Die Göttliche Komoedie
By Dante Alighieri

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Die Hölle

Erster Gesang

Auf halbem Weg des Menschenlebens fand
ich mich in einen finstern Wald verschlagen,
Weil ich vom rechten Weg mich abgewandt.
Wie schwer ist’s doch, von diesem Wald zu sagen,
Wie wild, rauh, dicht er war, voll Angst und Not;
Schon der Gedank’ erneuert noch mein Zagen.
Nur wenig bitterer ist selbst der Tod;
Doch um vom Heil, das ich drin fand, zu künden,
Sag’ ich, was sonst sich dort den Blicken bot.
Nicht weiß ich, wie ich mich hineingewunden,
So ganz war ich von tiefem Schlaf berückt,
Zur Zeit, da mir der wahre Weg verschwunden.
Doch bis zum Fuß des Hügels vorgerückt,
Der an dem Ende lag von jenem Tale,
Das mir mit schwerer Furcht das Herz gedrückt,
Schaut’ ich empor und sah, den Rücken male
Ihm der Planet, der uns auf jeder Bahn
Gerad zum Ziele führt mit feinem Strahle.
Da fingen Angst und Furcht zu Schwinden an,
Die mir des Herzens Blut erstarren machten,
In jener Nacht, da Grausen mich umfah’n.
Und so wie atemlos, nach Angst und Schmachten,
Schiffbrüchige vom Strand, entfloh’n der Flut,
Starr rückwärts schauend, ihren Grimm betrachten;
So kehrt’ ich, noch mit halberstorbnem Mut,
Mich jetzt zurück, nach jenem Passe sehend,
Der jeglichem verlöscht des Lebens Glut.
Und, etwas ausgerastet, weitergehend,
Wählt’ ich bergan den Weg der Wildnis mir,
Fest immer auf dem tiefern Fuße stehend.
Sieh, beim Beginn des steilen Weges schier,
Bedeckt mit buntgeflecktem Fell die Glieder,
Gewandt und sehr behend ein Panthertier.
Nicht wich’s von meinem Angesichte wieder,
Und also hemmt es meinen weitern Lauf,
Daß ich mich öfters wandt’ ins Tal hernieder.
Am Morgen war’s, die Sonne stieg itzt auf,
Von jenen Sternen, so wie einst, umgeben,
Als Gottes Lieb’ aus ödem Nichts herauf
Die schöne Welt berief zu Sein und Leben;
So ward mir Grund zu guter Hoffnung zwar
Durch jenes Tieres heitres Fell gegeben
Und durch die Frühstund’ und das junge Jahr
Doch so nicht, daß in mir nicht Furcht sich regte,
Als furchtbar mir ein Leu erschienen war.
Es schien, daß er sich gegen mich bewegte,
Mit hohem Haupt und mit des Hungers Wut,
So daß er Schrecken, schien’s, der Luft erregte.
Auch eine Wölfin, welche jede Glut
Der Gier durch Magerkeit mir schien zu zeigen,
Die schon auf viele schweren Jammer lud.
Vor dieser mußte so mein Mut sich neigen
Aus Furcht, die bei dem Anblick mich durchbebt,
Daß mir die Hoffnung schwand, zur Höh’n zu steigen.
Wie der, der eifrig zu gewinnen strebt,
Wenn zum Verlieren nun die Zeit gekommen,
In Kümmernis und tiefem Bangen lebt;
So machte dieses Untier mich beklommen;
Von ihm gedrängt, mußt’ ich mich rückwärts zieh’n
Dorthin, wo nimmer noch der Tag entkommen.
Als ich zur Tiefe niederstürzt’ im Flieh’n,
Da war ein Wesen dorten zu erkennen,
Das durch zu langes Schweigen heiser schien.
Ich rief, sobald ich’s nur gewahren können
In großer Wildnis: “O erbarme dich,
Du, seist du Schatten, seist du Mensch zu nennen."
Und jener sprach: “Nicht bin, doch Mensch war ich;
Lombarden waren die, so mich erzeugten,
Und beide priesen Mantuaner sich.
Eh’, spät, die Römer sich dem Julius beugten,
Sah ich das Licht, sah des Augustus Thron,
Zur Zeit der Götter, jener Trugerzeugten.
Ich war Poet und sang Anchises’ Sohn,
Der Troja floh, besiegt durch Feindestücke,
Als, einst so stolz, in Staub sank Ilion.
Und du–du kehrst zu solchem Gram zurücke?
Was bleibt die freud’ge Höhe nicht dein Ziel,
Die Anfang ist und Grund zum vollen Glücke?"
“So bist du,” rief ich, “bist du der Virgil,
Der Quell, dem reich der Rede Strom entflossen?"
Ich sprach’s mit Scham, die meine Stirn befiel.
“O Ehr’ und Licht der andern Kunstgenossen,
Mir gelt’ itzt große Lieb’ und langer Fleiß,
Die meinem Forschen dein Gedicht erschlossen.
Mein Meister, Vorbild! dir gebührt der Preis,
Den ich durch schönen Stil davongetragen,
Denn dir entnahm ich, was ich kann und weiß.
Sieh dieses Tier, o sieh’ mich’s rückwärts jagen,
Berühmter Weiser, sei vor ihm mein Hort.
Es macht mir zitternd Puls’ und Adern schlagen."
“Du mußt auf einem andern Wege fort,"
Sprach er zu mir, den ganz der Schmerz bezwungen,
“Willst du entfliehn aus diesem wilden Ort,
Denn dieses Tier, das dich mit Graun durchdrungen,
Läßt keinen zieh’n auf seines Weges Spur,
Hemmt jeden, bis es endlich ihn verschlungen.
Es ist von böser, tückischer Natur
Und nimmer fühlt’s die wilde Gier ermatten,
Ja, jeder Fraß schärft seinen Hunger nur.
Mit vielen Tieren wird sich’s noch begatten,
Bis daß die edle Dogge kommt, die kühn
Es würgt und hinstürzt in die ew’gen Schatten.
Nicht wird nach Land und Erz ihr Hunger glüh’n,
Doch wird sie nie an Lieb’ und Weisheit darben;
Inmitten Feltr’ und Feltro wird sie blüh’n,
Zu Welschlands Heil, des Ruhm und Glück verdarben,
Obwohl vordem Camilla für dies Land,
Eurialus, Turnus und Nisus starben.
Nicht wird sie ruh’n, bis sie dies Tier verbannt;
Sie wird es wieder in die Hölle senken,
Von wo’s zuerst der Neid heraufgesandt.
Du folg’ itzt mir zu deinem Heil–mein Denken
Und Urteil ist’s–ich will dein Führer sein,
Und dich durch ew’gen Ort von hinnen lenken.
Dort wirst du hören der Verzweiflung Schrei’n,
Wirst alte Geister schau’n, die brünstig flehen
Um zweiten Tod in ihrer langen Pein.
Wirst jene dann im Feu’r zufrieden sehen,
Weil sie verhoffen, zu dem sel’gen Chor,
Sei’s wann es immer sei, noch einzugehen.
Und willst du auch zu diesem dann empor,
Würd’ger als ich, wird eine Seel’ erscheinen,
Die geht, schied ich, als Führerin dir vor.
Denn jener, der dort oben herrscht, läßt keinen
Eingehn, von mir geführt, in seine Stadt,
Weil ich mich nicht verbunden mit den Seinen.
Er herrscht im All, dort ist die Herrscherstatt,
Sein Thron und seine Burg in jener Höhe.
Heil dem, den er erwählt dort oben hat"
“O Dichter,” Sprach ich jetzt zu ihm, “ich flehe
Bei jenem Gotte, den du nicht erkannt,
Daß diesem Leid und schlimmerm ich entgehe,
Bring’ an die Orte mich, die du genannt,
So, daß ich Petri Tor erschauen möge
Und jene, wie du sprachst, zur Qual verbannt."
Da schritt er fort, ich folgte seinem Wege.

Zweiter Gesang

Der Tag verging, das Dunkel brach herein,
Und Nacht entzog die Wesen auf der Erden
All ihren Müh’n; da rüstet’ ich allein
Mich zu dem harten Krieg und den Beschwerden
Des Wegs und Mitleids, und jetzt soll ihr Bild
Gemalt aus sicherer Erinn’rung werden.
O Mus’, o hoher Geist, jetzt helft mir mild!
Erinn’rung, die du schriebst, was ich gesehen,
Hier wird sich’s zeigen, ob dein Adel gilt!
“Jetzt, Dichter,” fing ich an, “bevor wir gehen,
Erwäge meine Kraft und Tüchtigkeit,
Kann sie die große Reise wohl bestehen?
Du sagst, daß Silvius’ Vater in der Zeit,
im Körper noch und noch ein sterblich Wesen,
Sei eingedrungen zur Unsterblichkeit.
Doch da der ew’ge Gegner alles Bösen
in seinen Empire’n zum Stifter ihn
Der Mutter Roma und des Reichs erlesen,
Kann jeder, dem Vernunft ihr Licht verlieh’n,
Beim hocherhabnen Zweck es wohl ergründen,
Daß er nicht unwert solcher Huld erschien.
Denn Rom und Reich, um Wahres zu verkünden,
Gestiftet wurden sie, die heil’ge Stadt
Zum Sitz für Petri Folger zu begründen.
Durch diesen Gang, den du ihm nachrühmst, hat
Er Kunde des, wodurch er siegt’, empfangen
Und Grund gelegt zur heil’gen Herrscherstatt.
Ist das erwählte Rüstzeug hingegangen,
So stärkt’ es in dem Glauben dann die Welt,
In dem der Weg des Heiles angefangen.
Doch ich? Warum? Wer hat mir’s freigestellt?
Äneas nicht noch Paul, ich, dessen Schwäche
Nicht ich, noch jemand dessen würdig hält,
Wenn ich dorthin zu kommen mich erfreche,
So fürcht’ ich, daß mein Kommen töricht sei.
Du, Weiser, weißt es besser, als ich spreche."
Und wie wer will und nicht will, mancherlei
Erwägt und prüft und fühlt im bangen Schwanken,
Mit dem, was er begonnen, sei’s vorbei;
So ich–das, was ich leicht und ohne Wanken
Begonnen hatte, gab ich wieder auf,
Entmutigt von den wechselnden Gedanken.
“Verstand ich dich,” so sprach der Schatten drauf,
“So fühlst du Angst und Schrecken sich erneuen,
Und Feigheit nur hemmt deinen weitern Lauf.
Das Beste macht sie oft den Mann bereuen,
Daß er zurückespringt von hoher Tat,
Gleich Rossen, die vor Truggebilden scheuen.
Doch hindre sie dich nicht am weitern Pfad,
Drum höre jetzt, was ich zuerst vernommen,
Da mir’s um dich im Herzen wehe tat.
Mich, nicht in Höll’ und Himmel aufgenommen,
Rief eine Frau, so selig und so schön,
Daß ihr Geheiß mir wert war und willkommen.
Mit Augen, gleich dem Licht an Himmelshöhn
Begann sie gegen mich gelind und Ieise,
Und jeder Laut war englisches Getön:
O Geist, geboren einst zu Mantuas Preise,
Des Ruhm gedauert hat und dauern wird,
Solang die Sterne zieh’n in ihrem Kreise,
Mein Freund, doch nicht der Freund des Glückes, irrt
In Wildnis dort, weil Wahn im Weg’ ihn störte,
So daß er sich gewandt, von Furcht verwirrt.
Schon irrte, fürcht’ ich, also der Betörte,
Daß ich zu spät zum Schutz mich aufgerafft,
Nach dem, was ich von ihm im Himmel hörte.
Du geh; es sei durch deiner Rede Kraft,
Durch das, was sonst ihm Not, sein Leid geendet,
So sei ihm Hilf und Ruhe mir verschafft.
Beatrix; bin ich, die ich dich gesendet;
Mich trieb die Lieb’ und spricht aus meinem Wort.
Vom Ort komm’ ich, wohin mein Wunsch sich wendet.
Und steh’ ich erst vor meinem König dort,
So werd ich oft dich loben und ihm preisen–
Sie sprach’s und schwieg, und ich begann sofort:
O Weib voll Kraft, du Lehrerin der Weisen,
Durch das die Menschheit alles überragt,
Was lebt in jenes Himmels kleinern Kreisen!
Spät dächt’ ich, wie mir dein Befehl behagt,
Zu tun, tat’ ich sogleich, was du gebietest.
Wohl deutlich haft du deinen Wunsch gesagt,
Doch sage mir, warum du dich nicht hütest
Herabzugeh’n zum Mittelpunkt vom Licht,
Wohin du schon zurückzukehren glühtest.
Willst du es denn so tief ergründen, spricht
Die Hohe darauf, so will ich’s kürzlich sagen.
Ich fürchte mich vor diesem Dunkel nicht.
Vor solchem Übel ziemt sich wohl zu zagen,
Das mächtig ist und leicht uns Schaden tut,
Vor solchem nicht, bei welchem nichts zu wagen.
Gott schuf mich so, daß ich in seiner Hut
Frei von den Nöten bin, die euch durchschauern,
Und nicht ergreift mich dieses Brandes Glut.
Ein edles Weib im Himmel sieht mit Trauern
Das Hindernis, zu dem ich dich gesandt,
Drum kann der harte Spruch nicht länger dauern.
Sie flehte, zu Lucien hingewandt:
Dein Treuer braucht dich jetzt im harten Streite,
Darum empfehl’ ich ihn in deine Hand.
Lucia, die sich ganz dem Mitleid weihte,
Bewegte sich zum Orte, wo ich war,
In Ruhe sitzend an der Rahel Seite.
Sie sprach: Beatrix, Gottes Preis fürwahr!
Hilfst du ihm nicht, ihm, der aus großer Liebe
Für dich entrann aus der gemeinen Schar,
Als ob dein Ohr taub seinen Klagen bliebe,
Als sähest du ihn nicht im Wirbel dort,
Bedroht, mehr als ob Meeressturm ihn triebe?
Nicht eilt so schnell auf Erden einer fort,
Den Gier nach Glück und Furcht vor Leid betören,
Wie ich herabgeeilt bei solchem Wort,
Von meinem Sitz in jenen sel’gen Chören,
Vertrau’nd auf deiner würd’gen Rede Macht,
Die Ruhm dir bringt und allen, die sie hören–
Als nun Beatrix solches vorgebracht,
Da wandte sie die Augenstern’ in Zähren,
Und dies hat mich nur schneller hergebracht.
So komm’ ich denn daher auf ihr Begehren,
Das Untier von dir scheuchend, dem’s gelang,
Den kurzen Weg des schönen Bergs zu wehren.
Was also ist dir? Warum weilst du bang?
Was herbergst du die Feigheit im Gemüte?
Was weicht dein Mut, dein kühner Tatendrang,
Da sich drei heil’ge Himmelsfrau’n voll Güte
Für dich bemüh’n und dir mein Mund verspricht,
Daß ihre treue Sorge dich behüte?"
Gleichwie die Blum’ im ersten Sonnenlicht,
Beim nächt’gen Reif gesunken und verschlossen,
Den Stiel erhebt und ihren Kelch entflicht;
So hob die Kraft, erst schmachtend und verdrossen,
In meinem Herzen sich zu gutem Mut,
Und ich begann, frohsinnig und entschlossen:
“O wie ist sie, die für mich sorgte, gut!
Wie freundlich bist auch du, der den Befehlen
Der Herrlichen so schnell Genüge tut l
Schon fühl’ ich mich zu heißer Sehnsucht stählen
Von deinem Wort, schon fühl’ ich, nicht mehr bang,
Vom ersten Vorsatz wieder mich beseelen.
Drum auf, in beiden ist ein gleicher Drang,
Herr, Führer, Meister, auf zum großen Wege!"
Ich sprach’s zu ihm, und, folgend seinem Gang,
Schritt ich daher auf waldig rauhem Stege.

Dritter Gesang

Durch mich geht’s ein zur Stadt der Qualerkornen,
Durch mich geht’s ein zum ew’gen Weheschlund,
Durch mich geht’s ein zum Volke der Verlornen.
Das Recht war meines hohen Schöpfers Grund;
Die Allmacht wollt’ in mir sich offenbaren;
Allweisheit ward und erste Liebe kund.
Die schon vor mir erschaffnen Dinge waren
Nur ewige; und ewig daur’ auch ich.
Laßt, die ihr eingeht jede Hoffnung fahren.
Die Inschrift zeigt’ in dunkler Farbe sich
Geschrieben dort am Gipfel einer Pforte,
Drum ich: Hart, Meister, ist ihr Sinn für mich.
Er, als Erfahrner, sprach dann diese Worte:
“Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
Und jede Feigheit sterb’ an diesem Orte.
Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt,
Hier wirst du jene Jammervollen schauen,
Für die das Heil des wahren Lichtes schwand."
Er faßte meine Hand, daher Vertrauen
Durch sein Gesicht voll Mut auch ich gewann.
Drauf führt’ er mich in das geheime Grauen.
Dort hob Geächz, Geschrei und Klagen an,
Laut durch die sternenlose Luft ertönend,
So daß ich selber weinte, da’s begann.
Verschiedne Sprachen, Worte, gräßlich dröhnend,
Handschläge, Klänge heiseren Geschreis,
Die Wut, aufkreischend, und der Schmerz, erstöhnend–
Dies alles wogte tosend stets, als sei’s
Im Wirbel Sand, durch Lüfte, die zu schwärzen
Es keiner Nacht bedarf, im ew’gen Kreis.
Und, ich vom Wahn umstrickt und bang im Herzen,
Sprach: Meister, welch Geschrei, das sich erhebt?
Wer ist doch hier so ganz besiegt von Schmerzen?
Und er: “Der Klang, der durch die Lüfte bebt,
Kommt von den Jammerseelen jener Wesen,
Die ohne Schimpf und ohne Lob gelebt.
Gemischt find die Nicht-Guten und Nicht-Bösen
Den Engeln, die nicht Gott getreu im Strauß,
Auch Meutrer nicht und nur für sich gewesen.
Die Himmel trieben sie als Mißzier aus,
Und da durch sie der Sünder Stolz erstünde,
Nimmt sie nicht ein der tiefen Hölle Graus."
Ich drauf: Was füllt ihr Wehlaut diese Gründe?
Was ist das Leiden, das so hart sie drückt?
Und er: “Vernimm, was ich dir kurz verkünde.
Des Todes Hoffnung ist dem Volk entrückt.
Im blinden Leben, trüb und immer trüber,
Scheint ihrem Neid jed’ andres Los beglückt.
Sie kamen lautlos aus der Welt herüber,
Von Recht und Gnade werden sie verschmäht.
Doch still von ihnen–Schau’ und geh vorüber."
Ich schaute hin und sah im Kreis geweht,
Ein Fähnlein zieh’n, so eilig umgeschwungen,
Daß sich’s zum Ruh’n, so schien mir’s, nie versteht.
In langer Reihe folgten ihm, gezwungen,
So viele Leute, daß ich kaum geglaubt,
Daß je der Tod so vieles Volk verschlungen.
Und hier erblickt’ ich manch bekanntes Haupt,
Auch jenes Schatten, der aus Angst und Zagen
Sich den Verzicht, den großen, feig erlaubt.
Ich war sogleich gewiß, auch hört’ ich sagen,
Dies sei der Schlechten jämmerliche Schar,
Die Gott und seinen Feinden mißbehagen.
Dies Jammervolk, das niemals lebend war,
War nackend und von Flieg’ und Wesp’ umflogen,
Und ward gestachelt viel und immerdar.
Tränen und Blut aus ihren Wunden zogen
In Streifen durch das Antlitz bis zum Grund,
Wo ekle Würmer draus sich Nahrung sogen.
Drauf, als ich weiter blickt’ im düstern Schlund,
Erblickt’ ich Leut’ an einem Stromgestade
Und sprach: “Jetzt tu, ich bitte, Herr, mir kund,
Von welcher Art sind die, die so gerade,
Wie ich beim düstern Dämmerlicht ersehn,
So eilig weiterzieh’n auf ihrem Pfade?"
Und er darauf: “Dir wird genug gescheh’n
Am Acheron–dort wird sich alles zeigen,
Wenn wir am traur’gen Ufer stillestehn."
Da zwang mich Scham, die Augen tief zu neigen,
Aus Furcht, daß ihm mein Fragen lästig sei,
Und ich gebot mir bis zum Strome Schweigen.
Und sieh, es kam ein Mann zu Schiff herbei,
Ein Greis, bedeckt mit schneeig weißen Haaren.
“Weh euch, Verworfne!” tönte sein Geschrei.
“Nicht hofft, den Himmel jemals zu gewahren.
Ich komm’, euch jenseits hin an das Gestad’
In ew’ge Nacht, in Hitz’ und Frost zu fahren.
Und du, lebend’ge Seele, die genaht,
Mußt dich von diesen, die gestorben, trennen!"–
Dann, da er sah, daß ich nicht rückwärts trat:
“Hier kann ich dir den Übergang nicht gönnen,
Für dich geziemen andre Wege sich,
Ein leichtrer Kahn nur wird dich tragen können."
Virgil drauf: “Charon, nicht erbose dich.
Dort, wo der Wille Macht ist, ward’s verhangen;
Dies sei genug, nicht weiter frage mich."
Hierauf ließ ruhen die bewollten Wangen
Des fahlen Sumpfs erzürnter Steuermann,
Des Augen Flammenräder rings umschlangen.
Da hob grau’nvolles Zähneklappen an,
Und es entfärbten sich die Tiefgebeugten,
Seit Charon jenen grausen Spruch begann.
Sie fluchten Gott und denen, die sie zeugten,
Dem menschlichen Geschlecht, dem Vaterland,
Dem ersten Licht, den Brüsten, die sie säugten.
Dann drängten sie zusammen sich am Strand,
Dem Schrecklichen, zu welchem alle kommen,
Die Gott nicht scheu’n, und laut Geheul entstand.
Charon, mit Augen, die wie Kohlen glommen,
Winkt’ ihnen und schlug mit dem Ruder los,
Wenn einer sich zum Warten Zeit genommen.
Gleich wie im Herbste bei des Nordwinds Stoß
Ein Blatt zum ändern fällt, bis daß sie alle
Der Baum erstattet hat dem Erdenschoß;
So stürzen, hergewinkt, in jähem Falle
Sich Adams schlechte Sprossen in den Kahn,
Wie angelockte Vögel in die Falle.
Durch schwarze Fluten geht des Nachens Bahn,
Und eh’ sie noch das Ufer dort erreichen,
Drängt hier schon eine neue Schar heran.
“Mein Sohn,” sprach mild der Meister, “die erbleichen
In Gottes Zorne, werden alle hier
Am Strand vereint aus allen Erdenreichen.
Man scheint zur Überfahrt sehr eilig dir,
Doch die Gerechtigkeit treibt diese Leute
Und wandelt ihre bange Furcht in Gier.
Kein guter Geist macht diese Fahrt; und dräute
Dir Charon, weil du hier dich eingestellt,
So kannst du wissen, was sein Wort bedeute"–
Hier wankte so mit Macht das dunkle Feld,
Daß mich noch jetzt Schweißtropfen übertauen,
Sooft dies Schreckensbild mich überfällt.
Ein Windstoß fuhr aus den betränten Auen,
Und blitzt’ ein rotes Licht, das jeden Sinn
Bewältigte mit ungeheurem Grauen,
Und, wie vom Schlaf befallen, stürzt’ ich hin–

Vierter Gesang

Mir brach den Schlaf im Haupt ein Donnerkrachen,
So schwer, daß ich zusammenfuhr dabei,
Wie einer, den Gewalt zwingt, zu erwachen.
Ich warf umher das Auge wach und frei,
Emporgerichtet spähend, daß ich sähe
Und unterschied’, an welchem Ort ich sei.
So fand ich mich am Talrand, in der Nähe
Des qualenvollen Abgrunds, dessen Kluft
Zum Donnerhall vereint unendlich Wehe.
Tief war er, dunkel, nebelhaft die Luft,
Drum wollte nichts sich klar dem Blicke zeigen,
Den ich geheftet an den Grund der Gruft.
“Laß uns zur blinden Welt hinunter steigen,
Ich bin der Erste, du der Zweite dann."
So sprach Virgil, um drauf erblaßt zu schweigen.
Ich, sehend, wie die Bläss’ ihn überrann,
Sprach: Scheust du selber dich, wie kann ich’s wagen
Der Trost im Zweifel nur durch dich gewann?
Und er zu mir: “Des tiefen Abgrunds Plagen
Entfärben mir durch Mitleid das Gesicht,
Und nicht, so wie du meinst, durch feiges Zagen.
Fort, zaudern läßt des Weges Läng’ uns nicht."
So ging er fort und rief zum ersten Kreise
Mich auch hinein, der jene Kluft umflicht.
Mir schien, nach meinem Ohr, des Klanges Weise,
Der durch die Luft hier bebt’ im ew’gen Tal,
Nicht Klaggeschrei, nur Seufzer dumpf und leise.
Und dieses kam vom Leiden ohne Qual
Der Kinder, Männer und der Frau’n, in Scharen,
Die viele waren und von großer Zahl-
Da sprach der Meister: “Willst du nicht erfahren,
Zu welchen Geistern du gekommen bist?
Bevor wir fortgehn, will ich offenbaren,
Daß sie nicht sündigten; doch g’nügend mißt
Nicht ihr Verdienst, da sie der Tauf entbehrten,
Die Pfort’ und Eingang deines Glaubens ist.
Und lebten sie vor Christo auch, so ehrten
Sie doch den Höchsten nicht, wie sich’s gebührt;
Und diese Geister nenn’ ich selbst Gefährten.
Nur dies, nichts andres hat uns hergeführt.
Daß wir in Sehnsucht ohne Hoffnung leben,
Ward uns Verlornen nur als Straf erkürt."
Groß war mein Schmerz, als er dies kundgegeben,
Denn Leute großen Wertes zeigten sich,
Die unentschieden hier im Vorhof schweben.
Und ich begann: Mein Herr und Meister, sprich
(Ich wollte mich in jenem Glauben stärken,
Vor dessen Licht des Irrtums Nacht entwich),
Kam keiner je durch Kraft von eignen Werken,
Durch fremd Verdienst von hier zur Seligkeit?–
Er schien des Worts versteckten Sinn zu merken
Und sprach: “Ich war noch neu in diesem Leid,
Da ist ein Mächtiger hereingedrungen.
Bekrönt mit Siegesglanz und Herrlichkeit.
Der hat des Urahns Geist der Höll” entrungen,
Auch Abels, Noahs; und auch Moses hat,
Der Gott gehorcht, mit ihm sich aufgeschwungen.
Abram und David folgten seinem Pfad,
Jakob, sein Vater, seine Söhne schieden,
Und Rahel auch, für die so viel er tat.
Sie und viel andre führt’ er ein zum Frieden,
Und wissen sollst du nun: Vor diesen war
Erlösung keinem Menschengeist beschieden."
Obwohl er sprach, ging’s vorwärts immerdar,
So daß wir unterdes den Wald durchdrangen,
Den Wald, mein’ ich, der dichten Geisterschar.
Nicht weit von oben waren wir gegangen,
Als ich ein Feu’r in lichten Flammen sah,
Die rings im halben Kreis die Nacht bezwangen.
Zwar waren wir dem Ort nicht völlig nah,
Doch einen Kreis von ehrenhaften Leuten,
Die diesen Platz besetzt, erkannt’ ich da.
“Du, des sich Wissenschaft und Kunst erfreuten,
Beliebe, wer sie sind, und was sie ehrt
Und von den andern trennt, mir auszudeuten."
Ich sprach’s, und er: “Für hochgepriesnen Wert,
Der oben widerklingt in deinem Leben,
Ward ihnen hier vom Himmel Huld gewährt."
Da hört’ ich eine Stimme sich erheben:
Der hohe Dichter, auf jetzt zum Empfang!
Sein Schatten kehrt, der jüngst sich fortbegeben.
Sobald die Stimme, die dies sprach, verklang,
Sah ich heran vier große Geister schreiten,
Im Angesicht nicht fröhlich und nicht bang.
Da sprach der gute Meister mir zur Seiten:
“Sieh diesen, in der Hand das Schwert, voran
Den andern gehn, um sie als Fürst zu leiten.
Du siehst Homer, den Dichterkönig, nah’n;
Ihm folgt Horaz, berühmt durch Spott dort oben
Ovid der Dritt’, als letzter kommt Lukan.
Im Namen, den die eine Stimm’ erhoben,
Kommt mit mir selber jeder überein,
Drum ehren sie mich, und dies ist zu loben."
So war die schöne Schul’ hier im Verein
Des hohen Herrn der höchsten Sangesweise,
Der ob den andern fliegt, ein Aar, allein.
Ein Weilchen sprachen sie im trauten Greise,
Doch als sie grüßend sich zu mir gekehrt,
Da lächelte Virgtl zu solchem Preise.
Allein noch höher ward ich dort geehrt,
Indem sie mich in ihrer Schar empfingen
Als Sechsten unter solchem Geist und Wert,
Wobei wir hin bis zu dem Lichte gingen,
Sprechend, wovon ich schicklich schweigen muß,
Wie man dort schicklich sprach von solchen Dingen.
Bald kamen wir an eines Schlosses Fuß,
Von siebenfacher hoher Mau’r umfangen,
Und rings beschützt von einem schönen Fluß.
Als wir mit trocknem Fuße durchgegangen,
Ging’s weiter dann durch sieben Tore fort,
Und eine Wiese sah ich grünend prangen.
Wir fanden Leute strengen Blickes dort,
Mit großer Würd’ in Ansehn, Gang und Mienen
Und wenig sprechend, doch mit sanftem Wort.
Und wir ersah’n dort seitwärts nah bei ihnen
Frei eine Höh’ hellem Lichte glüh’n,
Vor welcher alle klar vor uns erschienen.
Dort gegenüber auf dem samtnen Grün
Sah ich die Großen, ewig Denkenswerten,
Die heut mir noch in solzer Seele blüh’n.
Elektren sah ich dort mit viel Gefährten,
Äneas, Hektorn hatt’ ich bald erkannt,
Cäsarn, den mit dem Adlerblick bewehrten.
Penthesilea war auf grünem Land;
Zur andern Seite sah ich auch Latinen,
Der bei Lavinien, seiner Tochter, stand.
Ich sah den Brutus, der verjagt Tarquinen,
Lucrezien, Julien, Marzien, und, allein
Beiseite sitzend, sah ich Saladinen.
Dann, höher blickend, sah im hellen Schein
Ich auch den Meister derer, welche wissen,
Der von den Seinen schien umringt zu sein,
Sie all ihn hochzuehren sehr beflissen;
Den Plato ihm zunächst und Sokrates,
Die dort den Sitz vor andern an sich rissen.
Den Anaxagoras, Diogenes,
Den Demokrit, des Welt der Zufall machte,
Den Zeno, Heraklit, Empedokles.
Ihn, der ans Licht der Pflanzen Kräfte brachte,
Den Dioskorides, den Orpheus dann,
Den Seneka, der Schmerz und Luft verlachte.
Auch Ptolemäus kam, Euklid heran,
So auch Averroes, der, seinen Weisen
Erklärend, selbst der Weisheit Ruhm gewann.
Doch nicht vermag ich jeden hier zu greifen,
Denn also drängt des Stoffes Größe mich,
Daß ihren Dienst mir kaum die Wort’ erweisen.
Hier teilten nun die sechs Gefährten sich.
Mich führt’ auf anderm Weg mein weiser Leiter
Dahin, wo Stille lautem Tosen wich,
Und dorthin, wo nichts leuchtet, schritt ich weiter.

