begebet Euch zu Vater und Mutter zurück, damit sie erfahren, Daß sich der Sohn nicht geirrt, und daß es wert ist das Mädchen. Und so laßt mich allein! Den Fußweg über den Hügel An dem Birnbaum hin und unsern Weinberg hinunter Geh ich näher nach Hause zurück. Oh, daß ich die Traute Freudig und schnell heimführte! Vielleicht auch schleich ich alleine Jene Pfade nach Haus und betrete froh sie nicht wieder.”

Also sprach er und gab dem geistlichen Herrn die Zügel, Der verständig sie faßte, die schäumenden Rosse beherrschend, Schnell den Wagen bestieg und den Sitz des Führers besetzte.

Aber du zaudertest noch, vorsichtiger Nachbar, und sagtest: “Gerne vertrau ich, mein Freund, Euch Seel’ und Geist und Gemüt an; Aber Leib und Gebein ist nicht zum besten verwahret, Wenn die geistliche Hand der weltlichen Zügel sich anmaßt.” Doch du lächeltest drauf, verständiger Pfarrer, und sagtest: “Sitzet nur ein, und getrost vertraut mir den Leib, wie die Seele; Denn geschickt ist die Hand schon lange, den Zügel zu führen, Und das Auge geübt, die künstlichste Wendung zu treffen. Denn wir waren in Straßburg gewohnt, den Wagen zu lenken, Als ich den jungen Baron dahin begleitete; täglich Rollte der Wagen, geleitet von mir, das hallende Tor durch, Staubige Wege hinaus, bis fern zu den Auen und Linden, Mitten durch Scharen des Volks, das mit Spazieren den Tag lebt.”

Halb getröstet bestieg darauf der Nachbar den Wagen, Saß wie einer, der sich zum weislichen Sprunge bereitet; Und die Hengste rannten nach Hause, begierig des Stalles. Aber die Wolke des Staubs quoll unter den mächtigen Hufen. Lange noch stand der Jüngling und sah den Staub sich erheben, Sah den Staub sich zerstreun; so stand er ohne Gedanken.

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