Fünfter Gesang

So ging’s hinab vom ersten Kreis zum zweiten,
Der kleinern Raum, doch größres Weh umringt,
Das antreibt, Klag’ und Winseln zu verbreiten.
Graus steht dort Minos, fletscht die Zähn’ und bringt
Die Schuld ans Licht, wie tief sie sich verfehle,
Urteilt, schickt fort, je wie er sich umschlingt.
Ich sage, wenn die schlechtgeborne Seele
Ihm vorkommt, beichtet sie der Sünden Last;
Und jener Kenner aller Menschenfehle,
Sieht, welcher Ort des Abgrunds für die paßt,
Und schickt sie soviel Grad’ hinab zur Hölle,
Als oft er sich mit seinem Schweif umfaßt.
Von vielem Volk ist stets besetzt die Schwelle,
Und nach und nach kommt jeder zum Gericht,
Spricht, hört und eilt zu der bestimmten Stelle.
“Du, der in diese Qualbehausung bricht,"
So rief mir Minos, als er mich ersehen,
Und ließ indes die Übung großer Pflicht;
“Schau’, wem du traust! Leicht ist’s hineinzugehen,
Doch täusche nicht dich ein verwegner Drang."
Mein Führer drauf: “Laß dir den Groll vergehen!
Nicht hindre den von Gott gebotnen Gang,
Dort will man’s, wo das Können gleicht dem Wollen.
Nicht mehr gefragt, denn unser Weg ist lang."
Bald hört’ ich nun, wie Jammertön’ erschollen,
Denn ich gelangte nieder zu dem Haus,
Zur Klag’ und dem Geheul der Unglückvollen.
Jedwedes Licht verstummt’ im dunkeln Graus,
Das brüllte, wie wenn sich der Sturm erhoben,
Beim Kampf der Winde lautes Meergebraus.
Nie ruht der Höllenwirbelwind vom Toben
Und reißt zu ihrer Qual die Geister fort
Und dreht sie um nach unten und nach oben.
Ihr Jammerschrei, Geheul und Klagewort,
Nah’n sie den trümmervollen Felsenklüften,
Verlästern fluchend Gottes Tugend dort.
Daß Fleischessünder dies erdulden müßten,
Vernahm ich, die, verlockt vom Sinnentrug,
Einst unterwarfen die Vernunft den Lüsten.
So wie zur Winterszeit mit irrem Flug
Ein dichtgedrängter breiter Troß von Staren,
So sah ich hier im Sturm der Sünder Zug
Hierhin und dort, hinauf’, hinunterfahren,
Gestärkt von keiner Hoffnung, mindres Leid,
Geschweige jemals Ruhe zu erfahren.
Wie Kraniche, zum Streifen lang gereiht
In hoher Luft die Klagelieder krächzen,
So sah ich von des Sturms Gewaltsamkeit
Die Schatten hergeweht mit bangem Ächzen.
“Wer sind die, Meister, welche her und hin
Der Sturmwind treibt, und die nach Ruhe lechzen?"
So ich–und er: “Des Zuges Führerin,
Von welchem du gewünscht, Bericht zu hören,
War vieler Zungen große Kaiserin.
Sie ließ von Wollust also sich betören,
Daß sie für das Gelüst Gesetz’ erfand.
Um nur der tiefen Schmach sich zu erwehren.
Sie ist Semiramis, wie allbekannt,
Nachfolgerin des Ninus, ihres Gatten,
Einst herrschend in des Sultans Stadt und Land.
Dann Sie, die, ungetreu Sichäus’ Schatten,
Aus Liebe selber sich geweiht dem Tod"
Sieh dann Kleopatra im Flug ermatten."
Auch Helena, die Ursach’ großer Not,
Im Sturme sah ich den Achill sich heben,
Der allem Trotz, nur nicht der Liebe, bot.
Den Paris sah ich dort, den Tristan schweben,
Und tausend andre zeigt’ und nannt’ er dann,
Die Liebe fortgejagt aus unserm Leben.
Lang hört’ ich den Bericht des Lehrers an,
Von diesen Rittern und den Frau’n der Alten,
Voll Mitleid und voll Angst, bis ich begann:
Mit diesen Zwei’n, die sich zusammenhalten,
Die, wie es scheint, so leicht im Sturme sind,
Möcht’ ich, o Dichter, gern mich unterhalten.
Und er darauf: “Gib Achtung, wenn der Wind
Sie näher führt, dann bei der Liebe flehe,
Die beide führt, da kommen sie geschwind."
Kaum waren sie geweht in unsre Nähe,
Als ich begann: Gequälte Geister, weilt,
Wenn’s niemand wehrt, und sagt uns euer Wehe.
Gleich wie ein Taubenpaar die Lüfte teilt,
Wenn’s mit weitausgespreizten steten Schwingen
Zum süßen Nest herab voll Sehnsucht eilt;
So sah ich sie dem Schwarme sich entringen,
Bewegt vom Ruf der heißen Ungeduld,
Und durch den Sturm sich zu uns niederschwingen.
“Du, der du uns besuchst voll Gut’ und Huld
In purpurschwarzer Nacht, uns, die die Erde
Vordem mit Blut getüncht durch unsre Schuld,
Gern bäten wir, daß Fried’ und Ruh’ dir werde,
War’ uns der Fürst des Weltenalls geneigt,
Denn dich erbarmt der seltsamen Beschwerde.
Wie ihr zu Red’ und Hören Lust bezeigt,
So reden wir, so leih’n wir euch die Ohren,
Wenn nur, wie eben jetzt, der Sturmwind schweigt.
Ich ward am Meerstrand in der Stadt geboren,
Wo Seinen Lauf der Po zur Ruhe lenkt,
Bald mit dem Flußgefolg im Meer verloren.
Die Liebe, die in edles Herz sich senkt,
Fing diesen durch den Leib, den Liebreiz schmückte,
Der mir geraubt ward, wie’s noch jetzt mich kränkt.
Die Liebe, die Geliebte stets berückte,
Ergriff für diesen mich mit solchem Brand,
Daß, wie du stehst, kein Leid ihn unterdrückte.
Die Liebe hat uns in ein Grab gesandt–
Kaina harret des, der uns erschlagen."
Der Schatten sprach’s, uns kläglich zugewandt.
Vernehmend der bedrängten Seelen Klagen,
Neigt’ ich mein Angesicht und stand gebückt.
Was denkst du? hört’ ich drauf den Dichter fragen.
Weh, sprach ich, welche Glut, die sie durchzückt,
Welch süßes Sinnen, liebliches Begehren
Hat sie in dieses Qualenland entrückt?
Drauf säumt’ ich nicht, zu jener mich zu kehren.
“Franziska,” So begann ich nun, “dein Leid
Drängt mir ins Auge fromme Mitleidszähren.
Doch sage mir: In süßer Seufzer Zeit,
Wodurch und wie verriet die Lieb’ euch beiden
Den zweifelhaften Wunsch der Zärtlichkeit."
Und sie zu mir: Wer fühlt wohl größres Leiden
Als der, dem schöner Zeiten Bild erscheint
Im Mißgeschick? Dein Lehrer mag’s entscheiden.
Doch da dein Wunsch so warm und eifrig scheint,
Zu wissen, was hervor die Liebe brachte,
So will ich tun, wie wer da spricht und weint.
Wir lasen einst, weil’s beiden Kurzweil machte,
Von Lanzelot, wie ihn die Lieb’ umschlang.
Wir waren einsam, ferne von Verdachte.
Das Buch regt’ in uns auf des Herzens Drang,
Trieb unsre Blick’ und macht’ uns oft erblassen,
Doch eine Stelle war’s, die uns bezwang,
Als das ersehnte Lächeln küssen lassen,
Der, so dies schrieb, vom Buhlen schön und hehr.
Da naht’ er, der mich nimmer wird verlassen,
da küßte zitternd meinen Mund auch er–
Galeotto war das Buch, und der’s verfaßte–
An jenem Tage lasen wir nicht mehr.
Der eine Schatten sprach’s, der andre faßte
Sich kaum vor Weinen, und mir schwand der Sinn
Vor Mitleid, daß ich wie im Tod erblaßte,
Und wie ein Leichnam hinfällt, fiel ich hin.

Sechster Gesang

Bei Rückkehr der Erinn’rung, die sich schloß
Vor Mitleid um die zwei, das so mich quälte,
Daß das Bewußtsein mir vor Schmerz zerfloß,
Erblickt’ ich neue Qualen und Gequälte
Rings um mich her, ob den, ob jenen Pfad
Zum Geh’n und Schau’n sich Fuß und Auge wählte.
Es war der dritte Kreis, den ich betrat,
Von ew’gem, kaltem, maledeitem Regen
Von gleicher Art und Regel früh und spat.
Schnee, dichter Hagel, dunkle Fluten pflegen
Die Nacht dort zu durchzieh’n in wildem Guß;
Stank qualmt die Erde, die’s empfängt, entgegen.
Ein Untier, wild und seltsam, Zerberus,
Bellt, wie ein böser Hund, aus dreien Kehlen
Jedweden an, der dort hinunter muß.
Schwarz, feucht der Bart, die Augen rote Höhlen
Mit weitem Bauch, die Hände scharf beklaut,
Vierteilt, zerkratzt und schindet er die Seelen.
Sie heulen, wie die Hund’, im Regen laut,
Und sie verschaffen sich durch öftres Drehen
Auf einer Seite mind’stens trockne Haut.
Der große Höllenwurm, der uns ersehen,
Riß auf die Rachen, zeigt uns ihr Gebiß
Und ließ kein Glied am Leibe stillestehen.
Virgil streckt aus die offnen Händ’ und riß
Erd’ aus dem Grund, die in die gier’gen Rachen
Er alsogleich mit vollen Fäusten schmiß.
Wie’s pflegt ein keifig böser Hund zu machen,
Des Bellen schweigt, wenn er den Fraß erbeißt,
Der wilden Grimm vermocht’, ihm anzufachen;
So jetzt mit schmutz’gen Schlünden jener Geist,
Der so durchdröhnt die armen Leidensmatten,
Daß jeder hochbeglückt die Taubheit preist.
Wir gingen über die gequälten Schatten,
Indem wir auf ihr Nichts, das Körper schien,
Im tiefen Schlamm gestellt die Sohlen hatten.
Sie lagen allesamt am Boden hin,
Nur einen sahn wir sich zum Sitzen heben,
Wie er uns dort erblickt im Weiterziehn.
Er sprach: “Der du zur Hölle dich begeben,
Erkenne mich, dafern dir’s möglich ist;
Du Iebtest, eh’ ich aufgehört zu leben."
Und ich zu ihm: “Die Angst, in der du bist,
Zieht dich vielleicht aus meinem Angedenken;
Mir scheint, ich sähe dich zu keiner Frist.
Wer bist du? Sprich, was konnte dich versenken
In eine Qual, die, gibt’s auch größre Pein,
Nicht widriger kann sein, noch ärger kränken."
“In eurer Stadt,” so sprach er, “die allein
Der Neid erfüllt, und bis zum Überfließen,
Genoß ich einst des Tages heitern Schein.
Ich bin’s, den Ciacco eure Bürger hießen,
Zur Qual für schnöde Schuld des Gaumens muß,
Du siehst’s, auf mich sich ew’ger Regen gießen.
Und mich allein nicht züchtigt dieser Guß,
Nein, alle diese leiden gleiche Plagen
Für gleiche Schuld."–So seiner Rede Schluß.
Und ich: “Mich haben, Ciacco, deine Klagen
Zum Mitleid und zu Tränen fast gerührt.
Allein, wenn du es weißt, so magst du sagen,
Wohin noch unsrer Stadt Parteiung führt?
Ob wer gerecht ist? Was in diesen Zeiten
In ihr die Glut der wilden Zwietracht schürt?"
Und er darauf zu mir: “Nach langem Streiten
Kommt’s dort zu Blut, dann treibt die Waldpartei
Die andre fort mit vielen Grausamkeiten.
Doch in drei Sonnen ist’s mit ihr vorbei,
Neu günstig sind der andern die Gestirne,
Durch eines Mannes Macht und Heuchelei.
Hoch hebt sie dann auf lange Zeit die Stirne
Und hält den Feind mit großer Last beschwert,
Wie er auch sich beklag’ und sich erzürne.
Zwei find gerecht dort, aber nicht gehört.
Neid, Geiz und Hochmut–diese drei sind Gluten,
In welchen sich der Bürger Herz verzehrt."
Als hier des Schattens Jammertöne ruhten,
Sprach ich zu ihm: “Noch weiteren Bericht
Erlaube mir, dir bittend anzumuten.
Tegghiajo, Farinata, treu der Pflicht,
Arrigo, Rusticucci, Mosca–sage!–
Und andre, nur auf Gutestun erpicht,
Wo find sie? Welches ist ihr Los? Ich trage
Verlangen, hier ihr Schicksal zu erspäh’n,
Ob’s Himmelswonne sei, ob Höllenplage?"
Und er: “Sie stürzte mancherlei Vergehn
Zu schwärzern Seelen nach den tiefern Gründen.
Steigst du so tief, so wirst du alle sehn–
Kehrst du zur süßen Welt aus diesen Schlünden,
Bring’ ins Gedächtnis dann der Menschen mich.
Mehr sag’ ich nicht, mehr darf ich nicht verkünden."
Scheel ward sein g’rades Aug’ und wandte sich
Nach mir; dann sank er mit dem Haupte nieder,
So daß er ganz den andern Blinden glich.
Drauf sprach mein Führer: “Nie erwacht er wieder,
Bis er vor englischer Posaun’ ergraust,
Und der Gewalt, dem Sündenvolk zuwider.
Zum Grab kehrt jeder, wo sein Körper haust,
Empfängt sein Fleisch zurück und die Gestaltung
Und hört, was ewig widerhallend braust."
Wir gingen langsam fort in schwerer Haltung,
Durch’s Kotgemisch von Schatten und von Flut.
Vom künft’gen Leben war die Unterhaltung.
Drum ich: “Mein Meister, wird der Qualen Wut
Sich nach dem großen Urteilsspruch vermehren?
Vermindert sich, bleibt sich nur gleich die Glut?"
Und er: “Gedenk’ an deines Weisen Lehren:
So sehr ein Ding vollkommen ist, so sehr
Wird sich’s im Glücke freu’n, im Schmerz verzehren
Und kann gleich der Verdammten zahllos Heer
Vollkommenheit, die wahre, nie erringen,
So harrt es doch in jener Zeit auf mehr."
Wir fuhren fort, im Kreise vorzudringen,
Mehr sprechend, als zu sagen gut erscheint,
Bis hin zum Platz, wo Stufen niedergingen,
Und fanden Plutus dort, den großen Feind.

Siebenter Gesang

Aleph, Pape Satan, Pape Satan!
Erhob, rauh kluchzend, Plutus seine Stimme.
Und er, der alles wohl verstand, begann:
“Getrost, nicht fürchte dich vor seinem Grimme,
Durch alle seine Macht wird’s nicht verwehrt,
Daß ich mit dir den Felsen niederklimme."
Und dann, zu dem geschwollnen Mund gekehrt,
Rief er: “Wolf, schweige, du Vermaledeiter!
Von deiner Wut sei in dir selbst verzehrt!
Wir gehn nicht ohne Grund zur Tiefe weiter,
Dort will man’s, dort, wo einst den Stolz mit Schmach
Gezüchtigt Michael, der Himmelsstreiter."
Gleichwie die Segel, wenn der Mast zerbrach,
Erst aufgebläht zum Knäuel niederrollen,
So fiel das Untier, das so drohend sprach.
So ging’s zum vierten Kreis im schmerzenvollen
Unsel’gen Schacht, der alle Schuld umfängt,
Von welcher je im Weltall Kund’ erschollen.
Gerechtigkeit des Herrn, dein Walten drängt
So neue Mühn zusammen, solche Plagen!
O blinde Schuld, die hier den Lohn empfängt!
Wie der Charybdis Wogen sich zerschlagen,
Zum Gegenstoß gewälzt von Süd und Nord,
So muß sich hier das Volk im Wirbel jagen.
Noch nirgend war die Schar so groß wie dort.
Laut heulend kamen sie von beiden Enden
Und wälzten Lasten mit den Brüsten fort.
Und stießen sich, um sich beim Prall zu wenden,
Und dann zurück im Bogenlauf zu zieh’n,
Und schrien sich zu: Was halten?–Was verschwenden?
So durch den Kreis, in dem kein Lichtstrahl schien,
Ging’s beiderseits dann nach der andern Seite,
Indem sie beid’ ihr schändlich Schmähwort schrien.
Dann wandte jeder sich zum neuen Streite,
Sobald er seines Zirkels Hälft’ umkreist;
Und ich, der ich den Armen Mitleid weihte,
Sprach: “Meister, o wie zagt, wie bangt mein Geist
Wer ist dies Volk? Die links hier scheinen Pfaffen!
Ist’s jeder, der uns eine Glatze weist?
Und er: “Dies sind die Blinden, Geistesschlaffen.
Sie wußten in der Welt zum Geben nie
Und nie zum Sparen sich ein Maß zu schaffen.
Und dies erhellt aus dem, was jeder schrie,
Wenn sie im Kreis gelangt zu zweien Orten;
Da trennt der Gegensatz des Lasters sie.
Die mit den Glatzen waren Pfaffen dorten;
Auch öffneten wohl Papst und Kardinal
Dem Geiz als Zwingherrn ihres Herzens Pforten."
Drauf sprach ich: “Meister, kenn’ in dieser Zahl
Ich keinen, der im Schmutz so eitlen Strebens
Sich hier erworben hat die ew’ge Qual?"
Und er zu mir: “Dein Suchen ist vergebens,
Unkenntlich macht sie ihr verdientes Los
Durch Kot und Schmutz bewußtlos dunkeln Lebens.
So kommen stets zum Stoß und Gegenstoß,
Bis sie erstehn–die mit verschnittnen Haaren,
Die mit geschlossner Faust–dem Grabesschoß.
Versetzt hat sie schlecht Geben und schlecht Sparen
Von jener heitern Welt in diesen Zwist;
Nicht sag’ ich welchen, denn du kannst’s gewahren.
Sieh hier, mein Sohn, welch eitles Ding es ist
Um jenes Gut Fortunens, das die Leute
Zum Kampfe reizt und zu Gewalt und List.
Gib diesen Müden alles Gold zur Beute,
Das sie gehabt, ja alles Gold der Welt,
Und keine Stunde Ruh’ gibt’s ihnen heute."
Und ich: “Mein Meister, sprich, wenn dir’s gefällt,
Wer ist Fortuna doch, die, wie ich hörte,
In ihren Klau’n der Erde Güter hält?"
Und er zu mir: “O Arme, Trugbetörte!
Unwissende, zum Schlimmsten stets geneigt!
O daß mein Spruch jetzt aller Wahn zerstörte!
Er, dessen Weisheit alles übersteigt,
Erschuf die Himmel und gab ihnen Leitung,
Daß jedem Teil sich jeder leuchtend zeigt,
Durch seines Lichts gleichmäßige Verbreitung.
So gab er schaffend auch die Dienerin
Dem Erdenglanz zur Führung und Begleitung.
Von Volk zu Volk, von Blut zu Blute hin,
Bringt sie das eitle Gut, das nirgends dauert,
Und kümmert nicht sich um der Menschen Sinn.
Dies Volk befiehlt, ein andres dient und trauert,
Wie jene Führerin das Urteil spricht,
Die, wie die Schlang’ im Gras, verborgen lauert.
Nichts gegen sie hilft eurer Weisheit Licht,
Sie sorgt, erkennt, vollzieht in ihrem Reiche,
Und weicht darin den andern Göttern nicht.
Nie haben Stillstand ihre Wechselstreiche;
So macht sie, von Notwendigkeit gejagt,
Aus Reichen Arme, dann aus Armen Reiche.
Sie ist’s, die ihr ans Kreuz oft wütend schlagt,
Von der ihr oft, wenn ihr, anstatt zu schmollen,
Sie loben solltet, fälschlich Böses sagt.
Doch sie, die Sel’ge, hört nicht euer Grollen;
In andrer erstgeschaffnen Seligkeit
Und Wonne, läßt sie ihre Kugel rollen.–
Doch eilig weiter jetzt zu größerm Leid!
Die Stern’, aufsteigend, als ich fortgeschritten,
Gehn abwärts itzt, und unser Weg ist weit."
Am andern Rand ward nun der Kreis durchschnitten,
An einem Quell, der siedend dort entspringt,
Des Wellen fort durch einen Graben glitten.
Mehr trüb’ als schwarz ist seine Flut und bringt,
Wenn man ihr folgt, hinab zu rauhen Wegen,
Durch die man mit Beschwerde niederdringt.
Dann qualmt ein Sumpf, mit Namen Styx, entgegen
Dort, wo der traur’ge Fluß vom Laufe ruht,
Am Fuß des greulichen Gestad’s gelegen.
Dort stand ich nun und sah nach jener Flut,
Und jäh im Sumpfe Leute, kot’ge, nackte,
Zugleich des Jammers Bilder und der Wut.
Man schlug sich nicht mit Fäusten nur, man hackte
Mit Haupt und Brust und Füßen auf sich ein,
Indem man wild sich mit den Zähnen packte.
Mein Meister sprach: “Sohn, sieh in dieser Pein
Die Seelen derer, so der Zorn bezwungen.
Auch unterm Wasser müssen viele sein;
Und wenn ein Seufzer ihnen sich entrungen.
Dann steigen Blasen auf von ihrer Not,
Drum sieh von Kreisen diese Flut durchschwungen.
Und immer rufen sie, versenkt im Kot:
Wir waren elend einst im Sonnenschimmer
Und hegten Groll und Tücke bis zum Tod,
Und elend sind wir nun im Schlamm noch immer.
Dies Lied klingt gurgelnd vor aus ihrem Schlund,
Stets schluckend, enden sie die Worte nimmer.
So gingen, zwischen Pfuhl und festem Grund,
Wir an dem schmutz’gen Teich in weitem Bogen,
Den Blick gewandt zum Volk mit Schlamm im Mund,
Bis wir zu eines Turmes Fuß gezogen.

Achter Gesang

Lang’ eh’ wir noch, so fahr’ ich fort, zu sagen,
Dem Fuß des hohen Turms uns konnten nah’n,
War unser Blick zur Zinn’ emporgeschlagen,
Weil wir zwei Flämmchen dort entzünden sah’n,
Als Rücksignal ein andres, So entlegen,
Daß es das Auge kaum noch könnt’ erfah’n.
Da kehrt’ ich meinem Weisen mich entgegen:
“Was ist dies? Welch ein Zeichen wohl bezweckt
Das dritte Feu’r? Wer sind sie, die’s erregen?"
Und er zu mir: “Sieh hin, dein Aug’ entdeckt.
Was unsrer harrt, dort auf den schmutz’gen Wogen,
Wenn dir’s der Qualm des Sumpfes nicht versteckt."
Und rasch, wie ich den leichten Pfeil vom Bogen
Je fortgeschnellt durch hohe Lüfte sah,
Kam durch das Moor ein kleiner Kahn gezogen.
Bald war er uns am grauen Strande nah,
Obwohl von einem Rud’rer nur gefahren,
Der schrie: Verruchte Seele, bist du da?
“Phlegias, Phlegias, du magst dein Schreien sparen,"
So sprach mein Herr, “umsonst ist’s angestimmt;
Wir sind nur dein, solang’ wir überfahren."
Wie wer von einem großen Trug vernimmt,
Den man ihm angetan zu Schmach und Schaden,
So zeigte Phlegias wild sich und ergrimmt.
Mein Führer stieg ins Schiff von den Gestaden,
Und zu sich setzen hieß er mich sodann,
Und als ich drin war, schien es erst beladen.
Sobald wir beid’ uns eingesetzt, begann
Des Nachens Fahrt und furchte tiefre Zeilen,
Als er mit andrer Bürde furchen kann.
Indessen wir die tote Moorflut teilen,
Kommt einer, kotbedeckt, vor mich und spricht:
“Wer heißt dich vor der Zeit herniedereilen?"
“Ich komme,” sprach ich, “aber bleibe nicht.
Doch wer bist du, So widrig und abscheulich?"–
“Ein Heulender, dies sagt dir dein Gesicht."–
Und ich: “Denkst du, dein Heulen sei erfreulich?
Vermaledeiter Geist, fort, weg von mir!
Ich kenne dich, sei noch so wild und greulich!"
Die Hände streckt’ er nun zum Kahn voll Gier,
Und mit Gewalt mußt’ ihn mein Herr verjagen,
Der sprach: “Mit andern Hunden, weg von hier!"
Drauf hielt er seinen Arm um mich geschlagen
Und küßte mich und sprach: “Erzürnter Geist,
Beglückt die Mutter, welche dich getragen!
Stolz war im Leben dieser–niemand preist
Von ihm nur einen guten Zug auf Erden,
Daher er hier sich noch in Wut zerreißt.
Viel Fürsten gibt’s dort, die sich stolz gebärden,
Die, Schmach nur hinterlassend, wie die Sau’n,
Im Schlamme hier auf ewig wühlen werden."
Und ich: “Begierig war’ ich wohl, zu schau’n,
Wie er in diesem Schlamme tauchen müßte,
Eh’ wir verlassen diesen See voll Grau’n."
Und er zu mir: “Bevor sich noch die Küste
Dir sehen läßt, erfreut dich der Genuß.
Befriedigung gebühret dem Gelüste."
Bald sah ich, wie zu Qual ihm und Verdruß
Die Kotigen mit ihm beschäftigt waren,
Drob ich Gott loben noch und danken muß.
Frisch, auf Philipp Argenti! schrien die Scharen;
Dann sah ich, selbst sich beißend, auf sie los
Den tollen Geist des Florentiners fahren.
Und dies erzähl’ ich nur von seinem Los.
Ich ließ ihn dort und hört’ ein Schmerzensbrüllen
Und macht’, um vorzuschau’n, die Augen groß.
“Bald wird sich, Sohn, dir jene Stadt enthüllen,"
So sprach mein guter Meister, “ Dis genannt,
Die scharenweis’ unsel’ge Bürger füllen."
Und ich: “Mein Meister, deutlich schon erkannt
Hab’ ich im Tale jener Stadt Moscheen,
Glutrot, als ragten sie aus lichtem Brand."
Drauf sprach mein Führer: “Ew’ge Flammen wehen
In ihrem Innern, drum im roten Schein
Sind sie in diesem Höllengrund zu sehen."
Bald fuhren wir in tiefe Gräben ein,
Den Zugang sperrend zu dem grausen Orte;
Die Mauer schien von Eisen mir zu sein.
Dann aber hörten wir des Steurers Worte,
Nachdem vorher wir auf dem Pfuhle weit
Umhergekreuzt: “Steigt aus, hier ist die Pforte."
Wohl tausend standen auf dem Tor bereit,
Vom Himmel hergestürzt. Es schrien die Frechen:
“Wer wagt’s, noch lebend, voll Verwegenheit
Ins tiefe Reich der Toten einzubrechen?"
Mein Meister aber, ihnen winkend, lud
Sie klüglich ein, ihn erst geheim zu sprechen.
Da legte sich ein wenig ihre Wut.
Sie sprachen: “Komm allein, laß gehn den Toren,
Der hier hereindrang mit so keckem Mut.
Find’ er den Weg, den sich sein Wahn erkoren,
Allein zurück–erprob’ er doch, wie er
Sich durch die Nacht führt, wenn er dich verloren."
Und nun bedenk’, o Leser, wie so schwer
Mich der Verdammten Rede niederdrückte,
Denn ich verzweifelt’ an der Wiederkehr.
“Mein teurer Führer, du, durch den mir’s glückte,
Daß ich gerettet ward schon siebenmal,
Des Schutz mich drohender Gefahr entrückte,
Verlaß mich”, sprach ich, “nicht in dieser Qual,
Und darf ich auch nicht weiter vorwärts dringen,
So komm mit mir zurück durchs dunkle Tal."
Und er, befehligt, mich hierher zu bringen,
Sprach: “Fürchte nichts; erlaubt hat unsern Gang
Er, dem nichts wehrt, drum wird er wohl gelingen.
Hier harre mein, und ist die Seele bang,
So magst du sie mit guter Hoffnung speisen,
Denn nicht verlass’ ich dich in solchem Drang."
So ging er.–ich, getrennt von meinem Weisen,
Dem süßen Vater, fühlte Ja und Nein
Beim Zweifelkampf in meinem Haupte kreisen.
Nicht hört’ ich, was sein Antrag mochte sein,
Allein er blieb bei jenem Volk nicht lange,
Denn alle rannten in die Stadt hinein
Und schlugen ihm das Tor im wilden Drange
Vorm Antlitz zu und sperrten ihn heraus.
Da kehrt’ er sich zu mir mit schwerem Gange.
Den Blick gesenkt, die Brau’n verstört und kraus,
Ließ er in Seufzern diese Worte hören:
“Wer schließt mich von der Stadt der Schmerzen aus?"
Und dann zu mir: “Nicht mög’ es dich verstören,
Wenn du mich zürnen siehst–ich siege doch,
Wie keck sie auch dort drinnen sich empören.
Schon früher stieg ihr kecker Mut so hoch,
An einem Tor, nicht so geheim gelegen,
Und ohne Schloß und Riegel heute noch,
Am Tor, von dem die schwarze Schrift entgegen
Dem Wandrer droht–doch diesseits schon von dort
Kommt, ohne Leitung, auf den dunkeln Wegen
Ein andrer her und öffnet uns den Ort.”

Neunter Gesang

Weil ich vor Angst und banger Furcht erblich,
Als ich den Herrn sah sich zurückbewegen,
Verschloß Virgil die eigne Furcht in sich.
Aufmerksam stand er dort, wie Horcher pflegen,
Denn, weit zu schau’n, war ihm die Dunkelheit
Der schwarzen Luft und Nebelqualm entgegen.
Er sprach: “Wir siegen doch in diesem Streit–
Wenn nicht–doch hab’ ich nicht ihr Wort vernommen?
Er säumt fürwahr doch gar zu lange Zeit."
Ich sah es deutlich ein, zurückgenommen
Sei durch der Rede Folge der Beginn,
Da beide mir verschieden vorgekommen.
Drum lauscht’ ich sorgenvoll und zagend hin,
Denn ich erklärte mir vielleicht noch schlimmer,
Als er es war, des halben Wortes Sinn.
“Kommt wohl ein Geist in diese Tiefe nimmer
Vom ersten Grad, wo nichts zur Qual gereicht,
Als daß erstorben jeder Hoffnungsschimmer?"
So fragt’ ich ihn, und jener sprach: “Nicht leicht
Geschieht’s, daß auf dem Weg, den wir durchliefen,
Ein andrer meines Grads dies Land erreicht.
Wahr ist’s, daß ich vordem in diesen Tiefen
Durch der Erichtho Zauberei’n erschien,
Die oft den Geist zum Leib zurückberiefen.
Kaum war mein Geist vom Fleisch entblößt, als ihn
Die Zauberin beschwor in jene Mauer,
Um eine Seel’ aus Judas Kreis zu zieh’n.
Dort ist die tiefste Nacht, der bängste Schauer,
Am fernsten von des Himmels ew’gem Licht.
Ich weiß den Weg–drum scheuche Furcht und Trauer.
Der Sumpf hier, welcher Stank verhaucht, umflicht
Die qualenvolle Stadt, durch deren Pforten
Man ohne Zorn die Bahn sich nimmer bricht."
Mehr sprach er, doch mich zog von seinen Worten
Der hohe Turm und bannte mit Gewalt
Den Blick ans Feuer auf dem Gipfel dorten.
Drei Höllenfurien sah ich dort alsbald,
Die, blutbefleckt, g’rad’ aufgerichtet, stunden,
Und Weibern gleich an Haltung und Gestalt,
Mit grünen Hadern statt des Gurts umbunden,
Mit kleinern Schlangen aber, wie mit Haar,
Und Ottern rings die grausen Schläf’ umwunden.
Und jener, dem bekannt ihr Anblick war,
Der Sklavinnen der Fürstin ew’ger Plagen,
Sprach: “Nimm die wilden Erinnyen wahr.
Zur linken Seite sieh Megären ragen,
Inmitten ist Tisiphone zu schau’n,
Und rechts Alecto in Geheul und Klagen."
Die Brust zerriß sich jede mit den Klau’n,
Und sie zerschlugen sich mit solchem Brüllen,
Daß ich mich an den Dichter drängt’ aus Grau’n.
“Medusas Haupt! auf, laßt es uns enthüllen,"
Sie riefen’s, niederbückend, allzugleich.
“Was wir versäumt an Theseus, zu erfüllen."
“Wende dich um, die Augen schließe gleich!
Wenn sie bei Gorgos Anblick offenständen,
Du kehrtest nimmer in des Tages Reich!"
Er sprach’s und eilte, selbst mich umzuwenden,
Verließ sich auch auf meine Hände nicht
Und schloß die Augen mir mit seinen Händen.
Ihr, die erhellt gesunden Geistes Licht,
Bemerkt die Lehre, die, vom Schlei’r umgeben,
In dich verbirgt dies seltsame Gedicht.
Ich hört’ ein Krachen mächtig sich erheben
Auf trüber Flut, mit einem Ton voll Graus,
Daß die und jene Hüfte schien zu beben.
Nicht anders war es, als des Sturms Gebraus–
Wild durch der kalten Dünste Kampf mit lauen,
Stürzt er durch Wälder, Äste reißt er aus,
Durch nichts gehemmt, jagt Blüten durch die Auen;
Stolz wälzt er sich in Staubeswirbeln vor,
Und Hirt und Herden flieh’n voll Angst und Grauen.
Die Augen löst’ er mir. “Jetzt schau’ empor,
Dorthin, wo du den schärfsten Rauch entquellen
Dem Schaume siehst auf diesem alten Moor."
Wie Frösche, sich zerstreuend, durch die Wellen
Vor ihrem Feind, der Wasserschlange, flieh’n,
Bis sie am Strand in Scharen sich gesellen,
So sah ich schnell, als einer dort erschien,
Das Tor von den zerstörten Seelen leeren
Und ihn mit trocknem Fuß den Styx durchzieh’n.
Er schien den Qualm vom Antlitz abzuwehren,
Vor sich bewegend seine linke Hand,
Und dieser Dunst nur schien ihn zu beschweren.
Ich sah’s, er sei vom Himmel hergesandt.
Zum Meister kehrt’ ich mich, doch, auf sein Zeichen,
Neigt’ ich mich schweigend, jenem zugewandt.
Mir schien er einem Zornigen zu gleichen.
Er kam zum Tore, das sein Stab erschloß,
Und ohne Widerstreben sah ich’s weichen.
“O ihr verachteter, vestoßner Troß!"
Begann er an dem Tor, dem schreckensvollen,
“Woher die Frechheit, die hier überfloß?
Was seid ihr widerspenstig jenem Wollen,
Das nimmermehr sein Ziel verfehlen kann?
Wird er die Qual, wie oft, euch mehren sollen?
Was kämpft ihr gegen das Verhängnis an,
Obwohl eu’r Zerberus, ihr mögt’s bedenken,
Mit kahlem Kinn und Halse nur entrann?"
Dann sah ich ihn zurück die Schritte lenken.
Uns sagt’ er nichts, und achtlos ging er fort,
Als müsst’ er ernst auf andre Sorgen denken,
Als die um kleine Ding’ am nächsten Ort.
Worauf wir beide nach der Festung schritten,
Nun völlig sicher durch das heil’ge Wort.
Auch ward der Eingang uns nicht mehr bestritten;
Und ich, des Wunsches voll, mich umzusehn
Nach dieser Stadt Verhältnis, Art und Sitten,
Ließ, drinnen kaum, das Aug’ im Kreise gehn,
Und rechts und links war weites Feld zu schauen,
Von Martern voll und ungeheuren Weh’n.
Gleichwie wo sich der Rhone Wogen stauen,
Bei Arles, und bei Pola dort am Meer,
Das Welschland schließt und netzt der Grenze Gauen,
Grabhügel sind im Lande rings umher,
Wo auf unebnem Grunde Tote modern;
So hier, doch schreckte dieser Anblick mehr,
Denn zwischen Gräbern sieht man Flammen lodern,
Und alle sind so durch und durch entflammt,
Daß keine Kunst mehr Stahl und Eisen fodern.
Halboffen ihre Deckel allesamt,
Und draus erklingen solche Klagetöne,
Daß man erkennt, wer drinnen, sei verdammt.
Und ich: Verkünde, Meister, wer sind jene,
Die, hier begraben, sonder Ruh’ und Rast
Vernehmen lassen solches Schmerzgestöhne?
Und er: “Hauptketzer hält der Ort umfaßt,
Und die den Sekten angehangen haben,
In größrer Zahl, als du gerechnet hast-
Denn Gleiche sind zu Gleichen hier begraben,
Und mehr und minder glüht jedwedes Mal"–
Er sprach’s, worauf wir rechtshin uns begaben,
Fortschreitend zwischen hoher Mau’r und Qual.

Zehnter Gesang

Fort ging nun, hier die Mauer, dort die Pein,
Auf einem engen Pfad der edle Weise,
Er mir voraus und ich ihm hinterdrein.
Der du mich führst durch die verruchten Kreise,
Sprach ich, ich wünsche, daß, wenn dir’s gefällt,
Dein Wort auch hier mich ferner unterweise.
Darf man die sehn, die jedes Grab enthält?
Die Deckel, offen schon, sind nicht dawider,
Auch ist zur Wache niemand aufgestellt.
“Iedweder Deckel sinkt geschlossen nieder,"
Sprach er, “wenn sie gekehrt von Josaphat,
Mitbringend ihre dort gelass’nen Glieder.
Wiss’, Epicurus liegt an dieser Statt
Samt seinen Jüngern, die vom Tode lehren,
Daß er so Seel’ als Leib vernichtet hat.
Befriedigung soll also dem Begehren,
Das du entdecktest, dies Begräbnis hier,
Sowie dem Wunsch, den du verschwiegst, gewähren."
Und ich: Mein Herz verberg’ ich nimmer dir,
Nur redet’ ich in bündig kurzem Worte,
Und nicht nur jetzt empfahlst du solches mir.
“Toskaner, du, der lebend durch die Pforte
Der Feuerstadt, so ehrbar sprechend, drang,
Verweil’, ich bitte dich, an diesem Orte.
ich erkenn’ an deiner Sprache Klang,
Du seist dem edlen Vaterland entsprungen,
Dem ich, ihm nur zu lästig, auch entsprang."
Urplötzlich war dies einem Sarg entklungen,
Drum trat ich etwas näher meinem Hort,
Denn wieder war mein Herz von Furcht durchdrungen.
“Was tust du? Wende dich!” rief er sofort,
“Sieh g’rad’ empor den Farinata ragen,
Vom Gürtel bis zum Haupte sieh ihn dort!"
Ich, der auf sein Gesicht den Blick geschlagen,
Sah, wie er hoch mit Brust und Stirne stand,
Als lach’ er nur der Höh’ und ihrer Plagen.
Mein Führer, der mich schnell mit mut’ger Hand
Durch Gräber bis zu ihm mit fortgenommen,
Sprach: Was er fragt, mach’ offen ihm bekannt.
Er sah mich, als ich bis zum Grab gekommen,
Ein wenig an. “Wer deine Väter? Sprich!"
So fragt’ er mich und schien von Zorn entglommen.
Gern fügt’ ich dem Befehl des Meisters mich,
Ihm alles unverstellt zu offenbaren,
Da hoben etwas seine Brauen sich.
Er sprach darauf: “Furchtbare Gegner waren
Sie meinen Ahnen, mir und meinem Teil,
Und zweimal drum vertrieb ich sie in Scharen."
“Wenn auch vertrieben, kehrten sie in Eil’”,
Sprach ich, “zweimal zurück aus jeder Gegend.
Doch nicht den euren ward die Kunst zuteil."
Sieh, da erhob, sich neben jenem regend,
Ein Schatten sich urplötzlich bis zum Kinn,
Sich auf den Knien, so schien’s, empor bewegend.
Er blickt’ um mich nach beiden Seiten hin,
Als woll’ er sehn, ob jemand mich begleite,
Doch floh der Irrtum bald aus seinem Sinn,
Und weinend sprach er dann: “Wenn dein Geleite
Des Geistes Hoheit ist durch diese Nacht,
Wo ist mein Sohn? Warum nicht dir zur Seite?"–
“Nicht eigner Geist hat mich hierher gebracht,
Der dort harrt, führte mich ins Land der Klagen.
Dein Guido hatte sein vielleicht nicht acht."
So ich–beim Wort und bei der Art der Plagen
Könnt’ ich wohl seines Namens sicher sein
Und drum ihm auch so sicher Antwort sagen,
Schnell richtet’ er sich auf mit lautem Schrei’n:
“Er hatte, sagst du? Ist er nicht am Leben?
Saugt nicht sein Auge mehr den süßen Schein?"
Und da ich nun, statt Antwort ihm zu geben,
Noch zauderte, so fiel er rücklings hin,
Um fürder sich nicht wieder zu erheben.
Doch jener andre mit dem stolzen Sinn,
Der mich gerufen, blieb auf seiner Stätte
Starr, ungebeugt und trotzig wie vorhin.
Er, wieder knüpfend des Gespräches Kette:
“Ward jene Kunst zuteil den Meinen nicht?
Dies martert mehr mich noch als dieses Bette.
Doch wird nicht fünfzigmal sich das Gesicht
Der Herrin dieses Dunkels neu entzünden,
So wirst du fühlen dieser Kunst Gewicht.
Sprich, willst du je zurück aus diesen Gründen,
Wie gegen mein Geschlecht mag solche Wut
Das Volk in jeglichem Gesetz verkünden?"
Ich sprach: “Das große Morden ist’s, das Blut,
Das rotgefärbt der Arbia klare Wogen,
Das eu’r Geschlecht mit solchem Fluch belud."
Er seufzt’ und schüttelte das Haupt: “Vollzogen
Hab’ ich allein nicht diese blut’ge Tat,
Und. alle hat uns trift’ger Grund bewogen.
Doch ich allein war’s, der dem grausen Rat;
Es müsse bis zum Grund Florenz verschwinden,
Mit offnem Angesicht entgegentrat."
“Soll euer Same jemals Ruhe finden,"
So sprach ich bittend, “löst die Schlingen hier,
Die noch, mein Urteil hemmend, mich umwinden.
Versteh’ ich recht, so scheint es wohl, daß ihr
Erkennen mögt, was künft’ge Zeiten bringen,
Doch mit der Gegenwart scheint’s anders mir."
Er sprach: “Uns trägt der Blick nach fernen Dingen,
Wie’s öfters wohl der Schwachen Sehkraft geht,
Denn dahin läßt der höchste Herr uns dringen.
Doch naht sich und erscheint, was wir erspäht,
Weg ist das Wissen, und nur durch Berichte
Erfahren wir, wie’s jetzt auf Erden steht.
Darum begreifst du: einst beim Weltgerichte,
Wenn sich der Zukunft Tor auf ewig schließt,
Wird die Erkenntnis unsers Geists zunichte."
Drauf ich: “Wie jetzt mein Fehler mich verdrießt!
O sagt dem Hingesunknen, Trostentblößten,
Daß noch sein Sohn das heitre Licht genießt.
Und war ich vorhin säumig, ihn zu trösten,
So sagt ihm, daß ich Raum dem Irrtum gab,
Den eben jetzt mir eure Worte lösten."
Hier rief mein Meister schon mich wieder ab,
Drum bat ich schnell den Geist, mir zu erzählen,
Wer noch verborgen sei in seinem Grab.
Er sprach: “Hier liegen mehr als tausend Seelen,
Der Kardinal, der zweite Friederich
Und andre, die’s nicht nottut, aufzuzählen."
Und er versank ich aber kehrte mich
Zum alten Dichter, jene Red’ erwägend,
Die einer Unglücksprophezeiung glich.
Er aber ging und sprach, sich vorbewegend,
Zu mir gewandt: “Was bist du so verstört?"
Ich tat’s ihm kund, die Angst im Herzen hegend.
“Behalte, was du Widriges gehört,"
Sprach mit erhobnem Finger jener Weise,
“Und merk’ itzt auf, daß dich kein Trug betört.
Bist du dereinst im süßen Strahlenkreise,
Verströmt vom schönen Blick, der alles sieht,
Dann deutet sie dir deine Lebensreise."
Nun ging es links ins höllische Gebiet,
Um von der Mau’r der Mitte zuzuschreiten,
Wo sich der Pfad nach einem Tale zieht,
Von dem Gestank und Qualm sich weit verbreiten.

Elfter Gesang

Am äußern Saum von einem hohen Strande,
Umkreist von Felsentrümmern ohne Zahl,
Gelangten wir zu einem grausern Lande.
Dort bargen wir vor des Gestankes Qual,
Der gräßlich dampft aus jenen tiefen Gründen,
Uns hinter eines hohen Grabes Mal.
Wir sahn den Inhalt diese Schrift verkünden:
Hier liegt Papst Anastasius, den Photin
Vom rechten Pfad verführt zu Schmach und Sünden.
“Wir müssen,” sprach er, “langsam abwärtszieh’n;
Erträglicher wird nach und nach den Sinnen
Der schlechte Dunst, der unerträglich schien."
“So laß uns etwas,” sprach ich drauf, “beginnen,
Das uns die hier verbrachte Zeit ersetzt."
“Du siehst,” erwidert’ er, “darauf mich sinnen."
“Mein Sohn, du wirst in diesen Steinen jetzt,"
So fuhr er fort, “drei kleinre Kreise zählen,
Nach Stufen, wie die andern, fortgesetzt.
Erfüllt sind alle von verdammten Seelen,
Doch weil du selbst sie sehn wirst, so vernimm,
Wie und warum sie sich hier unten quälen.
Jedwede Bosheit weckt des Himmels Grimm,
Der Unrecht Zweck ist, denn sie macht es immer
Durch Trug und durch Gewalt mit andern schlimm.
Doch Trug, des Menschen eigne Sünd’, ist schlimmer,
Und die Betrüger bannt des Herrn Geheiß,
Drum tiefer hin zu schmerzlichem Gewimmer.
Gewalttat wird bestraft im ersten Kreis,
Doch, nach dreifacher Gattung von Vergehen,
In dreien Binnenkreisen stufenweis.
An Gott, an sich, am Nächsten kann’s geschehen,
Daß man Gewalt verübt, an Leib und Gut.
Wie? Sollst du jetzt mit klaren Gründen sehen.
Gewalttat an des Nächsten Leib und Blut
Geschieht durch Totschlag und durch schlimme Wunden,
Am Gute durch Verwüstung, Raub und Glut.
Totschläger werden, die, so schwer verwunden,
Verwüster, Räuber, drum hinabgebannt
Zur Pein im ersten Binnenkreis gefunden.
Gewalt übt man an sich mit eigner Hand,
Und seinem Gut.–Um fruchtlos zu bereuen,
Sind drum zum zweiten Binnenkreis gesandt,
Die selber sich zu töten sich nicht scheuen,
Die, so im Spielhaus all ihr Gut vertan
Und dorten weinten, statt sich zu erfreuen.
Gewalt auch tut der Mensch der Gottheit an,
Im Herzen sie verleugnend und nicht achtend,
Was er durch Güte der Natur empfah’n.
Du wirst, den kleinsten Binnenkreis betrachtend,
Drum die von Sodom und von Cahors schau’n,
Und Volk, im Herzen seinen Gott verachtend.
Trug, des Gewissens Qual, ist am Vertrau’n,
Und ist auch oft verübt an solchen worden,
Die nicht als Freund’ auf den Betrüger bau’n.
Die letzte Gattung scheint das Band zu morden,
Das die Natur aus Lieb’ um alle flicht;
Drum nisten in dem zweiten Kreis die Horden
Der Heuchler, Schmeichler, die, so falsch Gewicht
Gebrauchen, Simonisten, Zaubrer, Diebe
Und Kuppler und dergleichen Schandgezücht.
Zerrissen wird von jenem Trug die Liebe,
So die Natur macht; die auch, die vermehrt,
Noch Treue fordert aus besonderm Triebe.
Drum auf dem Punkte, den das All beschwert,
Wo Dis den Stand hat, dort, im kleinsten Kreise,
Wird, wer Verrat übt, ewiglich verzehrt."
Und ich: Du stellt nach deiner klaren Weise
Wohlabgeteilt den Höllenschlund mir dar,
Und welche Sünder jedes Rund umkreise;
Doch sprich: Das Volk, das dort im Sumpfe war,
Die, so der Wind führt und die Regen schlagen,
Die mit Geschrei sich stoßen immerdar,
Wie kommt’s, wenn sie den Zorn des Himmels tragen,
Daß nicht die Feuerstadt ihr Strafort wird?
Wenn nicht, was leiden sie doch solche Plagen?
Und er darauf zu mir: “Was schweift verwirrt
Dein Geist hier ab von den gewohnten Wegen?
Woandershin hat sich dein Sinn verirrt?
Willst du nicht deine Sittenlehr’ erwägen,
Die Kunde von drei Neigungen verleiht,
Die Gottes Zorn und seinen Haß erregen,
Von Tollwut, Bosheit, Unenthaltsamkeit?
Die dritt’ ist, da sie minderes Verachten
Des Herrn verrät, von mindrer Strafbarkeit.
Willst du den Spruch bedenken und betrachten,
Wer jene sind, die vor der Stadt voll Glut
Dort oben, ihre Straf erduldend, schmachten,
So wirst du sehn, wie sie von dieser Brut
Geschieden sind, und minder sie beschwerend
Auf ihnen das Gewicht des Himmels ruht."–
“O Sonne, du, die trübsten Blicke klärend,
Wie Wissen, so erfreut der Zweifel mich,
Vernehm’ ich dich ihn lösend, mich belehrend.
Drum wend’ ein wenig,” sprach ich, “rückwärts dich.
Da sagtest, daß die Wuchrer Gott verletzen,
Jetzt sage mir, wie löst dies Rätsel sich?"
Weltweisheit, sprach er, lehrt in mehrern Sätzen,
Daß nur aus Gottes Geist und Kunst und Kraft
Natur entstand mit allen ihren Schätzen;
Und überdenkst du deine Wissenschaft
Von der Natur, so wirst du bald erkennen,
Daß eure Kunst, mit allem, was sie schafft,
Nur der Natur folgt, wie nach bestem Können
Der Schüler geht auf seines Meisters Spur;
Drum ist sie Gottes Enkelin zu nennen
Vergleiche nun mit Kunst und mit Natur
Die Genesis, wo’s also lautet: Leben
Sollst du im Schweiß des Angesichtes nur.–
Weil Wuchrer nun nach anderm Wege Streben,
Schmäh’n sie Natur und ihre Folgerin,
Indem sie andrer Hoffnung sich ergeben.
Doch folge mir, denn vorwärts strebt mein Sinn,
Da schon die Fisch’ empor am Himmel springen;
Schon auf den Caurus sinkt der Wagen hin,
Und weit ist’s noch, eh’ wir zur Tiefe dringen.

Zwölfter Gesang

Rauhfelsig war der Steig am Strand hernieder,
Ob des, was sonst dort war, der Schauer groß,
Und jedem Auge drum der Ort zuwider.
Dem Bergsturz gleich bei Trento–in den Schoß
Der Etsch ist seitwärts Trümmerschutt geschmissen,
Durch Unterwühlung oder Erdenstoß–
Wo von dem Gipfel, dem er sich entrissen,
Der Fels so schräg ist, daß zum ebnen Land,
Die oben sind, den Steg nicht ganz vermissen;
So dieses Abgrunds Hang, und dort am Rand
War’s, wo von Felsentrümmern überhangen
Sich ausgestreckt die Schande Kretas fand,
Einst von dem Scheinbild einer Kuh empfangen.
Sich selber biß er, als er uns erblickt,
Wie innerlich von wildem Grimm befangen.
Mein Meister rief: “Bist du vom Wahn bestrickt.
Als sähst du hier den Theseus vor dir stehen,
Der dich von dort zur HöIl’ herabgeschickt?
Fort, Untier, fort! Den Weg, auf dem wir gehen,
Nicht deine Schwester hat ihn uns gelehrt,
Doch dieser kommt, um eure Qual zu sehen."
So wie der Stier, vom Todesstreich versehrt,
Sich losreißt und nicht gehen kann, nur springen.
Und Satz um Satz hierhin und dorthin fährt;
So sahen wir den Minotaurus ringen,
Drum rief Virgil: “Itzt weiter ohne Rast;
Indes er tobt, ist’s gut, hinabzudringen."
So klommen wir, von Trümmern rings umfaßt,
Auf Trümmern sorglich fort, und oft bewegte
Ein Stein sich unter mir der neuen Last.
Ich ging, indem ich sinnend überlegte.
Und er: “Du denkst an diesen Schutt, bewacht
Von Zornwut, die vor meinem Wort sich legte.
Vernimm jetzt, als ich in der Hölle Nacht
Zum erstenmal so tief hereingedrungen.
War dieser Fels noch nicht herabgekracht.
Doch kurz eh’ jener sich herabgeschwungen
Vom höchsten Kreis des Himmels, der dem Dis
So edler Seelen großen Raub entrungen.
Erbebte so die grause Finsternis,
Daß ich die Meinung faßte, Liebe zücke
Durchs Weltenall und stürz’ in mächt’gern Riß
Ins alte Chaos neu die Welt zurücke.
Der Fels, der seit dem Anfang fest geruht,
Ging damals hier und anderwärts in Stücke.
Doch blick’ ins Tal, schon naht der Strom von Blut,
In welchem jeder siedet, der dort oben
Dem Nächsten durch Gewalttat wehe tut."
O blinde Gier, o toller Zorn! eu’r Toben,
Es spornt uns dort im kurzen Leben an
Und macht uns ewig dann dies Bad erproben–
Hier ist ein weiter Graben, der den Plan
Ringshin umfaßt im weiten runden Bogen,
Wie mir mein weiser Führer kundgetan.
Zentauren, rennend, pfeilbewaffnet, zogen,
Sich folgend, zwischen Fluß und Felsenwand,
Wie in der Welt, wenn sie der Jagd gepflogen.
Als sie uns klimmen sahn, ward Stillestand;
Drei traten vor mit ausgesuchten Pfeilen
Und schußbereit den Bogen in der Hand.
Und einer rief von fern: “Ihr müßt verweilen!
Zu welcher Qual kommt ihr an diesen Ort?
Von dort sprecht, sonst soll euch mein Pfeil ereilen!
“Dem Chiron sag’ ich in der Näh’ ein Wort,"
Sprach drauf Virgil. “Zum Unheil dich verführend,
Riß vorschnell stets der blinde Trieb dich fort."
“Nessus ist dieser,” sprach er, mich berührend,
“Der starb, als Dejaniren er geraubt,
Die Rache noch vor seinem Tod vollführend.
Der in der Mitt’ ist, mit gesenktem Haupt,
Der große Chiron, der Achillen nährte;
Dort Pholus, welcher stets vor Zorn geschnaubt.
Am Graben rings gehn tausend Pfeilbewehrte
Und schießen die, so aus dem Pfuhl herauf
Mehr tauchen, als der Richterspruch gewährte."
Wir beide nahten uns dem flinken Hauf,
Chiron nahm einen Pfeil und strich vom Barte
Das Haar nach hinten sich mit seinem Knauf.
Als nun das große Maul sich offenbarte,
Sprach er: “Bemerkt: der hinten kommt, bewegt.
Was er berührt, wie ich es wohl gewahrte.
Und wie’s kein Totenfuß zu machen pflegt."
Da trat ihm an die Brust mein weiser Leiter,
Wo Mensch und Roß sich einigt und verträgt.
“Lebendig ist,” so sprach er, “der Begleiter,
Der dieses dunkle Tal mit mir bereist;
Notwendigkeit, nicht Neugier, zieht uns weiter.
Von dort, wo Gott ihr Halleluja preist,
Kam eine her, dies Amt mir aufzutragen.
Er ist kein Räuber, ich kein böser Geist.
Doch, bei der Kraft, durch die ich sonder Zagen
Auf wildem Pfad im Schmerzensland erschien.
Gib einen uns von diesen, die hier jagen.
Daß er die Furt uns zeig’, und jenseits ihn
Trag auf dem Kreuz ans andere Gestade,
Denn er, kein Geist, kann durch die Luft nicht zieh’n."
“Auf, Nessus, leite sie auf ihrem Pfade,"
Rief Chiron rechts gewandt, “bewahre sie,
Daß sonst kein Trupp der unsern ihnen schade."
Da solch Geleit uns Sicherheit verlieh,
So gingen wir am roten Sud von hinnen.
Aus dem die Rotte der Gesottnen schrie.
Bis zu den Brauen waren viele drinnen.
“Tyrannen sind’s, erpicht auf Gut und Blut,"
So hört’ ich den Zentauren nun beginnen,
“Jetzt heulen sie in ihrer Qualen Wut.
Den Alexander sieh und Dionysen,
Der auf Sizilien Schmerzensjahre lud.
Die schwarzbehaarte Stirn sieh neben diesen,
Den Ezzelin–und jener Blonde dort
Ist Obiz Este, der, wie’s klar erwiesen,
Vertilgt ward durch des Rabensohnes Mord."
Den Dichter sah ich an, der sprach: “Der Zweite
Bin ich, der Erste der, merk’ auf sein Wort."
Und weiter gab uns Nessus das Geleite
Zu Volke, das, bis an des Mundes Rand
Im heißen Sprudel, heult’ und maledeite.
Und seitwärts zeigt er einen mit der Hand:
“ Der macht’ einst am Altar das Herz verbluten,
Das man noch jetzt verehrt am Themsestrand."
Und viele hielten aus den heißen Fluten
Das ganze Haupt, dann Brust und Leib gestreckt,
Auch kannt’ ich manchen in den nassen Gluten.
Stets seichter ward das Blut, so daß bedeckt
Am Ende nur der Schatten Füße waren,
Und dorten ward des Grabens Furt entdeckt.
Da sagte der Zentaur: “Du wirst gewahren,
Wie immer seichter hier das Blut sich zeigt.
Jetzt aber, will ich, sollst du auch erfahren,
Daß dort der Grund je mehr und mehr sich neigt.
Bis wo die Flut verrinnt in jenen Tiefen,
Woraus das Seufzen der Tyrannen steigt.
Gerechter Zorn und Rache Gottes riefen
Dorthin der Erde Geißel, Attila,
Pyrrhus und Sextus; und von Tränen triefen.
Von Tränen, ausgekocht vom Blute, da
Die beiden Rinier, arge Raubgesellen,
Die man die Straßen hart bekriegen sah–"
Hier wandt’ er sich, rückeilend durch die Wellen.

Dreizehnter Gesang

Noch war nicht Nessus jenseits am Gestade,
Da schritten wir in einen Wald voll Grau’n,
Und nirgend war die Spur von einem Pfade.
Nicht grün war dort das Laub, nur schwärzlichbraun,
Nicht glatt ein Zweig, nur knotige, verwirrte,
Nicht Frucht daran, nur gift’ger Dorn zu schau’n.
Nie bei Cornet und der Cecina irrte
Damhirsch und Eber durch so dichten Hain,
Dies Wild, das nie die Saat des Feldes kirrte.
Hier aber nisten die Harpy’n sich ein,
Die, von den Inseln Trojas Volk zu scheuchen,
Es ängsteten mit Unglücksprophezei’n,
Mit breiten Schwingen, Federn an den Bäuchen,
Klau’n an den Füßen, menschlich von Gesicht,
Wehklagend aus den seltsamen Gesträuchen.
“Bevor du eindringst, wisse, dich umflicht”,
Sprach er, “der zweite Binnenkreis; zu schauen,
Indes du weitergehst, versäume nicht.
So kommst du, schauend, in den Sand voll Grauen,
Und gib wohl acht; denn allem, was ich sprach,
Wirst du dann durch den Augenschein vertrauen."
Schon hört’ ich rings Geheul und Oh und Ach,
Doch sah ich keinen, der so ächzt’ und schnaubte,
So daß mein Knie mir fast vor Schauder brach.
Ich glaub’, er mochte glauben, daß ich glaubte.
Verborgne stöhnten aus dem dunkeln Raum,
Die mir zu sehn das Dickicht nicht erlaubte.
“Brich nur ein Zweiglein ab von einem Baum,"
Begann mein Meister, “und du wirst entdecken.
Was du vermutest, sei ein leerer Traum.’’
Da säumt’ ich nicht,- die Finger auszustrecken.
Riß einen Zweig von einem großen Dorn,
Und plötzlich schrie der stumpf zu meinem Schrecken:
“Was brichst du mich?"–worauf ein blut’ger Born
Aus ihm entquoll, und diese Wort’ erklangen:
“Was peinigt uns dein rnitleidloser Zorn?
Uns, Menschen einst, von Rinden jetzt umfangen.
Wohl größre Schonung ziemte deiner Hand,
Und wären wir auch Seelen nur von Schlangen."
Gleich wie ein grüner Ast, hier angebrannt,
Dort ächzt und sprüht, wenn, aufgelöst in Winde,
Der feuchte Dunst den Weg nach außen fand;
So drangen Wort und Blut aus Holz und Rinde,
Und mir entsank das Reis, daß ich geraubt;
Dann stand ich dort, als ob ich Furcht empfinde.
“Verletzte Seele, hätt’ er je geglaubt.
Was früher schon ihm mein Gedicht entdeckte,"
So sprach Virgil, “nie hätt’ er sich’s erlaubt.
Wenn er die Hand nach deinem Aste streckte,
So reut’s mich itzt, daß, weil’s unglaublich schien,
Ich Lust in ihm zu solcher Tat erweckte.
Doch sag’ ihm, wer du warst. Er wird, wenn ihn
Der Tag einst neu umfängt, den Fehl zu büßen,
Dort frisch ans Licht dein Angedenken zieh’n."
Der Stamm: “Ein Köder ist im Wort, dem süßen,
Der mich zum Sprechen lockt; mag euch’s, wenn mich
Der Leim beim Reden festhält, nicht verdrießen.
Ich bin’s, der einst das Herz des Friederich
Mit zweien Schlüsseln auf- und zugeschlossen
Und sie so sanft und leis gedreht, daß ich,
Nur ich, sonst keiner, sein Vertraun genossen–
Und bis ich ihm geopfert Schlaf und Blut,
Weiht’ ich dem hohen Amt mich unverdrossen.
Die Hure, die mit buhlerischer Glut
Auf Cäsars Haus die geilen Blicke spannte,
Sie, aller Höfe Tod und Sünd’ und Wut,
Schürt an, bis alles gegen mich entbrannte,
Und alle schürten Friedrichs Gluten an.
Daß heitrer Ruhm in düstres Leid sich wandte.
Da hat mein zornentflammter Geist, im Wahn,
Durch Sterben aller Schmach sich zu entwinden.
Mir, dem Gerechten, Unrecht angetan.
Bei diesen Wurzeln schwör’ ich, diesen Rinden:
Stets war’s um meine Treue wohlbestellt
Für ihn, der wert war, ew’gen Ruhm zu finden;
Kehrt einer je von euch zurück zur Welt,
So mög’ er dort mein Angedenken heben,
Das jener Streich des Neids noch niederhält."
Hier hielt er an, ich aber schwieg mit Beben.
Da sprach der Dichter: “Ohne Zeitverlust
Frag’ ihn, er wird auf alles Antwort geben."
Ich aber: “Frag’ ihn selbst. Dir ist bewußt,
Was mir ersprießlich sei, ihm abzufragen;
Ich könnt’ es nicht, denn Leid drückt meine Brust."
Und er: “Soll einst, was du ihm aufgetragen,–
Er frei vollzieh’n, dann, o gefangner Geist,
Beliebe dir, zuvor uns anzusagen,
Wie dieser Stämme Band die Seel’ umkreist?
Und, wenn um sie sich starre Rinden legen,
Ob diesen Gliedern eine sich entreißt?
Ein starker Hauch schien sich im Stamm zu regen,
Dann aber ward der Wind zu diesem Wort:
“In kurzer Rede sag’ ich dies dagegen:
Wenn die vom Leib sich trennen, welche dort
Sich frevelhaft in wildern Grimm entleiben,
Schickt Minos sie zu diesem Schlunde fort.
Hier fallen sie, wie sie die Stürme treiben,
In diesen Wald nach Zufall, ohne Wahl,
Um wie ein Speltkorn wuchernd zu bekleiben.
So wachsen Büsch’ und Bäum’ in diesem Tal,
Und die Harpy’n, die sich vom Laube weiden,
Sie machen Qual, und Öffnung für die Qual.
Einst eilen wir nach unserm Leib, doch kleiden
Uns nie darein; denn was man selbst sich nahm.
Will Gott uns nimmer wieder neu bescheiden.
Wir schleppen ihn in diesen Wald voll Gram,
Und jeder Leib wird an den Baum gehangen.
Den hier zur ew’gen Haft sein Geist bekam."
Wir horchten auf den Stamm noch, voll Verlangen,
Mehr zu vernehmen, als urplötzlich schnell
Schrei’n und Getos zu unsern Ohren drangen.
Als ob hier Eber, Hund und Jagdgesell,
Die ganze Jagd, heran laut tosend brauste
Mit Waldesrauschen, Schreien und Gebell.–
Und sieh, linksher, zwei Nackende, Zerzauste,
Fortstürmen, wie vom Äußersten bedroht,
Daß das Gezweig zertrümmert kracht’ und sauste.
Der Vordre schrie: “Zu Hilfe, Hilfe, Tod!"
Dem andern schien’s, daß es mehr Eile brauche;
“Lan,” rief er, “dort bei Toppo in der Not
Schien nicht dein Fußwerk gut zu dem Gebrauche."
Dann, weil erschöpft vielleicht des Odems Rest,
Macht’ er ein Knäu’l aus sich und einem Strauche.
Sieh schwarze Hunde, durchs Gestrüpp gepreßt.
Schnell hinterdrein, die wild die Läufe streckten,
Wie Doggen, die man von der Kett’ entläßt.
Sie schlugen ihre Zahn’ in den Versteckten,
Zerrissen ihn und trugen stückweis dann
Die Glieder fort, die frischen, blutbefleckten.
Mein Führer faßte bei der Hand mich an
Und führte mich zum Busche, der vergebens
Aus Rissen klagte, welchen Blut entrann.
Er sprach: “Was machtest du doch eitlen Strebens,
O Jakob, meinen Busch zu deiner Hut?
Trag’ ich die Schulden deines Lasterlebens?"
Mein Meister, dessen Schritt bei ihm geruht,
Sprach: “Wer bist du? Warum aus so viel Rissen
Hauchst du zugleich die Schmerzensred’ und Blut?"
Und er: “Die ihr gekommen, um zu wissen,
Wie harte Schmach ich hier erdulden muß,
Zu sehn, wie man mir so mein Laub entrissen.
O sammelt’s an des traur’gen Stammes Fuß.
Ich bin aus jener Stadt, die statt des alten
Den Täufer wählt als Schutzherrn. Voll Verdruß
Wird jener drum als Feind ihr grausam walten,
Und hätte man nicht noch sein Bild geschaut.
Das dort sich auf der Arnobrück’ erhalten.
Die Bürger, die sie wieder aufgebaut
Vom Brand des Attila, aus Schutt und Grause,
Sie hätten ihrer Müh’ umsonst vertraut.
Den Galgen macht’ ich mir aus meinem Hause.”

Vierzehnter Gesang

Weil ich der Vaterstadt mit Rührung dachte,
Las ich das Laub, das ich, das Herz soll Leid,
Zurück zum Stamm, der kaum noch ächzte, brachte.
Drauf kamen wir zur Grenz’ in kurzer Zeit
Vom zweiten Binnenkreis und sah’n im dritten
Ein krauses Kunstwerk der Gerechtigkeit.
Denn dort eröffnete vor unsern Schritten
Und unsern Blicken sich ein ebnes Land,
Des Boden nimmer Pflanz’ und Gras gelitten.
Und wie sich um den Wald der Graben wand,
War dieses von dem Schmerzenswald umwunden.
Hier weilten wir an beider Kreise Rand.
Dort ward ein tiefer, dürrer Sand gefunden.
Der dem, den Cato’s Füße stampften, glich,
Wie wir vernehmen aus den alten Kunden.
O Gottes Rache! Jeder fürchte dich,
Dem, was ich sah, mein Lied wird offenbaren,
Und wende schnell vom Lasterwege sich.
Denn nackte Seelen sah ich dort in Scharen,
Die, alle klagend jämmerlich und schwer,
Doch sich nicht gleich in ihren Strafen waren.
Die lagen rücklings auf der Erd’ umher,
Die sah ich sich zusammenkrümmend kauern.
Noch andre gingen immer hin und her.
Die Mehrzahl mußt’ im Gehn die Straf’ erdauern.
Der Liegenden war die geringre Zahl,
Doch mehr gedrängt zum Klagen und zum Trauern.
Langsamen Falls sah ich mit rotem Strahl
Hernieder breite Feuerflocken wallen,
Wie Schnee bei stiller Luft im Alpental.
Wie Alexander einstens Feuerballen,
Fest bis zur Erde, sah auf seine Schar
In jener heißen Gegend Indiens fallen,
Daher sein Volk, vorbeugend der Gefahr,
Den Boden stampfen mußt’, um sie zu töten,
Weil einzeln sie zu tilgen leichter war;
So sah ich von der Glut den Boden röten;
Wie unterm Stahle Schwamm, entglomm der Sand,
Wodurch die Qualen zwiefach sich erhöhten.
Nie hatten hier die Hände Stillestand,
Und hier- und dorthin sah ich sie bewegen,
Abschüttelnd von der Haut den frischen Brand.
Da sprach ich: “Du, dem alles unterlegen,
Bis auf die Geister, die sich dort voll Wut
Am Tor zur Wehr gestellt und dir entgegen.
Wer ist der große, welcher, diese Glut
Verachtend, liegt, die Blicke trotzig hebend,
Noch nicht erweicht von dieser Feuerflut?"
Und jener rief, mir selber Antwort gebend,
Weil er gemerkt, daß ich nach ihm gefragt,
Uns grimmig zu: “Tot bin ich, wie einst lebend.
Sei auch mit Arbeit Jovis Schmied geplagt,
Von welchem er den spitzen Pfeil bekommen,
Den er zuletzt in meine Brust gejagt;
Zur Hilfe sei die ganze Schar genommen,
Die rastlos schmiedet in des Ätna Nacht;
Hilf, hilf, Vulkan, so schrei’ er zornentglommen,
Wie er bei Phlägra tat in jener Schlacht;
Mit aller Macht sei das Geschoß geschwungen,
Gewiß, daß nie ihm frohe Rache lacht–"
Da hob so stark, wie sie mir nie erklungen,
Mein Meister seine Stimm’, ihm zuzuschrei’n:
“O Kapaneus, daß ewig unbezwungen
Dich Hochmut nagt, ist deine wahre Pein,
Denn keine Marter, als dein eignes Wüten,
Kann deiner Wut vollkommne Strafe sein."
Drauf schien des Meisters Zorn sich zu begüten.
Von jenen sieben war er, sagt’ er mir,
Die Theben zu erobern sich bemühten.
Er höhnt, so scheint’s, noch Gott in wilder Gier,
Und, wie ich sprach, sein Stolz bleibt seine Schande,
Sein Trotz des Busens wohlverdiente Zier.
Jetzt folge mir, doch vor dem heißen Sande
Verwahr’ im Gehen sorglich deinen Fuß
Und halte nah dich an des Waldes Rande.
Ich ging und schwieg, und einen kleinen Fluß
Sah ich diesseits des Waldes sprudelnd quellen.
Vor dessen Rot’ ich jetzt noch schaudern muß.
Den Bach aus jenem Sprudel gleichzustellen.
Der Buhlerinnen schändlichem Verein,
Floß er den Sand hinab mit dunkeln Wellen.
Und Grund und Ufer waren dort von Stein,
Auch beide Ränder, die den Fluß umfassen.
Drum mußte hier der Weg hinüber sein.
“Von allem, was ich noch dich sehen lassen.
Seit wir durch jenes Tor hier eingekehrt.
Das uns, wie alle, ruhig eingelassen,
War noch bis jetzt nichts so bemerkenswert.
Als dieser Fluß, zu dem du eben ziehest,
Der über sich die Flämmchen schnell verzehrt."
So er zu mir und ich darauf: “Du siehest
Mich lüstern schon genug, drum speist’ ich gern;
Gib Kost nur, wie du Essenslust verliehest."
Und er: “Öd liegt ein Land im Meere fern,
Das Kreta hieß, und Keuschheit hat gewaltet,
Als noch die Welt stand unter seinem Herrn.
Ein Berg dort, Ida, war einst schön gestaltet,
Mit Quellen, Laub und Blumen reich geschmückt,
Jetzt ist er öd, verwittert und veraltet.
Dorthin hat Rhea ihren Sohn entrückt.
Und, alle Späher listig hintergehend,
Des Kindes Schrei’n durch Tosen unterdrückt.
Ein hoher Greis ist drin, g’rad’ aufrecht stehend,
Den Rücken nach Damiette hingewandt,
Nach Rom hin, wie in seinen Spiegel, sehend;
Das Haupt von feinem Gold; Brust, Arm und Hand
Von reinem Silber; weiter dann hernieder
Von Kupfer nur bis an der Hüften Rand;
Von tücht’gem Eisen bis zur Sohle nieder;
Nur von gebranntem Ton der rechte Fuß,
Doch ruht auf diesem meist die Last der Glieder.
Das Gold allein ist von gediegnem Guß;
Die andern haben Spalt’ und träufeln Zähren,
Und diese brechen durch die Grott’ als Fluß,
Um ihren Lauf nach diesem Tal zu kehren.
Als Acheron, als Styx, als Phlegethon,
Und bilden, wenn sie zu den tiefsten Sphären
Durch diesen engen Graben hingefloh’n,
Dort den Kozyt; doch nahst du diesem Teiche
Bald selber dich, drum hier nichts mehr davon."
Und ich zu ihm: “Wenn auf der Erd’, im Reiche
Des Tages, schon der kleine Fluß entstund,
Wie kommt es, daß ich ihn erst hier erreiche?"
Und er zu mir: “Du weißt, der Ort ist rund,
Und ob wir gleich schon tief hernieder drangen,
Doch haben wir, da wir uns links zum Grund
Herabgewandt, den Kreis nicht ganz umgangen,
Und wenn du auch noch manches Neue siehst,
Mag Staunen drum dein Auge nicht befangen."
“Sprich noch, wo Phlegethon, wo Lethe fließt?
Du schweigst von der; von jenem hört’ ich sagen,
Daß er aus diesem Regen sich ergießt."
So ich; und er: “Gern hör’ ich deine Fragen,
Doch sollte wohl des roten Wassers Sud
Auf jene selbst die Antwort in sich tragen.
Nicht in der Hölle fließt der Lethe Flut,
Dort siehst du sie beim großen Seelenbade,
Wenn die bereute Schuld auf ewig ruht."
Und drauf: “Jetzt weg vom Wald, und komm gerade
Denselben Weg, den meine Spur dich lehrt;
Die Ränder, nicht entzündet, bilden Pfade,
Und über ihnen wird der Dunst verzehrt.”

Fünfzehnter Gesang

Wir gehen nun auf hartem Rand zusammen,
Und Dampf des Bachs, der drüber nebelt, schützt
Das Wasser und die Dämme vor den Flammen.
So wie sein Land der Flandrer unterstützt,
Bang vor der Springflut Ansturz, die vom Baue
Des festen Damms rückprallend schäumt und spritzt;
Wie längs der Brenta Schloß und Dorf und Aue
Die Paduaner sorglich wohl verwahrt,
Bevor der Chiarentana Frost erlaue;
So war der Damm auch hier von gleicher Art,
Nur daß in minder hohen, dicken Massen
Vom Meister dieser Bau errichtet ward.
Schon weit zurück hatt’ ich den Wald gelassen,
So daß der Blick, nach ihm zurückgewandt,
Doch nicht vermögend war, ihn zu erfassen.
Da kam am Fuß des Damms ein Schwarm gerannt.
Und wie am Neumond bei des Abends Grauen
Nach dem und jenem man die Blicke spannt,
So sahn wir sie auf uns nach oben schauen;
Und wie der alte Schneider nach dem Öhr,
So spitzten sie nach uns die Augenbrauen.
Und wie sie alle gafften, faßte wer
Mich bei dem Saum, indem er mich erkannte,
Und rief erstaunt: “Welch Wunder! Du? Woher?"
Und ich, wie er nach mir gegriffen, wandte
Den Blick ihm fest aufs Angesicht, das schier
Geröstet war; doch zeigte das verbrannte
Sogleich die wohlbekannten Züge mir;
Drum, neigend, auf sein Antlitz zu, die Arme,
Rief ich: “Ei, Herr Brunetto, seid ihr hier?"
“Mein Sohn,” sprach jener, “daß dich mein erbarme!
Gern spräche wohl Brunett Latini dich
Ein wenig hier, entfernt von diesem Schwarme."
“Ich bitt’ euch selbst darum,” entgegnet’ ich,
“Daher ich gern mit euch mich setzen werde,
Wenn’s dieser billigt, denn er leitet mich."
Und er: “Ach Sohn, wer weilt von dieser Herde,
Darf sich nicht wedeln hundert Jahr hernach
Und liegt, die Glut erduldend, auf der Erde.
Drum geh, ich folge deinem Tritte nach,
Bis wir aufs neu’ zu meiner Rotte kommen,
Die weinend geht in Leid und ew’ger Schmach."
Gern war’ ich neben ihn hinabgeklommen.
Doch wagt’ ich’s nicht und ging, das Haupt geneigt,
Wie wer da geht von Ehrfurcht eingenommen,
“Du, welcher vor dem Tod herniedersteigt,"
Begann er nun, “welch Schicksal führt dein Streben?
Und wer ist der, der dir die Pfade zeigt?"
“Dort oben,” sprach ich, “in dem heitern Leben
War ich, eh’ reif mein Alter, ohne Rat
Verirrt und rings von einem Tal umgeben.
Aus dem ich eben gestern morgens trat.
Zurück ins Tal wollt’ ich, da kam mein Leiter
Und führt mich wieder heim auf diesem Pfad."
Drauf sprach er: “Folgst du deinem Sterne weiter.
Dann, wenn ich recht bemerkt im Leben, schafft
Er dich zum Hafen, ehrenvoll und heiter.
Und hätte mich der Tod nicht weggerafft,
Hart’ ich, da dir so hold die Sterne waren,
Dich selbst zum Werk gestärkt mit Mut und Kraft.
Doch jenem Volk von schnöden, Undankbaren,
Das niederstieg von Fiesole und fast
Des Bruchsteins Härte noch scheint zu bewahren,
Ihm bist du, weil du wacker tust, verhaßt;
Mit Recht, weil übel stets zu Dorngewinden
Mit herber Frucht die süße Feige paßt.
Man heißt sie dort nach altem Ruf die Blinden,
Voll Geiz, Neid, Hochmut, faul an Schal’ und Kern–
Laß rein dich stets von ihren Sitten finden,
So großen Ruhm bewahrt dir noch dein Stern,
Daß beide Teile hungrig nach dir ringen,
Doch dieses Kraut bleibt ihrem Schnabel fern.
Das Fiesolaner Vieh mag sich verschlingen,
Sich gegenseits, doch nie berühr’s ein Kraut,
Kann noch sein Mist hervor ein solches bringen,
In dem man neubelebt den Samen schaut
Von jenen Römern, welche dort geblieben.
Als man dies Nest der Bosheit auferbaut."
“War einst, was ich gewünscht, des Herrn Belieben,"
Entgegnet’ ich, “gewiß, ihr wäret nicht
Noch aus der menschlichen Natur vertrieben.
Das teure, gute Vaterangesicht,
Noch seh’ ich’s vor betrübtem Geiste schweben,
Noch denk’ ich, wie ihr mich im heitern Licht
Gelehrt, wie Menschen ew’gen Ruhm erstreben,
Und wie mir dies noch teuer ist und wert,
Soll kund, solang’ ich bin, die Zunge geben.
Was ihr von meiner Laufbahn mich gelehrt,
Bewahr’ ich wohl–Werd’ ich die Herrin schauen
Nebst anderm Text wird mir auch dies erklärt.
Dem aber, will ich, sollt ihr fest vertrauen:
Ist’s nur mit dem Gewissen wohlbestellt,
Dann macht kein Schicksal, wie’s auch sei, mir Grauen.
Mir ist nicht neu, was eure Red’ enthält.
Doch mag der Bauer seine Hacke schwingen
Und seinen Kreis das Glück, wie’s ihm gefällt."
Rechts kehrte sich Virgil, indem wir gingen,
Nach mir zurück und sah mich an und sprach:
“Gut hören, die’s behalten und vollbringen."
Ich aber ließ drum nicht im Sprechen nach,
Und wünschte die berühmtesten zu kennen
Von den Genossen dieser Pein und Schmach.
Drauf Herr Brunett: “Gut ist es, ein’ge nennen,
So wie von andern schweigen löblich scheint,
Auch würd’ ich nicht von allen sagen können.
Gelehrte sind und Pfaffen hier vereint
Von großem Ruf, die einst besudelt waren
Mit jenem Fehl, den jeder nun beweint.
Franz von Accorso geht in diesen Scharen,
Auch Priscian, und war dir’s nicht zu schlecht,
Vorhin so schnöden Aussatz zu gewahren,
So sahst du jenen, den der Knechte Knecht
Zwang, nach Vicenz vom Arno aufzubrechen,
Allwo der Tod sein toll Gelüst gerächt.
Gern sagt’ ich mehr–doch mit dir gehn und sprechen
Darf ich nicht länger, denn schon hebt sich dicht
Ein neuer Rauch auf jenen sand’gen Flächen.
Auch naht hier Volk, von dem mich das Gericht
Geschieden hat–Mein Schatz sei dir empfohlen,
Ich leb’ in ihm noch–mehr begehr’ ich nicht."
Hier wandt’ er sich, die andern einzuholen,
Wie nach dem Ziel mit grünem Tuch geziert.
Der Veroneser läuft mit flücht’gen Sohlen,
Und schien, wie wer gewinnt, nicht wer verliert

Sechzehnter Gesang

Ich war am Ort, wo’s widerhallend brauste
Vom Wasser, das da stürzt’ ins nächste Tal,
Als ob ein Schwarm von Bienen summt’ und sauste;
Da rannten Schatten her, drei an der Zahl,
Und trennten sich von einer größern Bande,
Die hinlief durch des Feuerregens Qual,
Und schrien: “Halt du, wir sehn es am Gewande
Dir deutlich an, du bist hierher versetzt
Aus unserm eignen schnöden Vaterlande."
Ach, alt’ und neue Wunden, eingeätzt
Von Flammen, sah ich nun in ihrem Fleische,
Und noch voll Mitleid denk’ ich ihrer jetzt.
Mein Meister horcht’ auf dieses Schmerzgekreische
Und sah mich an und sprach: “Hier harren wir!
Bedenke jetzt, was Höflichkeit erheische.
Denn wäre nicht der Feuerregen hier,
Nach der Natur des Orts, so würd’ ich sagen:
Die Eile zieme, mehr als ihnen, dir."
Ich stand und hörte neu ihr altes Klagen;
Zu uns gekommen waren alle nun,
Da sah ich sie sich selbst im Kreise jagen.
Wie nackende gesalbte Kämpfer tun,
Die Griff und Vorteil zu erforschen pflegen,
Indessen noch die Püff’ und Stöße ruh’n;
So sah ich sie im Kreise sich bewegen,
Mir immerdar das Antlitz zugewandt,
Und Hals und Fuß an Richtung sich entgegen.
Und einer sprach: “Wenn dieser lockre Sand
Und unsre Not uns nicht verächtlich machte.
Und unsre Haut, so rußig und verbrannt,
Dann unser Flehn, ob unsers Rufs, beachte;
Sprich, wer bist du? Wie lebend hier erscheinst?
Und was dich sicher her zur Hölle brachte?
Der, welchem du mich folgen siehst, war einst,
Muß er auch nackt hier und geschunden rennen.
Von höherm Range wohl, als du vermeinst.
Wer hörte nicht Gualdradas Enkel nennen,
Den Guidoguerra, dessen Schwert und Geist
Wohl Puglia und Florenz als tüchtig kennen?
Der hinter mir den lockern Sand durchkreist,
Tegghiajo ist’s, des Rat man noch auf Erden,
Obwohl man ihm nicht folgt’, als heilsam preist.
Ich, ihr Genoss’ in schrecklichen Beschwerden,
Bin Jakob Rusticucci, und mich ließ
Mein böses, wildes Weib so elend werden."–
Wenn irgend was vor’m Feuer Schutz verhieß.
So stürzt’ ich gern mich unter sie hernieder,
Auch litt, so glaub’ ich, wohl mein Meister dies.
Allein verbrannt hätt’ ich auch meine Glieder,
Drum unterdrückte Furcht in mir die Lust,
Die Jammervollen zu umarmen, wieder.
“Nicht der Verachtung bin ich mir bewußt,"
Begann ich, “nur des Leids für euch Geplagte,
Und schwer verwinden wird es meine Brust.
Ich fühlt’ es, als mein Herr mir Worte sagte,
Durch welche mir es deutlich ward und klar,
Daß, wer hier komme, hoch auf Erden ragte.
Ich bin aus eurer Stadt, und nimmerdar
Wird eures Tuns ruhmvoll Gedächtnis schwinden,
Das immer mir auch lieb und teuer war.
Ich ließ’ die Gall, um süße Frucht zu finden,
Die mein wahrhafter Führer prophezeit,
Doch muß ich erst zum Mittelpunkt mich winden."
“Soll lang’ noch deine Seele das Geleit
Der Glieder sein,” so sprach nun er dagegen,
“Soll leuchten noch dein Ruf nach deiner Zeit,
So sage mir, bewohnen, wie sie pflegen,
Wohl unsre Stadt noch Kraft und Edelmut?
Sind sie verbannt und völlig unterlegen?
Denn Borsiere, welcher diese Glut
Seit kurzem teilt, und dort mit andern schreitet,
Erzählt’ uns manches, was uns wehe tut!–"
“Neu Volk und schleuniger Gewinn verleitet
Zu Unmaß dich und Stolz, der dich betört,
Florenz, und dir viel Leiden schon bereitet!"
Ich rief’s, das Aug’ emporgewandt, verstört.
Starr sah’n die drei sich an bei meinen Reden,
Wie man sich anstarrt, wenn man Wahrheit hört.
“Wir wünschen Glück, wenn du so wohlfeil jeden
Abfert’gen kannst,” war aller Gegenwort,
“Und dir’s bekommt, nach Herzenslust zu reden.
Entkommst du einst aus diesem dunkeln Ort
Und siehst den Sternenglanz, den schönen, süßen,
Und sagst dann froh und heiter: Ich war dort,
Vergiß dann nicht, die Welt von uns zu grüßen!"–
Hier aber brachen sie den Kreis und floh’n
Voll Eil’ und wie mit Flügeln an den Füßen.
Eh’ man ein Amen ausspricht, waren schon
Sie alle drei aus meinem Blick verschwunden.
Drum ging sogleich mein Meister auch davon.
Ich folgt’ ihm nach, um Weitres zu erkunden,
Worauf uns bald des Stroms Gebraus erklang,
So nah, daß wir uns sprechend kaum verstunden.
Gleich jenem Flusse mit dem eignen Gang,
Des Fluten ostwärts vom Berg Veso toben.
Vom Apennin an seinem linken Hang;
Das stille Wasser heißt er erst dort oben,
Dann senkt er sich und wird bei Forli bald
Des ersten Namens wiederum enthoben–
Des Sturz dort ob Sankt Benedikt erschallt.
Wo seine Wellen in den Abhang brausen,
Der groß für Tausend ist zum Aufenthalt:
So brach von einem Felsenhang voll Grausen
Der rotgefärbte Fluß sich brüllend Bahn,
Und kaum ertrug das Ohr sein wildes Sausen.
Mit einem Stricke war ich umgetan,
Und manches Mal mit diesem Gurte dachte
Ich das gefleckte Panthertier zu seh’n.
Nachdem ich los von mir den Gürtel machte,
Wie ich vom Führer mir geboten fand,
Macht’ ich ein Knäuel draus, das ich ihm brachte.
Er aber kehrte dann sich rechter Hand
Und schleuderte zum tiefen Felsenschlunde
Das Knäul hinunter ziemlich weit vom Rand.
“Entsprechend”, dacht’ ich, “muß die neue Kunde
Dem neuen Wink und diesem Blicke sein,
Womit mein Meister schaut zum tiefen Grunde."
Stets präge doch der Mensch sich Vorsicht ein
Mit solchen, die des Herzens Sinn erspähen,
Und nicht sich halten an die Tat allein.
Er sprach: “Bald werden wir auftauchen sehen,
Was ich erwart’; und das, was du gedacht,
Wird deutlich bald vor deinen Blicken stehen."
Bei Wahrheit, die der Lüge gleicht, habt acht,
Soviel ihr könnt, euch nimmer auszusprechen,
Sonst werdet ihr ohn’ eure Schuld verlacht.
Doch kann ich mich zu reden nicht entbrechen
Und schwör’, o Leser, dir, bei dem Gedicht,
Dem nimmer möge Huld und Gunst gebrechen:
Ich sah durch jene Lüfte schwarz und dicht
Ein Bild, nach oben schwimmend, sich erheben,
Dem Kühnsten wohl ein wunderbar Gesicht–
Wie jemand kehrt, der sich hinabbegeben.
Den Anker, der im Felsenrisse steckt,
Zu lösen, wenn er sich beim Aufwärtsstreben
Von unten einzieht und nach oben streckt.

Siebzehnter Gesang

Sieh hier das Untier mit dem spitzen Schwanze,
Der Berge spaltet, Mauer bricht und Tor!
Sieh, was mit Stank erfüllt das große Ganze!
So hob mein Führer seine Stimm’ empor
Und rief mit seinem Wink das Tier zum Rande,
Bis nah zu unserm Marmorpfade vor.
Da kam des Truges Greuelbild zum Lande
Und schob den Kopf und dann den Rumpf heran,
Doch zog es nicht den scharfen Schweif zum Strande.
Von Antlitz glich es einem Biedermann
Und ließ von außen Mild’ und Huld gewahren,
Doch dann fing die Gestalt des Drachen an.
Mit zweien Tatzen, die bedeckt mit Haaren,
Und Rücken, Brust und Seiten, die bemalt
Mit Knoten und mit kleinen Schnörkeln waren;
Vielfarbig, wie kein Werk Arachnes strahlt,
Wie, was auch Türk und Tatar je gewoben,
So bunt doch nichts an Grund und Muster prahlt.
Wie man den Kahn, im Wasser halb, halb oben,
Am Lande sieht an unsrer Flüsse Strand,
Und wie, zum Kampf den Vorderleib erhoben.
Der Biber in der deutschen Fresser Land;
So sah ich jetzt das Ungeheuer, ragend
Und vorgestreckt auf unsers Dammes Rand,
Wild zappelnd, mit dem Schweif durchs Leere schlagend,
Und, mit der Skorpionen Wehr versehn,
Die Gabel windend und sie aufwärts tragend.
Mein Führer sprach: Jetzt müssen wir uns dreh’n
Und auf gewundnem Pfad zum Ungeheuer
Dorthin, wo’s jetzo liegt, hinuntergehn.
Nun führte rechter Hand mich mein Getreuer
Nur wenig Schritt’ hinab am Rande fort,
Den heißen Sand vermeidend und das Feuer.
Und unten angelangt, erkannt’ ich dort
Noch etwas vorwärts auf dem Sande Leute,
Nah sitzend an des Abgrunds dunklem Bord,
Mein Meister sprach: “Erkennen sollst du heute
Den ganzen Binnenkreis mit seiner Pein,
Drum geh und sieh, was jenes Volk bedeute.
Doch kurz nur dürfen deine Worte sein.
Ich will indes mich mit dem Tier vernehmen,
Den starken Rücken uns zur Fahrt zu leih’n."
So mußt’ ich einsam mich zu geh’n bequemen
Am Rand des siebenten der Kreis’ und nahm
Den Weg zum Sitze der betrübten Schemen.
Aus jedem Auge starrte Schmerz und Gram,
Indes die Hand, jetzt vor dem heißen Grunde,
Jetzt vor dem Dunst dem Leib zu Hilfe kam.
So scharren sich zur Sommerzeit die Hunde,
Wenn Floh sie oder Flieg’ und Wespe sticht,
Jetzt mit dem einen Fuß, jetzt mit dem Munde.
Die Augen wandt’ ich manchem ins Gesicht,
Der dort im Feuer saß und heißer Asche;
Und keinen kannt’ ich, doch entging mir nicht,
Vom Halse hänge jedem eine Tasche,
Bezeichnet und bemalt, und wie voll Gier
Nach diesem Anblick noch ihr Auge hasche.
Ich sah, wie ich genaht, ein blaues Tier
Auf gelbem Beutel, wie auf einem Schilde,
Das schien ein Leu an Kopf und Haltung mir.
Dann blickt’ ich weiter durch dies Qualgefilde,
Und sieh, ein andrer Beutel, blutigrot,
Zeigt’ eine butterweiße Gans im Bilde.
Ein blaues Schwein auf weißem Sacke bot
Sich dann dem Blick, und seine Stimm’ erheben
Hört’ ich den Träger: “Du hier vor dem Tod?
Fort! Fort! Doch wisse, weil du noch am Leben
Bald findet mir mein Nachbar Vitalian,
Zur Linken seinen Sitz, hier gleich daneben.
Oft schrei’n mich diese Florentiner an,
Mich Paduaner, mir zum größten Schrecken:
Möcht’ aller Ritter Ausbund endlich nah’n!
Wo mag doch die Dreischnabeltasche stecken?"–
Hier zerrt’ er’s Maul schief, und die Zunge zog
Er vor, gleich Ochsen, so die Nase lecken.
Schon fürchtet’ ich, da ich so lang verzog,
Den Zorn des Meisters, der auf Eil’ gedrungen,
Daher ich schnell mich wieder rückwärts bog.
Auch fand ich, daß er schon sich aufgeschwungen
Und auf das Kreuz des Ungetüms gesetzt.
Er sprach: “Stark sei dein Mut und unbezwungen!
Hinunter geht’s auf solcher Leiter jetzt.
Steig vorn nur auf, ich will inmitten sitzen.
Daß dich des Schwanzes Stachel nicht verletzt."
Wie wer mit totenkalten Fingerspitzen
Das Fieber nahen fühlt und doch nicht wagt,
Wenn er schon zitternd bebt, sich zu erhitzen,
So wurd’ ich jetzt bei dem, was er gesagt,
Doch machte mich die Scham, gleich einem Knechte,
Wenn ihm ein güt’ger Herr droht, unverzagt.
Drum setzt’ ich auf dem Untier mich zurechte.
Und bitten wollt’ ich (doch erstarb der Ton),
Daß er mich halten und umfassen möchte.
Doch er, der oft bei der Dämonen Droh’n
Mich unterstützt und der Gefahr entzogen,
Umfaßte mich mit seinen Armen schon.
Und sprach: “Geryon, auf! Nun fortgeflogen!
Allein bedenke, wen dein Rücken trägt,
Drum steige sanft hinab in weiten Bogen."
Wie rückwärts sich vom Strand der Kahn bewegt,
Schob sich’s vom Damm, doch, kaum hinabgeklommen,
Ward dann im freien Spielraum umgelegt.
Als, wo die Brust war, nun der Schweif gekommen,
Ward dieser, wie ein Aalschweif, ausgestreckt,
Und mit dem Tatzenpaar die Luft durchschwommen.
So, glaub’ ich, war nicht Phaethon erschreckt,
Als einst die Zügel seiner Hand entgingen,
Beim Himmelsbrand, des Spur man noch entdeckt;
Noch Icarus, als von erwärmten Schwingen
Das Wachs herniedertroff, bei Dädals Schrei’n:
Dein Weg ist schlecht, dein Flug wird nicht gelingen;
Wie ich, nichts sehend, als das Tier allein,
Und rings umher von öder Luft umfangen,
Wo nie entglomm des Lichtes heitrer Schein.
Daß wir uns langsam, langsam niederschwangen,
Im Bogenflug, bemerkt’ ich nur beim Weh’n
Der Luft von unten her an Stirn und Wangen.
Rechts hört’ ich schon das Wirbeln und das Dreh’n
Des Wasserfalls und sein entsetzlich Brausen,
Und bog mich vorwärts, um hinabzusehn.
Doch schüchtern wieder bei des Abgrunds Sausen,
Bei Klag’ und Glut, die ich vernahm und sah,
Duckt’ ich mich hin und zitterte vor Grausen.
Was ich erst nicht gesehn, das sah ich da:
Wie wir im weiten Kreis hinunterstiegen.
Und sah mich überall den Qualen nah–
Gleich wie ein Falk, wenn er, nach langem Wiegen
In hoher Luft, nicht Raub noch Lockbild steht,
Und ihn der Falkner ruft, herabzufliegen,
So schnell er stieg, so langsam niederzieht
Und, zürnend, wenn der Herr ihn eingeladen,
Im Bogenflug zum fernen Sitze flieht;
So setzt’ uns an den steilen Felsgestaden
Geryon ab und flog in großer Eil’,
Sobald er nur sich unsrer Last entladen,
Hinweg, gleich einem abgeschnellten Pfeil.

Achtzehnter Gesang

Ein Ort der Hölle, namens Übelsäcken,
ist eisenfarbig, ganz erbaut von Stein,
So auch die Dämme, die ringsum ihn decken.
Grad’ in der Mitte dieses Lands der Pein
Gähnt hohl ein Brunnen, weit, mit tiefem Schlunde.
Von dem wird seines Orts die Rede sein.
Und zwischen Höhl’ und Felswand gehn im Runde
Rings so die Dämme, daß der Täler zehn
Abschnitte bilden in dem tiefen Grunde.
Wie um ein Schloß mehrfache Gräben gehn.
Dahinter wohlverwahrt die Mauern ragen
Und sicherer den Feinden widerstehn;
So war umgürtet dieser Ort der Plagen;
Und wie man Brücken pflegt zum andern Strand
Aus solcher festen Schlösser Tor zu schlagen,
So sprangen Zacken aus der Felsenwand,
Durchschnitten Wäll’ und Gräben erst und gingen.
Wie Räderspeichen, bis zum Brunnenrand.
Kaum konnten wir vom Kreuz Geryons springen,
So ging links hin mein Meister und befahl
Auch mir, auf seinen Spuren vorzudringen.
Und ganz erfüllt sah ich das erste Tal
Rechts, wohin Klagen meine Blicke riefen.
Von neuen Peinigern und neuer Qual.
Es waren nackte Sünder in den Tiefen,
Geteilt, denn hier zog gegen uns die Schar,
Und dort mit uns, nur daß sie schneller liefen;
Gleichwie man pflegt in Rom beim Jubeljahr
Zum Übergang die Brücke herzurichten
Ob übergroßen Andrangs, also zwar,
Daß hier gewendet sind mit den Gesichten,
Die zu Sankt Peter wallen, nach dem Schloß,
Die andern dort sich nach dem Berge richten.
Auf schwarzem Stein sprang hier und dort ein Troß
Von Teufeln nach, von schrecklichen, gehörnten.
Die schlugen wild auf sie von hinten los.
Wie sie beim ersten Schlage laufen lernten!
Wie sie, nicht harrend auf den zweiten Hieb,
Mit jähen, langen Sprüngen sich entfernten!
So fiel auf einen, den die Geißel trieb,
Mein Auge jetzt hinab, bei dem ich dachte,
Daß er nicht fremd mir auf der Erde blieb.
Scharf blickt’ ich hin, damit ich ihn betrachte,
Auch hielt mein Führer an, der’s zugestand,
Daß ich zurück erst ein’ge Schritte machte.
Zwar sucht’ er, bodenwärts den Blick gewandt,
Mir mit Gestalt und Angesicht zu geizen,
Doch rief ich, da ich dennoch ihn erkannt:
“Wenn deine Züge nicht zum Irrtum reizen,
So mein’ ich, daß du Venedigo seist;
Doch weshalb steckst du so in scharfen Beizen?"
“Nur ungern sag’ ich’s,” sprach er drauf, “doch reißt
Dein klares Wort mich hin, das mich bezwungen,
Weil’s alte Zeit zurückführt meinem Geist.
Ich bin’s, der in Ghifolen so gedrungen,
Daß sie nach des Markgrafen Willen tat,
Wie ganz entstellt auch das Gerücht erklungen.
Und aus Bologna ist auf gleichem Pfad
An diesen Qualort so viel Volk gekommen,
Als jetzo diese Stadt kaum Bürger hat.
Und sollte dir hierbei ein Zweifel kommen,
So denk’, um sicher auf mein Wort zu bau’n.
Wie Habsucht uns die Herzen eingenommen."
Sprach’s, und ein Teufel kam, um einzuhau’n,
Mit hochgeschwungner Geißel her und sagte:
“Fort, Kuppler, fort, hier gibt’s nicht feile Frau’n."
Zum Führer ging ich, da ich bebt’ und zagte,
Und bald gelangten wir an einen Ort,
Wo aus der Wand ein Felsen vorwärts ragte.
Und dieser Zacken dient’ als Brücke dort;
Leicht klommen beide wir hinauf und zogen
Rechts hin aus jenen ew’gen Kreisen fort.
Bald dort, wo unter uns der Fels als Bogen
Sich höhlt’ und Durchgang der Gepeitschten war,
Sprach er: “In gleicher Richtung fortgezogen,
Sind wir bis jetzt mit jener zweiten Schar,
Drum konnten wir sie nicht von vorne sehen.
ietzt aber nimm die Angesichter wahr."
Wir blieben nun am Rand der Brücke stehen
Und sah’n den Schwarm, der uns entgegensprang,
Denn eilig hieß die Geißel alle gehen.
Da sprach mein Hort: “Sieh, noch mit Stolz im Gang,
Den Großen, der sich keine Klag’ erlaubte,
Dem aller Schmerz noch keine Trän’ entrang.
So königlich noch an Gestalt und Haupte!
Der Jason ist’s, der durch Verstand und Mut
Das Widdervlies dem Volk von Kolchis raubte.
Nach Lemnos kam er, als in ihrer Wut
Die Frau’n, die glühend Eifersucht durchzuckte,
Vergossen hatten aller Männer Blut;
Wo er durch Worte, täuschend ausgeschmückte.
Berückt Hypsipylen, das junge Herz,
Die alle Frau’n von Lemnos erst berückte.
Dort ließ er schwanger sie in ihrem Schmerz.
Dies bracht’ ihn her; und gleiche Straf’ erheischen
Medeas Leiden, einst ihm Spiel und Scherz–
Auch gehn mit ihm, die gleicherweise tauschen.
Allein dies sei vorn ersten Tal genug
Und denen, so die Geißeln drin zerfleischen."
Im Kreuz den zweiten Damm durchschneidend, trug
Der Felspfad uns, der, auf den Widerlagen
Der Dämme, hier den andern Bogen schlug.
Dort, aus dem zweiten Sack, klang dumpfes Klagen,
Und Leute sah’n wir tief im Grunde sich
Laut schnaufend mit den flachen Händen schlagen.
Der Dämme Seiten waren schimmelig
Vom untern Dunste, der wie Teig dort klebte.
Für Aug’ und Nase feindlich widerlich.
Doch vor dem Blick, so sehr ich forschte, schwebte;
Noch dunkle Nacht, weil tief der Abgrund ist,
Bis ich des Felsenbogens Höh’ erstrebte.
Von hier, wo erst der Blick die Tiefe mißt.
Sah ich viel Leut in tiefem Kote stecken,
Und, wie mir’s vorkam, war es Menschenmist.
Ich forscht’ und sah ein Haupt sich vorwärts strecken,
Doch ganz beschmutzt mit Kot, drum könnt’ ich nicht,
Ob’s Lai’, ob Pfaffe sei, genau entdecken.
Da schrie er her: “Was bist du so erpicht,
Mich mehr als andre Schmutz’ge zu gewahren?"
Und ich: “Weil, ist mir recht, ich dein Gesicht
Bereits gesehm, allein mit trocknen Haaren.
Alex, Interminei heißest du,
Drum seh’ ich mehr auf dich als jene Scharen."
Und er, die Stirn sich schlagend, rief mir zu:
“Mich stürzte Schmeichelei herab zur Hölle,
Die ich dort übte sonder Rast und Ruh’."
Da sprach zu mir mein guter Meister: “Stelle
Dich etwas vor, und in die Augen fällt
Dir eine schmutz’ge Dirn’ an jener Stelle.
Sieh die Zerzauste, die sich kratzt und krellt
Mit kot’gen Nägeln, jetzt aufs neue greulich
im Mist versinkt und jetzt sich aufrecht stellt,
Die Hure Thais ist’s, jetzt so abscheulich.
Fragt’ einst ihr Buhl: “Steh’ ich in Gunst bei dir?"
Versetzte sie: “Ei, ganz erstaunlich! Freilich!"
Doch sei gesättigt unsre Schaulust hier.

Neunzehnter Gesang

Simon Magus, ihr, o Arme, Blöde,
Die, was der Tugend ihr vermählen sollt.
Die Dinge Gottes, räuberisch und schnöde,
Ihr euch erbuhlt durch Silber und durch Gold,
Von euch soll jetzo die Posaun’ erschallen;
Euch zahlt der dritte Sack der Sünden Sold.
Erstiegen hatten wir die Felsenhallen
Des Stegs, von welchem mitten in den Schoß
Des nächsten Schlunds die Blicke senkrecht fallen.
Allweisheit, wie ist deine Kunst so groß
Im Himmel, auf der Erd’, im Höllenschlunde,
Und wie gerecht verteilst du jedes Los!
Ich sah dort an den Seiten und im Grunde
Viel Löcher im schwarzbläulichen Gestein,
Gleich weit und sämtlich ausgehöhlt zum Runde.
Sie mochten so, wie jene, wo hinein
Beim Taufstein Sankt Johanns die Täufer treten,
Und enger nicht, doch auch nicht weiter sein.
Eins dieser sprengt’ ich einst, weil ich in Nöten
Ein halbersticktes Kindlein drin entdeckt;
So sei’s besiegelt, so will ich’s vertreten;
Ich sah, daß sich, aus jedem Loch gestreckt,
Zwei Füß’ und Beine bis zum Dicken fanden,
Der andre Leib blieb innerhalb versteckt;
Sah, wie die Sohlen beid’ in Flammen standen,
Und sah die Knorren zappeln und sich dreh’n
So stark, daß sie wohl sprengten Kett’ und Banden.
Wie wir’s an ölgetränkten Dingen sehn,
Wo obenhin die Flammen flackernd rennen,
So von der Ferse dort bis zu den Zeh’n.
“Gern, Meister,” sprach ich, “möcht’ ich diesen kennen.
Der wilder zuckt als die, so ihm gesellt,
Und dessen beide Sohlen röter brennen."
Und er: “Ich trage dich, wenn dir’s gefällt,
Arn schiefen Hang hinab–er wird dir zeigen,
Wer einst er war, und was im Loch ihn hält."
Drauf ich: “Du bist der Herr, und mein Bezeigen
Folgt dem gern, was mir als dein Wille kund,
Und du verstehst mich auch bei meinem Schweigen."
Drauf ging’s zum vierten Damm, und links zum Schlund
Trug mich mein Herr hinab zu neuen Leiden
In den durchlöcherten und engen Grund.
Er ließ mich nicht von seiner Hüfte scheiden,
Auf die er mich gesetzt, bis bei dem Ort
Des, der da weinte mit den Füßen beiden.
“Du, mit dem Obern unten,” sprach ich dort,
“Hier eingerammt gleich einem Pfahl, verkünde:
Wer bist du? Sprich, ist dir vergönnt dies Wort."
Ich stand, dem Pfaffen gleich, dem seine Sünde
Der Mörder beichtet, welcher, schon im Loch,
Ihn rückruft, daß der Tod noch Aufschub finde.
Da schrie er: “Bonifaz, so kommst du doch,
So kommst du doch schon jetzt, mich fortzusenden?
Und man versprach dir manche Jahre noch?
Schon satt des Guts, ob des mit frechen Händen
Du trügerisch die schöne Frau geraubt,
Um ungescheut und frevelnd sie zu schänden?"
Ich stand verlegen, mit gesenktem Haupt,
Wie wer nicht recht versteht, was er vernommen.
Und sich beschämt kein Gegenwort erlaubt.
Da sprach Virgil: “Was stehst du so beklommen?
Sag’ ihm geschwind, daß du nicht jener seist,
Den er gemeint!"–Ich eilt’, ihm nachzukommen.
Die Fuße nun verdrehte wild der Geist
Und sprach mit Seufzern und mit dumpfen Klagen:
“Was also ist’s, das so dich fragen heißt?
Doch standest du nicht an, dich herzuwagen.
Um mich zu kennen, wohl, so sag’ ich dir,
Daß ich den großen Mantel einst getragen.
Der Bärin wahrer Sohn war ich, voll Gier
Fürs Wohl der Bärlein, und für diese steckte
Ich in den Sack dort Gold, mich selber hier.
Auch unter meinem Haupt gibt’s viel Versteckte.
Dort, durchgepreßt durch einen Felsenspalt,
Sind, die vor mir die Simonie befleckte.
Und dort hinab versink’ auch ich, sobald
Der kommt, für welchen ich dich angesehen.
Und der mir folgt in diesem Aufenthalt;
Doch wird er nicht so lang, als mir geschehen,
Die Füße brennend, köpflings eingesteckt,
Fest eingepfählt in diesem Loche stehen.
Denn nach ihm kommt, zu schlechter’m Werk erweckt,
Ein Hirt vom Westen, ein gesetzlos Wesen,
Das, wie sich ziemt, mich und auch ihn bedeckt.
Ein neuer Jason ist’s, von dem zu lesen
Im Makkabäerbuch, dem Philipp wird.
Was diesem einst Antiochus
Ich weiß nicht, ob ich nicht zu sehr geirrt,
Auf solche Red’ ihm dieses zu versetzen:
“Sprich, was verlangt’ einst unser Herr und Hirt,
Zuerst von Petrus wohl an Gold und Schätzen,
Um ihm das Amt der Schlüssel zu verleih’n?"
Komm, sprach er, um mein Werk nun fortzusetzen
Was trug’s dem Petrus und den andern ein.
Als man durch Los einst den Matthias kürte
Statt dessen, der ein Raub ward ew’ger Pein?
Nichts ward dir hier, als das, was sich gebührte;
Betrachte nur das schlechterworbne Geld,
Das gegen Karl’n zur Kühnheit dich verführte.
Und nur weil Ehrfurcht meine Zunge hält
Für jene Schlüssel, die du einst getragen,
Da du gewandelt in der heitern Welt,
Enthalt’ ich mich, dir Schlimmeres zu sagen:
Daß schlecht die Welt durch eure Habsucht ist.
Die Guten sanken und die Schlechten ragen.
Euch Hirten meinte der Evangelist
Bei ihr, die sitzend auf den Wasserwogen
Mit Königen zu huren sich vermißt.
Sie, mit den sieben Häuptern auferzogen,
Sie hatt’ in zehen Hörnern Kraft und Macht,
Solang der Tugend ihr Gemahl gewogen.
Eu’r Gott ist Gold und Silber, Glanz und Pracht.
Wohl besser sind die, so an Götzen hangen,
Die einen haben, wo ihr hundert macht.
Welch Unheil, Konstantin, ist aufgegangen,
Nicht, weil du dich bekehrt, nein, weil das Gut
Der erste reiche Papst von dir empfangen!"
Indes ich also sprach mit keckem Mut,
Da, sei’s daß Zorn ihn, daß ihn Reue nagte.
Verdreht er beide Bein’ in großer Wut.
Doch schien’s, daß es dem Führer wohlbehagte;
So stand er dort, zufrieden, aufmerksam.
Als ich so nachdrucksvoll die Wahrheit sagte;
Worauf er mich mit beiden Armen nahm,
Und als er mich an seine Brust gewunden,
Den Weg zurückestieg, auf dem er kam.
Er trug, nie matt, wie fest er mich umwunden.
Mich auf des Bogens Höhe sonder Rast,
Durch den der viert’ und fünfte Damm verbunden.
Dort setzt’ er sanft zu Boden meine Last,
Sanft, ob der Fels auch, steil emporgeschossen,
Zum Wege kaum für eine Ziege paßt;
Da ward ein andres Tal mir aufgeschlossen.

Zwanzigster Gesang

Die neue Qual, zu der ich jetzt gewandelt.
Sie gibt dem zwanzigsten Gesange Stoff
Des ersten Lieds, das von Verdammten handelt.
Ich stand auf jenem Felsen rauh und schroff
Und spähte scharf hinab zum offnen Schlunde,
Der ganz von angsterpreßten Zähren troff.
Viel Leute gingen langsam in der Runde,
So, wie ein Wallfahrtszug die Schritte lenkt.
Stillschweigend, weinend in dem tiefen Grunde.
Als tiefer ich auf sie den Blick gesenkt,
Sah ich–ein Wunder scheint es und erdichtet–
Vorn Kinn sie bis zum Achselbein verrenkt,
Das Angesicht zum Rücken hin gerichtet;
Drum mußten sie gezwungen rückwärts gehn,
Und ihnen war das Vorwärtsschau’n vernichtet.
So soll der Fallsucht Krampf das Haupt verdreh’n,
Wie man erzählt in wunderlichen Sagen,
Doch glaub’ ich’s nicht, da ich es nie gesehn.
Läßt Gott dein Lesen, Leser, Früchte tragen,
So frage selber dich, wie mir geschah,
Ob ich nicht weinen mußt’ und ganz verzagen,
Als ich des Menschen Ebenbild so nah
Verrenkt, verdreht und von der Augen Tränen
Genetzt den Spalt der Hinterbacken sah?
Wahr ist’s, auf eine von den Felsenlehnen
Stand ich gestützt und weinte ganz verzagt;
Da sprach mein Herr: “Willst du, gleich Toren, wähnen?
Fromm ist nur, wer das Mitleid hier versagt.
Wer ist verruchter wohl, als wer zu schmähen
Durch sein Bedauern Gottes Urteil wagt?
Empor das Haupt, empor! Den wirst du sehen,
Den einst vor Thebens Blick der Grund verschlang;
Drob alle schrien: Wohin? Was ist geschehen?
Amphiaraus, wird der Kampf zu lang?–
Doch stürzt’ er fort und fort im tiefen Schachte,
Bis Minos ihn, gleich anderm Volk, bezwang.
Schau’, wie er ihm die Brust zum Rücken machte!
Schau’, wie er rückwärts schreitet, rückwärts steht,
Weil er zu weit voraus zu sehen dachte.
Tiresias sieh, der uns entgegenzieht.
Er, erst ein Mann, ward durch des Zaubers Gabe
Verwandelt in ein Weib an jedem Glied.
Dann aber schlug er mit dem Zauberstabe
Zuvor auf zwei verwundne Schlangen ein,
Damit er wieder Mannsgestaltung habe.
Den Rücken ihm am Bauch, kommt hinterdrein,
Nah angedrängt an ihn, des Aruns Schatte,
Der lebend einst in Lunis Felsenreih’n
Als Haus die weiße Marmorhöhle hatte,
Wohl ausgesucht, daß sie zum Meeresstrand
Und zu den Sternen freien Blick gestatte.–
Die mit den wilden Haaren ohne Band
Die Brüste deckt, die sich nach hinten kehren,
Was sonst behaart ist, hinterwärts gewandt.
War Manto, die in Ländern und auf Meeren
Umirrte bis zum Ort, der mich gebar.
Von dieser will ich näher dich belehren.
Nachdem der Welt entrückt ihr Vater war
Und Bacchus’ Stadt verfiel in Sklavenbande,
Durchstreifte sie die Welt so manches Jahr.
Ein See liegt an des schönen Welschlands Rande,
Am Fuß des Alpgebirgs, das Deutschland schließt,
Benaco heißend, beim Tiroler Lande.
Zwischen Camonica und Gard’ ergießt,
Und Apennin, sich Flut in tausend Bächen,
Die in besagtem See zusammenfließt.
Inmitten aber liegen ebne Flächen,
Und drei verschiedne Hirten könnten dort
Auf einem Grenzpunkt ihren Segen sprechen.
Hier liegt Peschiera dann, ein starker Ort
Um Bergamo von Brescia abzuschneiden,
Und rings geht flacher dann die Gegend fort.
Hier muß sich von dem See das Wasser scheiden,
Das nicht mehr Raum in seinem Schoß gewinnt,
Und strömt als Fluß herab durch grüne Weiden.
Das Wasser, das hier seinen Lauf beginnt,
Heißt Mincio nun, und seine Wellen gleiten
Bis nach Governo, wo’s im Po verrinnt.
Nicht weit gelaufen, trifft es ebne Weiten,
Wo es sich ausdehnt und zum Sumpfe staut,
Der bösen Dunst verhaucht zu Sommerszeiten.
Als dort das rauhe Weib ein Land erschaut,
Das jenes Sumpfes Wogen rings umgaben.
Entblößt von Leuten und unangebaut,
Da blieb, um nichts von Menschen nah zu haben.
Sie mit den Dienern da, trieb Zauberei
Und lebt’ und ward in diesem Land begraben.
Bald kamen Menschen, rings zerstreut, herbei.
Die, weil sie sich auf diesen Ort verließen,
Und sah’n, daß durch das Moor kein Zugang sei,
Sich auf dem Grabe Mantos niederließen,
Und dann nach ihr, die erst den Ort erwählt,
Die Stadt, ohn’ andres Zeichen, Mantua hießen.
Sie hat vordem des Volkes mehr gezählt,
Eh’ Pinamont, den Toren zu betrügen.
Dem Cassalodi seinen Trug verhehlt.
Drum merke wohl, und sollt’ es ja sich fügen,
Daß Mantuas Ursprung man nicht so erklärt,
So laß der Wahrheit nichts entzieh’n durch Lügen."
Und ich: “Mein Meister, was dein Wort mich lehrt.
Ist mir gewiß und dient zu meinem Frommen,
All andres ist nur tote Kohl’ an Wert.
Doch sprich, von diesen, die uns näher kommen,
Ist irgend wer bemerkenswerter Art?
Denn dies nur hat den Geist mir eingenommen."
Und er: “Des Augurs Trug hat der, des Bart
Die braunen Schultern deckt, zur Zeit getrieben,
Als Griechenland so leer an Männern ward,
Daß Knaben kaum noch für die Wiegen blieben.
In Aulis sagt’ er da mit Kalchas wahr,
Zeit sei’s, daß sie das erste Tau zerhieben.
Kund tut mein tragisch Lied dir, wer er war.
Du wirst dich des Eurypylus entsinnen,
Denn mein Gedicht ja kennst du ganz und gar.
Sieh Michael Scotto auch, den magern, dünnen.
Der jeden Trug des Zaubers klug gelenkt
Und solches Spiel verstanden zu gewinnen.
Bonatti sieh–Asdent, den’s jetzo kränkt.
Allein zu spät, daß er in eitlem Trachten
Dort nicht auf seinen Leisten sich beschränkt.
Sich Vetteln, die statt Spill’ und Rad zu achten
Und Weberschiff, wie’s einem Weib gebührt,
Mit Kraut und Bildern Hexereien machten.
Jetzt komm! Indes ich dich hierher geführt,
Hat an der Grenze beider Hemisphären
Der Mond im Westen schon die Flut berührt.
Du sahst ihn gestern völlig sich erklären
Und sahst ihn dir im dichtverwachsnen Wald
Verschiedne Mal’ willkommnes Licht gewähren."
Er sprach’s, doch gingen wir ohn’ Aufenthalt.

Einundzwanzigster Gesang

So ging’s von Brück’ auf Brück’, in manchem Wort,
Das ich zu sagen nicht für nötig halte;
Und oben, an des Bogens höchstem Ort,
Verweilten wir ob einer neuen Spalte
Und hörten draus den eitlen Laut der Qual
Und sah’n, wie unten tiefes Dunkel walte.
Gleich wie man in Venedigs Arsenal
Das Pech im Winter sieht aufsiedend wogen,
Womit das lecke Schiff, das manches Mal
Bereits bei Sturmgetos das Meer durchzogen,
Kalfatert wird–da stopft nun der in Eil
Mit Werg die Löcher aus am Seitenbogen,
Der klopft am Vorder-, der am Hinterteil
Der ist bemüht, die Segel auszuflicken,
Der bessert Ruder aus, der dreht ein Seil;
So ist ein See von Pech dort zu erblicken,
Das kocht durch Gottes Kunst, und nicht durch Glut,
Des Dünste sich am Strand zum Leim verdicken.
Ich sah den See, doch nichts in seiner Flut,
Die jetzt sich senkt’ und jetzt sich wieder blähte.
Als Blasen, ausgehaucht vom regen Sud.
Indes ich scharfen Blicks hinunterspähte,
Zog mich, indem er rief: “Hab’ acht! Hab’ acht!"
Mein Meister zu sich hin von meiner Stätte.
Da wandt’ ich mich, gleich einem, den mit Macht
Die Neugier zieht, das Schreckliche zu sehen,
Und der, da jähe Furcht ihn schaudern macht,
Doch, um zu schau’n, nicht zögert, fortzugehen.
Und sieh, ein rabenschwarzer Teufel sprang
Uns hinterdrein auf jenen Felsenhöhen.
Ach, wie sein Ansehn mich mit Graus durchdrang,
Wie wild er schien, wie froh in andrer Schaden!
Gespreizt die Schwingen, leicht und schnell den Gang,
Kam er, die Schultern hoch gespitzt, beladen
Mit einem Sünder her, der oben ritt,
Und mit den Klauen packt’ er seine Waden.
“Von Lucca bring’ ich einen Ratsherrn mit"–
Schrie er, “auf, taucht ihn unter, Grimmetatzen!
Und jene Stadt ist wohlversehn damit,
Drum hol’ ich gleich noch mehr von solchen Fratzen.
Gauner sind alle dort, nur nicht Bontur,
Und machen Ja aus Nein für blanke Batzen."
Hinunterwarf er noch den Sünder nur,
Und rannte gleich zurück in solcher Eile,
Wie je der Hofhund nach dem Diebe fuhr.
Der Sünder sank, doch hob sich sonder Weile,
Da schrien die Teufel unten: “Fort mit dir,
Hier dient kein Heil’genbild zu deinem Heile.
Ganz anders als in Serchio schwimmt man hier.
Und sollen dich nicht unsre Haken packen.
So bleib im Peche nur, sonst fassen wir."
Gleich stießen sie mit tausend scharfen Zacken
Und schrien: “Dein Tänzchen mache hier versteckt.
Such’ unten einem etwas abzuzwacken."
Nicht anders macht’s ein Koch, wenn er entdeckt.
Das Fleisch im Kessel komm’ emporgeschwommen,
Und schnell es mit dem Haken untersteckt.
Virgil sprach: “Geh, eh’ sie dich wahrgenommen.
Und ducke dich bei jener Felsenbank;
Durch diese wirst du ein’gen Schirm bekommen.
Mir ist das Ding nicht fremd, drum bleibe frank
Von jeder Furcht, was man mir auch erzeige.
Denn früher war ich schon in solchem Zank."
Dann ging er jenseits auf dem Felsensteige,
Und wie er hingelangt zum sechsten Strand,
Tat’s not ihm, daß er sichre Stirne zeige.
Denn wie in Sturm und Wut hervorgerannt,
Die Haushund’ auf den armen Bettler fallen.
Wenn er am Haus, laut flehend, stillestand;
So stürzten jen’ aus dunkeln Felsenhallen
Und streckten all auf ihn die Haken hin,
Er aber schrie: “Zurück jetzt mit euch allen.
Mich anzuhaken habt ihr wohl im Sinn?
Doch tret erst einer vor, um mich zu sprechen,
Und dann bedenkt, ob ich zu packen bin."
“Geh vor denn, Stachelschwanz.” So schrien die Frechen,
Und einer kam, die andern blieben stehn–
Und fragte, wie er wag’, hier einzubrechen?
“Wie”, sprach mein Meister, “würdest du mich sehn.
Wie würd’ ich wagen, je hier einzudringen,
War’ ich auch sicher, euch zu wiederstehn,
Wenn’s Gott und Schicksal also nicht verhingen?
Drum laß mich zieh’n, der Himmel will, ich soll
Als Führer einen durch die Hölle bringen."
Der Haken fiel, da dieses Wort erscholl,
Ihm aus der Hand, so hatt’ ihn Furcht durchschauert.
“Gesellen,” rief er aus, “laßt euren Groll!"
“Du, der dort zwischen Felsenstücken kauert,"
Rief nun mein Meister, “eile zu mir her,
Da jetzt kein Feind mehr auf dem Wege lauert."
Und vorwärts trat ich und kam schnell daher,
Doch sah ich vorwärts auch die Teufel fahren,
Als gelte nichts die Übereinkunft mehr;
Und war voll Schrecken, wie Capronas Scharen,
Die, dem Vertrag zum Trotz, dem Tode nah.
Als sie die Festung übergeben, waren.
Fest drängt’ ich mich an meinen Führer da
Und hielt den Blick gespannt auf ihre Mienen,
Aus denen ich nichts Gutes mir ersah.
Und diese Rede hört’ ich zwischen ihnen:
“Den Haken ihm ins Kreuz? Was meinst du? Sprich!"
Der andre: “Ja, du magst ihn nur bedienen!"
Doch jener Geist, der mit dem Meister sich
Besprochen, wandte schleunig sich zurücke
Und rief: “Still, Raufbold, ruhig halte dich."
Und dann zu uns: “Auf diesem Felsenstücke
Kommt ihr nicht weiter, denn im tiefen Grund
Liegt längst zertrümmert schon die sechste Brücke.
Und wollt ihr fort, geht oben, längs dem Schlund,
Dann seht ihr vorwärts einen Felsen ragen
Und kommt darauf bis zu dem nächsten Rund.
Denn gestern, um euch alles anzusagen,
War’s just zwölfhundertsechsundsechzig Jahr,
Seit jenen Weg ein Erdenstoß zerschlagen.
Dorthin entsend’ ich ein’ge meiner Schar,
Um Sündern, die sich lüften, nachzuspüren;
Mit ihnen geht und fürchtet nicht Gefahr.
Auf, ihr Gesellen, jetzt, euch frisch zu rühren;
Eistreter, Senkflug, Bluthund, kommt heran,
Du, Sträubebart, sollst alle zehen führen.
Auf, Drachenblut, Kratzkrall’ und Eberzahn,
Scharfhaker, und auch du, Grimmrot der Tolle,
Und Firlefanz, schickt euch zum Wandern an.
Schaut, wer etwa im Pech auftauchen wolle,
Doch wißt, daß dieses Paar in Sicherheit
Bis zu der nächsten Brücke reisen solle."
“Ach, guter Meister,” rief ich, “welch Geleit?
Ich, meinerseits, ich will es gern entbehren,
Und bin mit dir allein zu gehn bereit.
Sieh nur, wie sie vor Grimm im Innern gären,
Wie sie die Zähne fletschen und mit Droh’n
Nach uns die tiefgezognen Brauen kehren."
Und er zu mir: “Nicht fürchte dich, mein Sohn,
Laß sie nur fletschen ganz nach Gutbedünken,
Sie tun dies nur zu der Verdammten Hohn"
Sie schwenkten dann sich auf den Damm zur Linken,
Nachdem vorher die Zunge jeder wies,
Hervorgestreckt, dem Hauptmann zuzuwinken,
Der mit dem hintern Mund zum Abmarsch blies.

Zweiundzwanzigster Gesang

Schon sah ich Reiter aus dem Lager zieh’n,
Die Must’rung machen, in die Feinde brechen,
Auch wohl sich schwenken und zurückeflieh’n;
Von Streifpartei’n sah ich in euren Flächen,
Ihr Aretiner, einst euch hart bedroh’n;
Sah Festturnier und große Lanzenstechen;
Drommeten hört’ ich, Trommeln, Glockenton,
Sah Rauch und Feuer auch als Kriegeszeichen,
Und fremd’ und heimische Signale schon;
Doch nimmer hieß ein Tonwerkzeug, dergleichen
Ich hier gehört, das Volk zu Roß und Fuß,
Zu Land und Meer, noch vorgehn oder weichen.
Mit zehen Teufeln ging ich, voll Verdruß,
Doch wußt’ ich, daß man Säufer in den Schenken
Und Beter in den Kirchen suchen muß,
Auch war aufs Pech gerichtet all mein Denken,
Um ganz des Orts Bewandtnis zu erspäh’n.
Und welche Leut’ in diese Glut versänken.
Wie die Delphine, die vor Sturmesweh’n
Mit den gebognen Rücken oft verkünden,
Zeit sei’s, sich mit den Schiffen vorzusehn;
So, um Erleichterung der Qual zu finden,
Taucht’ oft ein Sünderrücken auf und schwand
Im Peche dann so schnell, wie Blitze schwinden.
Und wie die Frösch’ an eines Grabens Rand
Mit Beinen, Bauch und Brust im Wasser stecken,
Die Schnauzen nur nach außen hingewandt;
So sah man jen’ hervor die Mäuler strecken,
Allein, wenn sie den Sträubebart erschaut,
Sich schleunig in dem heißen Pech verstecken.
Ich sah, und jetzt noch schaudert mir die Haut,
Nur einen harren, wie, wenn all entsprangen.
Ein einzler Frosch noch aus dem Pfuhle schaut.
Kratzkralle, der am weitsten vorgegangen,
Schlug ihm den Haken ins bepichte Haar
Und zog ihn auf, Fischottern gleich, gefangen.
Ich wußte schon, wie jedes Name war
Von ihrer Wahl und, daß mir nichts entfalle.
Nahm ich der Namen dann im Sprechen wahr.
“Frisch, Grimmrot, mit den scharfen Klauen falle
Auf diesen Wicht und zieht ihm ab das Fell."
So schrien zusammen die Verfluchten alle.
Und ich: “Mein Meister, o erforsche schnell,
Wer hier in seiner Feinde Hand gerate?
Wer ist wohl der unselige Gesell?"
Worauf mein Führer seiner Seite nahte,
Ihn fragend, wer er sei, wo sein Geschlecht?
“Ich bin gebürtig aus Navarras Staate.
Die Mutter gab mich einem Herrn zum Knecht,
Weil sie von einem Prasser mich geboren,
Der all sein Gut und auch sich selbst verzecht.
Zum Freunde dann vom Theobald erkoren,
Dem guten König, trieb ich Gaunerei.
Jetzt leg’ ich Rechnung ab in diesen Mooren."
Und Eberzahn, aus dessen Munde zwei
Hauzähne ragten, wie aus Schweinefratzen,
Bewies ihm jetzt, wie scharf der eine sei.
Die Maus war in den Krallen arger Katzen,
Doch Sträubebart umarmt’ ihn fest und dicht
Und rief: “Ich halt’ ihn, fort mit euren Tatzen."
Und zu dem Meister kehrt’ er das Gesicht.
“Willst du, bevor die andern ihn zerreißen,
Noch etwas fragen, wohl, so zaudre nicht."
Mein Führer: “Sprich, wie andre Sünder heißen,
Dort unterm Pech? Sind auch Lateiner da?"
Und jener sprach: “Mir war dort in der heißen
Pechflut vor kurzer Zeit noch einer nah!
Was mußt ich doch darüber mich erheben,
Da ich dort nichts von Klau’n und Haken sah!"
“Wir haben’s schon zu lange zugegeben!"
Scharfhaker schrie’s und hakt auf ihn hinein,
Auch blieb ein Stück vom Arm am Haken kleben.
Schon zielte Drachenblut ihm nach dem Bein,
Allein der Hauptmann blickt’ auf seine Scharen
Im Kreis herum und schien ergrimmt zu sein.
Da wandte sich, sobald sie stille waren,
Mein Herr zu ihm, der auf sein wundes Glied
Herniedersah, um mehr noch zu erfahren.
“Wer ist’s, von dem dein Mißgeschick dich schied,
Als du dich nach der Oberfläch’ erhoben?"–
“Der von Gallura ist’s, der Mönch Gomit.
Im Trug bestand er all und jede Proben,
Des Herrschers Feinde hielt er im Verlies
Und tat mit ihnen, was sie alle loben,
Geld nahm er, wie er selber sagt, und ließ
Sie sachte zieh’n, er, der in Amt und Ehren
Sich sonst als Schelm nicht klein, nein groß erwies.
Viel pflegt’ mit ihm Herr Zanche zu verkehren
Von Logodor–sie schwatzen immerfort.
Als ob sie jetzt noch in Sardinien wären.
Ach, Seht, wie fletscht die Zähne jener dort!
Gern sprach’ ich mehr, doch würd’ er mich kuranzen!
Er droht ja wütend schon bei jedem Wort."
Doch Sträubebart, gewandt zu Firlefanzen,
Des Auge grimmig glotzte, schalt ihn sehr:
“Verdammter Vogel, wirst du rückwärts tanzen?"
“Willst du,” begann der bange Wicht nunmehr,
“Willst du Toskaner und Lombarden sehen?
Ich schaffe sie dir nach Belieben her,
Wenn nur die Grimmetatzen ferne stehen.
Und deren Rache sie nicht zittern macht.
Und ich, ich will nicht von der Stelle gehen,
Und locke doch dir leicht statt eines acht,
Sobald ich pfeife, wie wir immer pflegen,
Um anzudeuten, daß kein Teufel wacht."
Da streckt’ ihm Bluthund seine Schnauz’ entgegen
Und schrie kopfschüttelnd: “Hört die Büberei!
Er will ins Pech, sobald wir uns bewegen."
Allein der Sünder, reich an Schelmerei,
Sprach: “Wahrlich, bübisch bin ich wohl zu nennen.
Denn zu der Meinen Unglück trag’ ich bei."
Und Senkflug wollt ihm den Versuch vergönnen;
“Springst du,” hob er mit jenen uneins an,
“So werd’ ich nicht zu Fuße nach dir rennen.
Nein, überm Pech schlag’ ich die Flügel dann.
Laßt Platz uns hinter diesem Damme nehmen,
Zu sehn, ob mehr als wir der eine kann."
Jetzt werdet ihr ein neues Spiel vernehmen.
Die Blicke wandten sie, und sehr bereit
War, der der Schlimmste schien, sich zu bequemen.
Doch wohl ersah der Gauner seine Zeit,
Stemmt’ ein die Fuß’ und war mit einem Satze
Von dem, was sie ihm zugedacht, befreit.
Dort standen alle mit verblüffter Fratze.
Und jener, der die Schuld des Fehlers trug,
Flog nach und schrie: “Du bist in meiner Tatze!"
Umsonst! die Furcht war schneller als der Flug.
Das Pech verbarg bereits den Gauner wieder,
Und rückwärts nahm der Teufel seinen Zug.
So taucht die Ente vor dem Falken nieder,
Und dieser hebt, ergrimmt und matt, vom Teich
Zur Luft empor das sträubende Gefieder.
Eistreter kam, wie jener sank, sogleich
Im schnellsten Fluge durch die Luft geschossen
Und fiel, erbost von diesem Narrenstreich,
Mit seinen scharfen Klau’n auf den Genossen,
Und beide hielten überm Pech voll Wut
In wilder Balgerei sich fest umchlossen.
Doch braucht’ auch jener seine Krallen gut.
Und beide stürzten bald zu den Bepichten,
Die sie bewachten, in die heiße Flut.
Der Hitze ward es leicht, den Kampf zu schlichten,
Doch, ganz bepicht das rasche Flügelpaar,
Vermochten sie es nicht, sich aufzurichten.
Und Sträubebart, der sehr betreten war,
Ließ vier der Seinen rasch zu Hilfe fliegen.
Die äußerst schnell mit ihren Haken zwar,
Auf sein Geheiß zum Peche niederstiegen.
Wo jeder den Besalbten Hilfe bot,
Doch sahn wir sie gekocht im Sude liegen
Und ließen sie in dieser großen Not.

Dreiundzwanzigster Gesang

Wir gingen einsam, schweigend, unbegleitet.
Ich hinterdrein, der Meister mir voraus,
Wie auf dem Weg ein Franziskaner schreitet.
Mir mußte wohl der Teufel wilder Strauß
Äsopens Fabel ins Gedächtnis bringen,
Worin er spricht vom Frosch und von der Maus.
Denn wer Beginn und Schluß von beiden Dingen
Mit reiflicher Erwägung wohl verglich,
Dem konnte Jetzt und Itzt nicht gleicher klingen.
Und wie aus einem der Gedanken sich
Der zweit’ entspinnt, so mußt’ ich weiterdenken,
Und doppelt faßte Furcht und Schrecken mich.
Ich dachte so: Die sind in ihren Ränken
Durch uns gestört, beschädigt und geneckt
Und müssen drob sich ärgern und sich kränken.
Wenn dies zur Bosheit noch den Zorn erweckt,
So werden sie uns nach im Fluge brausen,
Wie wild ein Hund sich nach dem Hafen streckt.
Schon fühlt’ ich mir das Haar gesträubt vor Grausen,
Und rückwärts lauschend, rief ich: “Meister, flieh!
Verbirg uns wo in diesen Felsenklausen.
Die Grimmetatzen kommen schon. O sieh,
Sie kommen schon mit einem ganzen Heere!
So, wie ich sie mir denke, fühl’ ich sie!"
Und er zu mir: “Wenn ich ein Spiegel wäre,
Kaum faßt’ ich doch dein äußres Bild so klar.
Als ich dein inneres mir leicht erkläre.
Jetzt aber nimmst auch du mein Innres wahr
Und kommst mir selber schon mit dem entgegen,
Was für uns beid’ in mir beschlossen war.
Und ist der Abhang rechts nur so gelegen,
Daß man zum nächsten Schlund hinunter kann,
So sollen sie umsonst die Flügel regen."
Kaum sprach er’s, als die Teufelsjagd begann,
Und mit gespreizter Schwing’, um uns zu fangen.
Kam, nicht gar fern, der wilde Zug heran.
Mein Führer eilte nun, mich zu umfangen,
Der Mutter gleich, die aufwacht beim Getos
Und nahe sieht die Flammen aufgegangen,
Ihr Kind erfaßt und, nur um dessen Los
Bekümmert, nicht um ihr’s, enteilt ins Weite
Entkleidet noch und bis aufs Hemde bloß.
Daß er herab am harten Felsen gleite,
Streckt er sich rücklings an den steilen Hang,
Der jenen Sack verstopft von einer Seite.
Nie hat ein Mühlbach sich mit schnellerm Drang
Aufs Mühlenrad durch seine Rinn’ ergossen,
Als jetzt mein Meister, vor Verfolgung bang,
Von jenem Felsenhang herabgeschossen,
Mich mit sich nehmend, an die Brust gepreßt
Und fest umstrickt, als Kind, nicht als Genossen.
Kaum stand sein Fuß am Rand der Tiefe fest,
So hörten wir sie über jenem Grunde,
Doch er blieb ohne Furcht; denn nimmer läßt
Die ew’ge Vorsicht, die im fünften Runde
Als Diener ihrer Macht sie eingesetzt,
Sie wieder vor aus diesem schmalen Schlunde.
Getünchte Leute sahn wir unten jetzt
Im Kreise zieh’n mit langsam-schweren Tritten,
Matt und erschöpft, von Tränen ganz benetzt.
Verhüllt die Augen von Kapuzen, schritten
Sie träg dahin in Kutten, gleich der Tracht
Der Mönch’ in Köln am Rheine zugeschnitten;
Gold außen, blendend durch des Glanzes Pracht,
Von innen Blei, schwer, daß von Stroh erscheinen,
Die Friedrich für den Hochverrat erdacht.
O Mantel, lastend unter ew’gen Peinen!
Wir gingen, folgend, zu der Rechten mit,
Aufmerksam auf ihr jammervolles Weinen.
Doch so erschwert war durch die Last ihr Tritt,
Daß neben uns, so oft wir vorwärts traten,
Ein neuer Sünder durch das Dunkel schritt.
Ich sprach: “Oh sieh dich um! ist wohl durch Taten
Und Namen mir von diesen wer bekannt?
Und sage mir’s, sobald wir einem nahten!"
Und einer, der Toskanisch wohl verstand,
Rief hinter uns: “Oh bleibt ein wenig stehen,
Ihr, die ihr rennt durch dieses dunkle Land.
Was du verlangst, kann wohl durch mich geschehen!"
Da wandte sich mein Herr und sprach: “Halt an
Und suche langsam, wie er selbst, zu gehen."
Ich stand und sah nun zwei, die, um zu nah’n,
Sich sehr anstrengten und sich weidlich plagten.
Gehemmt von schwerer Last und enger Bahn;
Dann, angelangt, mit keinem Worte fragten,
Vielmehr nach mir den scheelen Blick gedreht,
Sich unter sich besprechend, dieses sagten:
“ Der lebt, wie ihr am Zug des Odems seht,
Und welcher Freibrief dient zu ihrem Schilde,
Daß der und jener ohne Bleirock geht?"
Zu mir dann: “Tusker, der du zu der Gilde
Der Heuchler kommst, zu ihrem trüben Leid,
Wer bist du? Sag’ es uns mit Huld und Milde."
Und ich: “Mich hat die Stadt voll Herrlichkeit
Am Arnostrand geboren und erzogen,
Und diesen Körper trug ich jederzeit.
Doch wer seid ihr, von deren Wang’ in Wogen
Ein Tränenstrom so schmerzlich niederrinnt?
Und was hat euch solch Übel zugezogen?"
Und einer sprach: “Die gelben Kutten sind
Von Blei, so schwer, daß ihr Gewicht der Wage,
Die’s trägt, ein heulend Knarren abgewinnt.
Lustbrüder waren wir von gleichem Schlage,
Ich Catalano, Loderingo er,
Von deiner Stadt erwählt an einem Tage,
Weil sich zum Friedensstifter eignet, wer
Parteilos selber ist–und wer wir waren,
Zeigt beim Gardingo noch sich ringsumher."
Und ich begann: “Das Leid, das ihr erfahren–"
Doch schwieg und mußt’ an dreien Pfählen dort
Gekreuzigt einen auf dem Grund gewahren.
Als er mich sah, verrenkt’ er sich sofort
Und haucht’ in seinen Bart mit lautem Stöhnen,
Und Bruder Catalan sprach dieses Wort:
“Der Angepfählte, dessen Klagen tönen,
Gab einst den Pharisäern diesen Rat:
Mög’ eines Tod fürs Volk den Zorn versöhnen;
Nun liegt er nackt und quer auf unserm Pfad,
Und fühlen muß er, wenn wir drüberwallen,
Wieviel Gewicht von uns ein jeder hat.
So wird sein Schwäher auch gestraft, mit allen
Vom Pharisäerrat, durch den so viel
Der schlimmen Saat für Judas Volk gefallen."
Und wie ich sah, erstaunte selbst Virgil,
Daß er gestreckt am Kreuz an diesem Orte
So schmählich lag im ewigen Exil.
Zum Bruder richtet’ er dann diese Worte:
“Sagt, wenn ihr dürft, ist rechts die Straße frei,
Und ist wohl eine Schlucht dort, die als Pforte
Zu brauchen ist zum Ausgang für uns zwei,
Ohn’ einen von den Teufeln erst zu bannen,
Daß er zum Weitergehn uns Führer sei?"
Und jener drauf: “Ihr geht nicht weit von dannen,
So seht ihr einen Stein vom großen Rund
Als Steg sich über alle Täler Spannen.
Er ist nur eingestürzt ob diesem Schlund,
Allein ihr könnt die Trümmer leicht ersteigen,
Denn, schief sich lagernd, stehn sie aus dem Grund."
Ich sah den Herrn das Haupt ein wenig neigen.
Drauf sprach er: “Mußte doch der Teufel hier
Sich wiederum in schlechtem Ratschlag zeigen."
Und jener: “In Bologna merkt’ ich’s mir,
Der Teufel sei ein Lügner stets, ein dreister,
Ja, aller Lügen Vater für und für."
Nun ging davon mit großem Schritt mein Meister
Und schien ein wenig zornig und erbost,
Und ich verließ die bleibeschwerten Geister
Und folgte der verehrten Spur getrost.

Vierundzwanzigster Gesang

In jenem Teil vom jugendlichen Jahre,
Wo Nacht den halben Tag nur deckt, und mild
Im Wassermann erglänzen Phöbus’ Haare,
Malt oft der Reif, wenn Nebel das Gefild
Am Abend deckt, bei scharfen Morgenlüften
Vom Bruder Schnee ein schnellverwischtes Bild.
Wenn dann der Hirt, der Futter von den Triften
Gar nötig braucht, aufsteht und jeden Ort
Schneeweiß erblickt, dann schlägt er sich die Hüften
Und kehrt zum Haus, beklagt sich hier und dort
Und weiß nicht, was zu tun vor großem Leide–
Doch frische Hoffnung faßt er dann sofort.
Denn schon erscheint die Welt in anderm Kleide;
Schnell kommt er nun mit seinem Stab herbei
Und treibt die muntern Schäflein auf die Weide.
So staunt’ ich, daß mein Meister zornig sei,
Daß ungewohnter Mißmut ihn bedrücke;
So schnell auch kam zum Schmerz die Arzenei.
Denn kaum gelangt zu der verfallnen Brücke,
Kehrt’ ihm die Huld, mit der er zu mir trat
Am Fuß des Bergs, aufs Angesicht zurücke.
Die Arme breitet’ er, nachdem er Rat
Mit sich gepflogen, wohl den Schutt betrachtend,
Und dann erfaßt’ er mich mit rascher Tat.
Und wie ein Mann, der wohl auf alles achtend.
Im voraus scharf erwägt, was er vermag,
Hob er mich auf ein Felsenstück, beachtend,
Daß nahe dort ein andrer Zacken lag,
Und sprach: “Anklammre dich, doch wahrgenommen
Sei durch Versuch erst, ob’s dich tragen mag.
Kein Kuttenträger war’ hinaufgekommen.
Da wir, ich fortgeschoben, er so Ieicht,
Mit Mühe nur von Block zu Blocke klommen.
Auch hätt’ ich nimmermehr, und er vielleicht,
Wenn niedrer nicht, als jenseits diesem Grunde
Das Ufer war, des Dammes Höh’ erreicht.
Doch weil sich Übelsäcken nach dem Munde
Des tiefen Brunnens hin allmählich neigt,
So liegt’s von selbst im Bau von jedem Runde,
Daß hier der Damm sich senkt, dort höher steigt.
Am Ende kamen wir bis zu der Spitze,
Wo sich der Felsentrümmer letzte zeigt-
Mir glühte Wang’ und Blut in solcher Hitze,
Daß ich. sobald ich mich hinaufgerafft,
Mich keuchend niederließ auf einem Sitze.
Mein Meister sprach: “Jetzt ziemt dir frische Kraft;
Denn nimmer kommt der Ruhm dem zugeflogen,
Der unter Flaum auf weichem Pfühl erschlafft.
Und wer durchs Leben ruhmlos hingezogen,
Der läßt nur so viel Spur in dieser Welt,
Wie in den Lüften Rauch, Schaum in den Wogen.
Drum auf! wenn Mattigkeit dich niederhält,
Wird sie der Geist, wird jeden Feind besiegen,
Wenn er nicht wie der schwere Leib verfällt.
Erklimmen mußt du noch weit längre Stiegen;
Nicht g’nügt’s, von hier gerettet fortzuzieh’n,
Verstehe mich, so wirst du nie erliegen!"–
Da stand ich auf; mehr, als ich’s fühlte, schien
Mein Odem frei, die Brust der Bürd’ enthoben,
Auch rief ich: Fort, denn ich bin stark und kühn!
Wir gingen fort–der Fels war rauh, verschoben,
Von Höckern voll und schwierig zu begehn,
Bei weitem steiler auch, als weiter oben.
Um frisch zu scheinen, sprach ich laut im Gehn,
Bis eine Stimm’ aus jenem Grund erschollen,
Verworren, wild und schwierig zu verstehn.
Nicht weiß ich, was die Stimme sagen wollen,
Obwohl ich auf des Bogens Höhe stand,
Doch schien, der sprach, zu zürnen und zu grollen.
Ich stand, das Angesicht zum Grund gewandt,
Doch drang kein Menschenblick in seine Schauer,
Drum sprach ich: “Meister, komm zum nächsten Strand
Und führe mich hinab von dieser Mauer.
Hier hör’ ich zwar, doch ich verstehe nicht,
Und, sehend, unterscheid’ ich nichts genauer."
“Die Tat”, sprach er mit freundlichem Gesicht,
“Sei Antwort dir, weil sich’s geziemt, mit Schweigen
Zu tun, was der verständ gen Bitt’ entspricht."
Wir eilten, bei der Brück’ hinabzusteigen,
Da, wo sie auf dem achten Damme ruht,
Und hier begann die Tiefe sich zu zeigen.
Ich sah in Knäueln grause Schlangenbrut,–
Und denk’ ich heut der ekeln, mannigfachen
Scheusale noch, so starrt vor Grau’n mein Blut.
Nicht mag sich’s Libyen mehr zum Ruhme machen,
Daß es Blindschleichen, Nattern, Ottern hegt
Und Vipernbrut und gift’ge Wasserdrachen.
Wie solche Pest nicht Äthiopien trägt,
So tönt am ganzen Strand kein solch Gezische,
An den die Flut des Roten Meeres schlägt.
Und unter diesem greulichen Gemische
Lief eine nackte, schreckensvolle Schar,
Nicht hoffend, daß sie je von dort entwische.
Am Rücken band die Hand’ ein Schlangenpaar,
Das Schwanz und Haupt durch Kreuz und Nieren steckte
Und vorn zu einem Knäu’I verschlungen war.
Da stürzt’ auf einen, den ich dort entdeckte,
Ein Ungeheu’r, das ihm den Hals durchstach
Und aus dem Nacken vor die Zunge streckte.
Und eh’ man Amen sagt und Oh und Ach,
Sah ich, wie er, entzündet und in Flammen,
Auch schon als Staub in sich zusammenbrach.
Und wie die Glieder kaum in nichts verschwammen,
So fügte sich, gesammelt, alsobald
Der Staub zur vorigen Gestalt zusammen.
So stirbt der Phönix, fünf Jahrhundert’ alt,
(Die großen Weisen sagen’s) sich bekleidend
Mit neuerzeugter Jugend und Gestalt,
Sich nicht von Kräutern noch von Körnern weidend,
Von Weihrauchtränen und Amomen nur,
In einer Hüll’ aus Nard’ und Myrrhe scheidend.
Und gleich wie der, der ohne Lebensspur
Zu Boden sank, vielleicht vom Krampf gebunden,
Vielleicht auch, weil in ihn ein Dämon fuhr.
Sich umschaut, wenn er sich emporgewunden,
Und um sich schauend stöhnt, verwirrt,
Von großer Todesangst, die er empfunden;
So war der aufgestandne Sünder jetzt.–
Oh möge keiner Gottes Rach’ entzünden,
Der solche Streich’ in deinem Zorn versetzt!
Gebeten, seinen Namen zu verkünden,
Entgegnet’ er: “Ich bin seit kurzem hier,
Von Tuscien hergestürzt nach diesen Schlünden.
Ich lebte nicht als Mensch, ich lebt’ als Tier,
Ich, Bastard Fucci, den man Vieh benannte.
Und würd’ge Höhle war Pistoja mir."
Ich sprach, indem ich mich zum Meister wandte:
“Er weicht uns aus–doch frag’ ihn: weshalb kam
Er hierher, da er stets von Blutdurst brannte?"
Aufrichtig ward er, als er dies vernahm,
Und Geist und Angesicht mir zugewendet,
Begann er nun, gedrückt von trüber Scham:
“Mehr schmerzt mich’s, daß dein Schicksal dich gesendet,
Um mich in diesem Jammerstand zu schau’n,
Als daß ich oben meinen Lauf geendet.
Doch was du fragtest, muß ich dir vertrau’n:
Daß ich im Heiligtum zu stehlen wagte,
Hat mich herabgestürzt in tiefres Grau’n.
Drob litten manche fälschlich Angeklagte.–
Daß du mich sahst, soll wenig dich erfreu’n,
Kommst du je fort von hier, wo’s nimmer tagte.
Drum hör’, um jetzt dein Hierein zu bereu’n:
Pistoja wird die Schwarzen erst verjagen,
Und dann Florenz so Volk als Sitt’ erneu’n.
Aus Nebeln, die auf Magras Tale lagen,
Zieht Mars den schweren Wetterdunst heraus,
Und Sturme tosen dann und Blitze schlagen
Auf dem Picener Feld im wilden Strauß,
Daß sich zerstreut die Nebel plötzlich senken,
Und alle Weißen flieh’n in Angst und Graus.
Dies aber sagt’ ich dir, um dich zu kränken.”

Fünfundzwanzigster Gesang

Er sprach’s und hob die Hand’ empor mit Spott,
Ließ beide Daumen durch die Finger ragen
Und rief dann aus: “Nimm’s hin, dies gilt dir, Gott!"
Seitdem seh’ ich die Schlangen mit Behagen,
Weil gleich um seinen Hals sich eine wand,
Als sagte sie: Du sollst nichts weiter sagen.
Die zweite schlang sich um die Arm’ und band
Sie vorn, sich selbst umwickelnd, so zusammen,
Daß er nicht Raum damit zu zucken fand.
Was übergibst du dich nicht selbst den Flammen,
Pistoja, du, und tilgst dich in der Glut?
Sind Frevler alle doch, die dir entstammen?
Nie fand ich so verruchten Übermut.
Selbst Kapaneus’ gottlästerndes Erfrechen
Erhob sich nicht zu dieses Diebes Wut.
Er floh von dannen, ohn’ ein Wort zu sprechen,
Und ein Zentaur kam rennend, pfeilgeschwind,
Und schrie voll Wut: “Wo find’ ich diesen Frechen?"
Nicht glaub’ ich, daß so viel der Schlangen sind
An Tusciens Strand, als ihm am Kreuze hingen.
Bis dahin, wo des Menschen Form beginnt.
Ein Drache hielt mit ausgespreizten Schwingen
Sich an den Schultern fest und spie mit Macht
Glut auf uns alle, die vorübergingen.
Da sprach mein Meister: “Kakus ist’s, hab’ acht!
Er ist es, der so oft zu blut’gen Teichen
Die Auen unterm Aventin gemacht.
Er geht nicht einen Weg mit seinesgleichen,
Weil er als Dieb den schlauen Trug vollführt,
Mit jener großen Herde zu entweichen.
Dafür ward ihm der Lohn, der ihm gebührt,
Weil Herkuls Keul’ ihn traf mit hundert Schlägen,
Von welchen er vielleicht nicht zehn gespürt."
Enteilt war Kakus schon und uns entgegen
Herkamen drei an jenem tiefen Ort,
Doch könnt’ uns erst ihr laut Geschrei bewegen,
Auf sie hinabzuschau’n: “Wer seid ihr dort?"
Drum blieben wir in der Erzählung stehen
Und horchten hin nach dieser Schatten Wort.
Von ihnen hatt’ ich keinen je gesehen,
Da rief den andern einer dieser drei
Und nannt’ ihn, wie’s durch Zufall oft geschehen.
“Wo bleibst du, Cianfa?” rief er, “Komm herbei!"
Drum legt’ ich auf die Lippen meinen Finger,
Damit mein Führer horch’ und stille sei.
Meinst du jetzt, Leser, daß ich Hinterbringer
Von eiteln Fabeln sei, so staun’ ich nicht;
Ich sah’s, doch ist mein Zweifel kaum geringer.
Von vornher warf sich, wie ich das Gesicht
Auf sie gekehrt, schnell eine von den Schlangen
Mit drei Paar Füßen her und packt’ ihn dicht.
Der Bauch ward von dem mittlern Paar umfangen,
Indes das vordre Paar die Arm’ umfing,
Dann schlug sie ihre Zähn’ in beide Wangen.
Wie an den Lenden drauf das Hintre hing,
Schlug sie den Schwanz durch zwischen beiden Beinen
Und drückt’ ihn hinten an als engen Ring.
Kein Efeu kann dem Baum sich so vereinen,
Wie dieses Ungetüm sich wunderbar
An jenes Glieder schmiegte mit den seinen.
Zusammen klebte plötzlich dann dies Paar,
Wie warmes Wachs, die Farben so vermengend,
Daß keins von beiden mehr dasselbe war,
Gleichwie die Flammen, ein Papier versengend,
Bevor es brennt, mit Braun es überzieh’n,
Noch eh’ es Schwarz wird, schon das Weiß verdrängend.
Die andern beiden, ihn betrachtend, schrien:
“Weh dir, Agnel, du bist nicht zwei, nicht einer!
Doch sieh, dir ist ein andres Bild verlieh’n!"
Schon war vereint der Schlange Kopf und seiner,
Aus zwei Gestalten sah man ein’ entstehn,
Vermischt, verwirrt, doch gleich von beiden keiner.
Die Arme sah man auseinandergehn;
Sie wurden vier, und Bauch und Brust und Lenden,
Sie wurden Glieder, wie man nie gesehn.
Es schien, als ob die vor’gen ganz verschwänden.
Nicht zwei, nicht einer schien’s, und ganz entstellt
Sah ich das Bild sich langsam abwärts wenden.
Gleichwie die Eidechs öfters, wenn die Welt
Der Hundstern peitscht, blitzschnell von Dorn zu Dorne,
Von Zaun zu Zaun quer durch die Straße schnellt,
So fuhr jetzt eine Schlang’ in wildem Zorne
Auf jene zwei nach ihren Bäuchen hin,
Bläulich und schwarz, gleich einem Pfefferkorne.
Und durch den Teil, der bei des Seins Beginn
Uns Nahrung zuführt, bohrte sie den einen,
Dann fiel sie ausgestreckt vor ihm dahin.
Er sah sie starr, mit festgeschlossnen Beinen,
Stillschweigend, gähnend, an, und mußte mir
Wie schläfrig oder fieberhaft erscheinen.
Nach ihm hin sah die Schlang’ und er nach ihr,
Sie rauchend aus dem Maul, er aus der Wunde,
Dann nahte sich der Rauch von dort und hier.
Still schweige jetzt Lucan mit seiner Kunde
Vom Unglück des Sabell und vom Nasid,
Und horchend häng’ er nur an meinem Munde.
Von Arethus’ und Kadmus schweig’ Ovid;
Denn wenn er ihn zum Drachen umgedichtet.
Und Sie zum Quell, so neid’ ich nicht sein Lied.
Nie hat er von zwei Wesen uns berichtet,
Die umgetauscht Gestalt und Stoff und Sein,
Indem sie starr auf sich den Blick gerichtet.
Gleich ging die Wandlung fort in jenen zwei’n.
Zur Gabel spaltete den Schwanz die Schlange,
Und der Gestochne drückte Bein an Bein.
Sie klebten aneinander, und nicht lange
Hatt’ es gewährt, als auch die Fuge schwand,
Verdrängt vom völligen Zusammenhange.
Der Lenden Form, die hier entwich, entstand
Am Gabelschweif; die Haut schien zu erweichen;
Hart ward sie dort, nach Schlangenart gespannt.
Die Arme sah ich in die Schultern weichen,
Der Schlange kurze Vorderfüße dann,
Wie jene schwanden, weiter vorwärts reichen.
Wie drauf zu jedem Gliede, das der Mann
Zu bergen pflegt, die hinten sich verbanden,
So fing sich sein’s in zwei zu teilen an.
Und unterm Rauch, der beide deckt’, entstanden
Ganz neue Farben, sproßten Haare vor
Und zeigten hier sich, wenn sie dort verschwanden.
Er sank dahin, Sie raffte sich empor,
Doch blieb der Kopf mit jenen starren Blicken,
Durch die er selbst nun seine Form verlor.
An dem, der stand, schien er sich platt zu drücken,
Auch sah man von dem Fleisch, das hinter drang,
Die Ohren seitwärts aus den Wangen rücken.
Aus dem, was vorn zurückeblieb, entsprang
Ein Lippenpaar, wie sich’s gebührt, erhoben.
Und eine Nase, zugespitzt und lang.
An dem, der dort lag, trieb der Mund nach oben,
Auch wurden nach der Schneckenhörner Brauch
Die Ohren in den Kopf zurückgeschoben.
Die Zung’, erst ganz, zur Rede schnell, ward auch
Nunmehr geteilt, und ganz ward die geteilte
Im Mund des andern, und es blieb der Rauch.
Der Geist, jetzt Schlange, zischte laut und eilte
Durch’s Tal davon–der andre spuckt’ ihr nach,
Indem er noch, sie schmähend, dort verweilte.
Dann kehrt’ er ihr den Rucken zu und sprach:
“So schlüpfe, Buoso, nun durch diese Gründe,
Statt meiner, auf dem Bauch in Qual und Schmach."
So mischt’ im siebenten der Lasterschlünde
Sich Bild und Bild, drum werde mir’s verzieh’n,
Wenn ich so Neues etwas breit verkünde.
Doch ob mir gleich der Blick geblendet schien,
Und kaum mein Geist vom Staunen sich ermannte,
Doch bargen jene sich nicht so im Flieh’n,
Daß ich den Puccio nicht gar wohl erkannte,
Der einzig von den drei’n, erst hier vereint,
Sich unverwandelt jetzt von dannen wandte.
Der andre war’s, um den Gaville weint.

Sechsundzwanzigster Gesang

Erfreue dich, Florenz, du bist so groß,
Daß du zu Land und Meer die Flügel schwingest,
Und selbst dein Nam’ erklingt im Höllenschoß.
Fünf deiner Bürger fand ich–also zwingest
Du mich zur Scham–den Dieben beigefügt,
Wodurch du dir nicht größern Ruhm erringest.
Doch wenn, was man am Morgen träumt, nicht lügt,
So wirst du großes Unglück bald empfinden,
Und Prato selbst, so nah dir, sieht’s vergnügt.
War’s jetzt, nicht würde man’s zu zeitig finden,
So, da’s nun einmal sein muß, war’s jetzt doch.
Denn, älter, werd’ ich’s schwerer nur verwinden.
Wir gingen fort, und übers Felsenjoch
Stieg, wie hinab, hinauf die Zackenleiter
Mein Führer und war meine Stütze noch.
Und, folgend zwischen mancher Felsenscheiter
Und manchem Block dem Pfad im öden Raum,
Kam, wenn die Hand nicht half, der Fuß nicht weiter.
Ich fühlte Schmerz–jetzt fühl’ ich mindern kaum,
Wenn ich zurück an das Erblickte denke,
Und schärfer fass’ ich da des Geistes Zaum,
Damit ich nicht den Lauf vom Rechten lenke,
Und, was zu meinem Wohl mein Stern bezweckt,
Was höh’re Huld, mir selber feind, nicht kränke.
Soviel der Bau’r, am Hügel hingestreckt,
Zur Zeit, da er, des Blick die Erde lichtet,
Sein Antlitz uns am wenigsten versteckt,
Wenn sich die Fliege vor der Mücke flüchtet,
Johanniswürmchen sieht im Tal entlang,
Wo er mit Hipp’ und Pflug sein Tun verrichtet;
So viele Flammen sah den tiefen Gang
Des achten Tals mein Auge jetzt verklären,
Sobald ich dort war, wo’s zur Tiefe drang.
Wie der, der sich gerächt durch wilde Bären,
Elias’ Wagen sah von dannen zieh’n,
Als das Gespann aufstieg zu Himmelssphären,
Umonst ihm mit dem Auge folgt’ und ihn
Gestaltlos nur als ferne Flamm’ erkannte.
Die wie ein leichtes Abendwölkchen schien.
So war’s, wie wandelnd hier manch Flämmchen brannte,
Doch keines war, das seine Beute wies,
Ob jegliches gleich einem Geist entwandte.
Am Brückenrande stehend, sah ich dies
Und fiel’, hielt’ ich nicht fest an einem Blocke,
Hinunter, ohne daß mich jemand stieß.
Virgil, der sah, wie mich der Anblick locke,
Sprach nun: “Jedwedes Feu’r birgt einen Geist,
Und das, worin er brennt, dient ihm zum Rocke."
Drauf ich: “Die Kunde, die du mir verleihst
Macht mich gewiß; schon glaubt’ ich’s zu erkennen.
Und fragen wollt’ ich schon, wie jener heißt.
Ich sah die Flamm’ in zwei sich oben trennen.
Als sah’ ich in des Scheiterhaufens Glut
Eteokles und seinen Bruder brennen."
Und er: “Sie dämpft Ulysseus Übermut
Und Diomeds. Sie laufen hier zusammen
In ihrer Qual, wie einst in ihrer Wut.
Ums Trugroß klagen sie in diesen Flammen,
Und um das Tor, das Ausgang jenen bot,
Der Heldenschar, von der die Römer stammen.
Die List beweinen sie, durch die, schon tot,
Noch Deidamia den Achill beklagte,
Auch das Palladium rächt nun ihre Not."
“Vermögen sie noch hier zu sprechen,” sagte
Ich drauf zum Meister, “o, dann bitt’ ich dich
Vieltausendmal, da ich sie gern befragte,
Laß mich, bis die geteilte Flamme sich
Zu uns hierherbewegt, ein wenig weilen.
Sieh, hin zu ihr zieht die Begierde mich."
“Der Bitte”, sprach er, “muß ich Lob erteilen,
Wie sie verdient; sie sei darum gewährt,
Doch laß die Sprechlust nicht dich übereilen.
Laß mir das Wort; ich weiß, was du begehrt.
Spröd blieben sie gewiß bei deinem Worte,
Denn Griechen sind sie, stolz auf ihren Wert.
Als nun die Flamme nah war unserm Orte,
Da hört’ ich diese Red’, als Ort und Zeit
Er für geeignet hielt, von meinem Horte:
“Ihr, die ihr zwei in einer Flamme seid,
Wenn ich euch jemals Grund gab, mich zu lieben,
Da ich dem Ruhm der Helden mich geweiht,
Und in der Welt das hohe Lied geschrieben,
So weilt bei mir und sag’ Ulyß mir an,
Wo auf der Irrfahrt sein Gebein geblieben."
Der alten Flamme größres Horn begann
Zu flackern erst und murmelnd sich zu regen.
Als wäre sie vom Wind gefaßt, und dann
Rasch hin und her die Spitze zu bewegen,
Gleich einer Zung’, und deutlich tönt’ und klar
Dann aus der Flamm’ uns dieses Wort entgegen:
“Als ich von Circen schied, die mich ein Jahr
Und länger bei Gaëta festgehalten,
Eh’s so benannt noch von Äneas war,
Da ließ ich nicht das Mitleid für den alten
Gebeugten Vater, nicht die Gattenpflicht,
Noch Vaterzärtlichkeit im Herzen walten.
Sie tilgten all in mir das Sehnen nicht,
Die Welt zu sehn und alles zu erkunden,
Was sie besitzt, wie das, was ihr gebricht.
Drum warf ich mich, kaum meiner Haft entbunden,
In einem einz’gen Schiff ins offne Meer,
Samt einem Häuflein, das ich treu erfunden.
Nach Spanien führt’ und Libyen hin und her
Ich meine wackre Schar, als kühner Leiter,
Und jedem Eiland jenes Meers umher.
Alt war ich schon und schwach, auch die Begleiter,
Da war mein Schiff am engen Schlunde dort,
Wo Herkuls Säulenpaar gebeut: Nicht weiter!
Als hinter uns nun rechts Sevillas Bord
Und links in Libyen Septas Zinnen waren,
Sprach ich zu den Gefährten dieses Wort:
Brüder, die durch Tausend’ von Gefahren
Ihr hier im Abend kühn euch eingestellt,
Verwendet jetzt, um Neues zu erfahren,
Weil Seele noch und Leib zusammenhält,
Den kurzen Rest von eurem Erdenleben;
Der Sonne nach zur unbewohnten Welt!
Bedenkt, wozu dies Dasein euch gegeben;
Nicht um dem Viehe gleich zu brüten, nein,
Um Wissenschaft und Jugend zu erstreben.
Den Meinen schien dies Wort ein Sporn zu sein,
Kaum hielt ich sie, hätt’ ich gewollt, im Zügel,
Und rastlos ging’s ins weite Meer hinein.
Erst morgenwärts gewandt des Schiffes Spiegel
Ging unser toller Flug dann linker Hand,
Und seiner Eil’ verlieh’n die Ruder Flügel.
Schon alle Sterne jenes Poles fand
Der Blick der Nacht, und die des unsern klommen
Kaum übers Meer noch an des Himmels Rand.
Schon fünfmal war entzündet und verglommen
Des Mondes Licht, seit wir, dem Glück vertraut,
Durch den verhängnisvollen Paß geschwommen,
Als uns ein Berg erschien, von Dunst umgraut
Vor weiter Fern’, und schien so hoch zu ragen,
Wie ich noch keinen auf der Erd’ erschaut.
Erst jubeln ließ er uns, dann bang verzagen,
Denn einen Wirbelwind fühlt’ ich entstehn
Vom neuen Land und unsern Vorbord schlagen.
Er macht’ uns dreimal mit den Fluten dreh’n,
Dann, als der hintre Teil emporgeschossen,
Nach höh’rem Spruch, den vordern untergehn,
Bis über uns die Wogen sich verschlossen.”

Siebenundzwanzigster Gesang

Schon aufrecht stand und still der Flamme Haupt,
Und sie entfernte sich in tiefem Schweigen,
Nachdem der süße Dichter ihrs erlaubt.
Wir sah’n nach ihr sich eine zweite zeigen,
Und ein verwirrt Gestöhn, das ihr entquoll,
Macht’ unsern Blick zu ihrer Spitze steigen.
Gleich wie Siziliens Stier, der jammervoll
Zuerst von seines Bildners Schrei’n erbrüllte,
–Und so war’s recht–von dessen Klag’ erscholl,
Den er im innern hohlen Raum verhüllte,
Und, ganz von Erz, in seinem Angstgestöhn
Erschien, als ob ihn selbst der Schmerz erfüllte;
So schien das Klagewort, das in den Höh’n
Und an den Seiten nirgend durchgedrungen,
Erst gleich des Feuers knisterndem Getön.
Doch als es sich zur Spitz’ emporgerungen,
Die, wie die Zunge hin und wieder fährt,
Sich bei dem Durchgang hin und her geschwungen.
Da sprach’s: O du, an den mein Wort sich kehrt,
Der du, wie ich vernahm, mit welschem Klange
Gesprochen: Geh, nicht weiter sei beschwert!
Obwohl ich etwas spät hierhergelange,
Doch weil’ und gib auf meine Fragen acht,
Denn sieh, ich weile trotz der Gluten Drange.
Bist du zur Reif in diesen dunklen Schacht
Erst jetzt vom süßen Latierland geschieden,
Von dem ich alle Schuld hierhergebracht,
So sprich:Hat Krieg Romagna oder Frieden?
Denn da das schöne Land auch mich erzeugt,
So kümmert mich sein Schicksal noch hienieden."
Ich stand aufmerksam niederwärts gebeugt,
Da stieß Virgil mich leis und sagte: “Rede,
Ein Latier ist er, wie sein Wort bezeugt."
Worauf ich schon bereit zur Gegenrede,
Ihn also sonder Zögerung beschied:
“O Seele, hier verborgen, sonder Fehde
War nimmer deines Vaterlands Gebiet,
Weil stets im Kampf der Zwingherrn Herzen wüten;
Doch offenbar war keine, da ich schied.
Ravenna ist, wie’s war; dort pflegt zu brüten,
So wie seit Jahren schon, Polentas Aar,
Des Flügel unter sich auch Cervia hüten
Die Stadt, die fest in langer Probe war,
Wo rote Ströme Frankenblutes wallten,
Liegt unterm grünen Leu’n nun ganz und gar.
Verruchios alt’ und neuer Hund, sie walten
Schlimm, wie sie den Montagna einst belohnt,
Da, wo sie eingeholt die Zähne halten.
Das, was am Lamon und Santerno wohnt,
Läßt sich vom Leu’n im weißen Neste leiten,
Der die Partei vertauscht mit jedem Mond.
Sie, welchen Savios Flut benetzt die Seiten,
Lebt zwischen Sklaverei und freiem Stand,
Wie zwischen dem Gebirg und ebnen Weiten.
Jetzt, bitt’ ich, mach’ uns, wer du bist, bekannt;
Wie der Vergessenheit dein Nam’ enttauche,
So sei nicht härter, als ich andre fand."
Da grunzt’ und braust’ es in der Flamme Bauche,
Wie Feuer braust; sie regte hin und her
Das spitze Haupt und gab dann diese Hauche:
“Sprach’ ich zu einem, dessen Wiederkehr
Nach jener Welt ich jemals möglich glaubte,
So regte nie sich diese Flamme mehr.
Doch da dies keinem je die Höll’ erlaubte,
So sag’ ich ohne Furcht vor Schand’ und Schmach,
Was mich hierher stieß und des Heils beraubte.
Ich war erst Kriegsmann und Mönch hernach,
Um mich vom Fall durch Buß’ emporzurichten;
Gewiß geschah auch, was ich mir versprach.
Allein der Erzpfaff–mög’ ihn Gott vernichten–
Er hat mich neu den Sündern beigesellt,
Wie und warum? das will ich jetzt berichten.
Als ich noch oben lebt’ in eurer Welt,
Da ward ich nimmer mit dem Leu’n verglichen,
Doch öfters wohl dem Fuchse gleichgestellt.
In allen Ränken und geheimen Schlichen
War ich geschickt, in ihrer Übung schlau
Und drum berühmt in allen Himmelsstrichen.
Doch als die Zeit kam, da des Haares Grau
Uns dringend mahnt, das hohe Meer zu scheuen
Und einzuziehn das Segel und das Tau,
Da mußt’ ich, was mir erst gefiel, bereuen,
Ward Mönch und tat nun Buß’ am heil’gen Ort,
Ach, und noch könnt’ ich mich des Heils erfreuen.
Der neuen Pharisäer Herr und Hort
(Im Krieg, mit Juden nicht und Türkenscharen,
Vielmehr am Lateran und nahe dort,
Weil alle seine Feinde Christen waren,
Die nicht bei Acri mit gesiegt und nicht
Des Sultans Land als Schacherer befahren),
Nicht achtet’ er an sich die höchste Pflicht
Und nicht den Strick, der meinen Leib umfangen,
Der jeden mager macht, den er umflicht.
Wie Konstantin Silvestern angegangen,
Ihm Hilf und Rat beim Aussatz zu verleih’n;
So sollt’ ich jetzt als Arzt auf sein Verlangen
Vom Fieber seines Hochmuts ihn befrei’n.
Doch schweigen mußt’ ich und mich selber schämen,
Denn eines Trunknen schien sein Wort zu sein.
Du darfst nicht sorgen, sprach er, noch dich grämen;
Ablaß erteil’ ich dir, mich lehre du:
Wie fang’ ich’s an, Preneste wegzunehmen.
Du weißt, den Himmel schließ’ ich auf und zu,
Denn beide Schlüssel sind mir übergeben,
Die Cölestin vertauscht um träge Ruh’.
Nicht war so trift’gem Grund zu widerstreben,
Und da hier schweigen mir das Schlimmste schien,
So sprach ich endlich: Vater, da du eben
Die Sünde, die ich tun soll, mir verziehn,
So wisse: Viel versprechen, wenig halten,
Dadurch wird deinem Stuhl der Sieg verlieh’n–
Franz wollte, wie ich starb, sein Amt verwalten,
Mich heimzuführen, doch ein Teufel kam
Und sprach: Halt ein, denn den muß ich erhalten.
Er kommt mit mir hinab zu ew’gem Gram,
Weil ich, seitdem er jenen Trug geraten,
Ihn bei dem Haar als meine Beute nahm.
Wer Ablaß will, bereu’ erst seine Taten.
Doch wer bereut und Böses will, der muß
Wohl mit sich selbst in Widerspruch geraten.
Ach! wie ich zuckt’ in Schrecken und Verdruß,
Als er mich faßt’ und, mich von dannen reißend,
Sprach: Meintest du, ich sei kein Logikus?
Zu Minos trug er mich, der, sich umkreisend
Den harten Rücken, bei dem achten Mal
Ausrief, sich in den Schweif vor Ingrimm beißend:
Der wird der Flamme Raub im achten Tal!
Und also ward ich von dem Schlund verschlungen
Und geh’ im Feuerkleid zu ew’ger Qual."
Hier endet’ er, und als das Wort verklungen,
Da ging sogleich die Flamme jammernd fort,
Das Horn gedreht und hin und her geschwungen.
Und weiter ging ich nun mit meinem Hort
Zur nächsten Brück’ auf rauhen Felsenpfaden
Und sah im Grund, den Lohn empfangend, dort
Die, Zwiespalt stiftend, sich mit Schuld beladen.

Achtundzwanzigster Gesang

Wer könnte je, auch mit dem freisten Wort,
Das Blut, das ich hier sah, die Wunden sagen,
Erzählt’ er auch die Kunde fort und fort.
Jedwede Zunge muß den Dienst versagen,
Da Sprach’ und Geist zu eng und schwach erscheint,
So Schreckliches zu fassen und zu tragen.
Und wäre das gesamte Volk vereint,
Das Puglien, das verhängnisvolle, hegte,
Dies Land, das einst die blut’ge Schar beweint,
Die Rom und jener lange Krieg erlegte,
Wo man so große Beut’ an Ringen fand,
Wie Livius schrieb, der nicht zu irren pflegte,
Vereint mit dem, das harte Schläg’ empfand,
Weil’s gegen Robert Guiscard ausgezogen;
Mit dem, des Knochen modern, dort im Land
Bei Ceperan, wo Pugliens Schar gelogen;
Mit dem von Tagliacozzo, wo Alard,
Der Greis, durch List die Waffen aufgewogen;
Und zeigte, wie es dort verstümmelt ward,
Sich jedes Glied, nicht war’ es zu vergleichen
Mit dieses neunten Schlundes Weis’ und Art.
Ein Faß, von welchem Reif und Dauben weichen,
Ist nicht durchlöchert, wie hier einer ging,
Zerfetzt vom Kinn bis zu Gefäß und Weichen,
Dem aus dem Bauch in manchem ekeln Ring
Gedärm und Eingeweid’, wo sich die Speise
In Kot verwandelt, samt dem Magen hing.
Ich schaut’ ihn an und er mich gleicherweise,
Dann riß er mit der Hand die Brust sich auf
Und sprach zu mir: “Sieh, wie ich mich zerreiße!
Sieh hier das Ziel von Mahoms Lebenslauf!
Vor mir geht Ali, das Gesicht gespalten
Vom Kinn bis zu dem Scheitelhaar hinauf.
Sieh alle, die, da sie auf Erden wallten,
Dort Ärgernis und Trennung ausgesät,
Zerfetzt hier unten ihren Lohn erhalten.
Ein wilder Teufel, der dort hinten steht,
Er ist’s, der jeglichen zerfetzt und schändet,
Mit scharfem Schwert, der dort vorübergeht,
Wenn wir den schmerzensvollen Kreis vollendet;
Weil jede Wunde heilt, wie weit sie klafft,
Eh’ unser Lauf zu ihm zurück sich wendet.
Doch wer bist du, der dort herniedergafft?
Weilst du noch zögernd über diesen Schlünden,
In welche Klag’ und Urteilsspruch dich schafft?"
“Er ist nicht tot, noch hergeführt von Sünden,"
So sprach mein Meister drauf, zu Mahoms Pein,
“Doch soll er, was die Höll’ umfaßt, ergründen,
Und ich, der tot bin, soll sein Führer sein.
Drum führ’ ich ihn hinab von Rund’ zu Runde,
Und Glauben könnt ihr meinem Wort verleih’n."
Jetzt blieben hundert wohl im tiefen Grunde,
Nach mir hinblickend, still verwundert stehn,
Vergessend ihre Qual bei dieser Kunde.
“Du wirst vielleicht die Sonn’ in kurzem sehn,
Dann sage dem Dolcin, er soll mit Speisen,
Eh’ ihn der Schnee belagert, sich versehn,
Wenn er nicht Lust hat, bald mir nachzureisen.
Allein vollbringt er, was ich riet, so muß
Novaras Heer ihn lang’ umsonst umkreisen."
Zum Weitergehn erhoben einen Fuß,
Rief dieses Wort mir zu des Mahom Seele,
Und setzt’ ihn hin und ging dann voll Verdruß.
Dann sah ich einen mit durchbohrter “Kehle,
Die Nase bis zum Auge hin zerhau’n,
Und wohl bemerkt’ ich, daß ein Ohr ihm fehle.
Und staunend sah auf mich dies Bild voll Grau’n
Und öffnete zuerst des Schlundes Röhre,
Von außen rot und blutig anzuschau’n.
“Du, nicht verdammt für Sünden, wie ich höre,
Den ich bereits im Latierlande sah,
Wenn ich durch Ähnlichkeit mich nicht betöre,
“Kommst du den schönen Ebnen wieder nah,
Die von Vercell nach Marcabo sich neigen,
So denk’ an Pier von Medicina da.
Du magst den Besten Panos nicht verschweigen,
Dem Guid und Angiolell, daß, wenn nicht irrt
Mein Geist, dem sich der Zukunft Bilder zeigen,
Nah bei Cattolica, schlau angekirrt,
Vom schändlichsten der Wüteriche verraten,
Das edle Paar ersäuft im Meere wird.
Noch nimmer hat Neptun so schnöde Taten
Von Zypern bis Majorka hin geschaut,
Von Griechenscharen nicht, noch von Piraten.
Der Bub’, auf einem Aug’ von Nacht umgraut,
Jetzt Herr des Lands, von welchem mein Geselle
Hier neben wünscht, er hätt’ es nie erschaut,
Ruft sie als Freund und tut an jener Stelle
So, daß sie nicht Gelübd’ tun, noch sich scheu’n,
Wie wild der Wind auch von Focara schwelle."
Drauf ich: “Soll dein Gedächtnis sich erneu’n,
So magst du dich zu sagen nicht entbrechen,
Wer muß den Anblick jenes Lands bereu’n?"
Da griff er, um den Mund ihm aufzubrechen,
Nach eines andern Kiefer hin und schrie:
“Sieh her, der ist’s, allein er kann nicht sprechen,
Er, der verbannt, einst Cäsarn Mut verlieh,
Und alle seine Zweifel scheucht’, ihm sagend:
“Dem ’Kampfbereiten fromme Zögern nie."
O wie jetzt Curio ganz verblüfft und zagend,
Die Zunge tief am Schlund verschnitten, stand,
Die Zung’, einst kühn und eilig alles wagend–
Und abgeschnitten die und jene Hand,
Stand einer, in die Nacht die Stümpf erhoben,
Das Antlitz blutbespritzt mir zugewandt,
Und rief: “Denkt man des Mosca noch dort oben?
Ich bin’s, der meine Hand zum Morde bot,
Ob des jetzt Tuscien die Partei’n durchtoben."
“Der Grund auch war zu deines Stammes Tod!"
Setzt’ ich hinzu–und, häufend Grau’n auf Grauen,
Zog er davon in höchster Angst und Not.
Ich aber blieb, die andern anzuschauen,
Und was ich sah, so furchtbar und so neu,
Nicht wagt’ ich’s unverbürgt euch zu vertrauen,
Fühlt’ ich nicht mein Gewissen rein und treu,
Dies gute feste Schild, den sichern Leiter,
Und so mein Herz befreit von Furcht und Scheu.
Ich sah–noch ist dies Schreckbild mein Begleiter–
Ein Rumpf ging ohne Haupt mit jener Schar
Von Unglücksel’gen in der Tiefe weiter.
Er hielt das abgedchnittne Haupt beim Haar
Und ließ es von der Hand als Leuchte hangen
Und seufzte tief, wie er uns nahe war.
So kam er eins in zwei’n dahergegangen
Und leuchtet’ als Laterne sich mit sich–
Wie’s möglich, weiß nur der, der’s so verhangen.
Nachdem er bis zum Fuß der Brücke schlich,
Hob er, um näher mir ein Wort zu sagen,
Den Arm zusamt dem Haupte gegen mich,
Und sprach: “Hier sieh die schrecklichste der Plagen!
Du, der du atmend in der Höll’ erscheinst,
Sprich: Ist wohl eine schwerer zu ertragen?
Jetzt horch, wenn du von mir zu künden meinst;
Beltram von Bornio bin ich, und Johannen,
Dem König, gab ich bösen Ratschlag einst,
Darob dann Sohn und Vater Krieg begannen,
Wie zwischen David einst und Absalon,
Durch Ahitophel Fehden sich entspannen.
Mein Hirn nun muß ich zum gerechten Lohn
Getrennt von seinem Quell im Rumpfe sehen,
Weil ich getrennt den Vater und den Sohn,
Und so, wie ich getan, ist mir geschehen.”

Neunundzwanzigster Gesang

Das viele Volk und die verschiednen Wunden,
Sie hatten so die Augen mir berauscht,
Daß sie vom Schau’n mir ganz voll Zähren stunden.
Da sprach Virgil: “Was willst du noch? Was lauscht
Und starrt dein Auge so nach diesen Gründen,
Wo’s Greuelbild um Greuelbild vertauscht?
Nicht also tatst du in den andern Schlünden.
An zweiundzwanzig Miglien kreist dies Tal,
Drum kannst du hier nicht jegliches ergründen.
Schon unter unserm Fuß glänzt Lunens Strahl,
Und wenig dürfen wir uns nur verweilen,
Denn noch zu sehn ist viel und große Qual."
Ich sprach: “Erlaubtest du, dir mitzuteilen,
Welch einen Grund ich hatt’, hinabzuspäh’n,
So würdest du wohl minder mich beeilen."
Er ging und ich ihm nach und gab im Gehn
Dem Meister von dem Grund des Forschens Kunde
Und sprach: “Wohl hab’ ich scharf hinabgesehn,
Denn eine Seele wohnt in diesem Schlunde
Von meinem Stamm, und sicher ist an ihr
Bestraft die Schuld durch manche schwere Wunde."
Mein Meister sprach darauf: “Nicht mache dir
Noch länger Sorg’ um diesen Anverwandten;
An andres denk’, er aber bleibe hier.
Ich sah ihn bei der Brücke den Bekannten
Dich zeigen und dir mit dem Finger droh’n
Und hörte, wie sie ihn del Bello nannten.
Doch du bemerktest eben nichts davon,
Weil auf dem Beltram deine Blicke weilten.
Als dieser ging, war jener schon entfloh’n."
“Weil Rach’ und Schwert des Feindes ihn ereilten”,
Sprach ich, “und keiner seinen Tod gerächt,
Von allen denen, so die Kränkung teilten,
Zürnt’ er auf mich und zürnt’ auf sein Geschlecht
Und ging drum, ohne mich zu sprechen, weiter,
Und darin, glaub’ ich, hat der Arme recht."
Nun folgt’ ich hin zum Felsen meinem Leiter,
Von wo man überblickt den nächsten Schlund,
Wär’ irgend nur von Licht die Tiefe heiter.
Von seiner Höh’ ward unserm Auge kund
Der letzte Klosterbann von Übelsäcken,
Und viel Bekehrte waren tief im Grund.
Und gleich den Pfeilen drangen, mir zum Schrecken,
Gespitzt durch Mitleid, Jammertön’ heraus
Und zwangen mich, die Ohren zu bedecken.
Wär’ aller Schmerz aus jedem Krankenhaus
Zur Zeit, da wild die Sommergluten flammen,
Und Valdichianas und Sardiniens Graus
Und Seuch’ und Pest in einem Schlund beisammen,
Nicht ärger wär’s als hier, wo fauler Duft
Und Stank vom Eiter in den Lüften schwammen.
Wir stiegen auf den Rand der letzten Kluft
Vom langen Felsen niederwärts zur Linken,
Und deutlicher erschien der Schoß der Gruft.
In diesem Grund läßt nach des Höchsten Winken
Die nimmer irrende Gerechtigkeit
Zur wohlverdienten Quäl die Fälscher sinken.
Nicht in Ägina ist vor alter Zeit
Des Volkes Anblick trauriger gewesen,
Das krank darniedersank, dem Tod geweiht,
Ja bis zum kleinsten Wurm jedwedes Wesen,
Durch tückisch böse Luft, worauf im Land,
Wie wir für sicher in den Dichtern lesen,
Ein neues Volk aus Ämsenbrut entstand;
Als hier zu sehn war, wie sich schwach und siechend
Das Geistervolk in manchem Haufen wand.
Die einen auf der andern Rücken liegend,
Die auf dem Bauch, und die von einem Ort
Zum andern hin auf allen vieren kriechend.
Wir gingen Schritt um Schritt und schweigend fort,
Sahn Kranke dort, unfähig aufzustehen
Und horchten auf ihr kläglich Jammerwort.
Sich gegenseitig stützend, saßen zween,
Wie in der Küche Pfann’ an Pfanne lehnt,
Mit Grind gefleckt vom Kopf bis zu den Zehen.
Gleich wie ein Stallknecht, der nach Schlaf sich sehnt
Und bald sein Tagwerk hofft vollbracht zu haben,
Die Striegel eiligst führt und öfters gähnt;
So sah ich sie sich mit den Nägeln schaben
Und hier und dort sich kratzen und geschwind,
So gut es ging, ihr wütend Jucken laben.
Und schnell war unter ihren Klau’n der Grind
Wie Schuppen von den Barschen abgegangen,
Die unterm Messer schneller Köche sind.
“Du, vor des Fingern Schien’ und Masche sprangen,"
Begann Virgil zu einem von den zwei’n,
“Und der du sie auch oft gebrauchst wie Zangen,
Sprich: Fanden sich auch hier Lateiner ein
Und mögen dich zu kratzen und zu krauen,
Dafür dir ewig scharf die Nägel sein."
“Lateiner kannst du in uns beiden schauen,"
Erwidert einer drauf, von Qual durchbebt,
“Doch wer du bist, magst du mir erst vertrauen."
Mein Führer sprach: “Von Fels zu Felsen strebt
Mein Fuß hinab in diesen Finsternissen;
Die Höll’ zeig’ ich diesem, der da lebt."
Da schien das Band, das beide hielt, zerrissen,
Und jeder, dem’s der Rückhall kundgetan,
War zitternd nur mich anzuschau’n beflissen.
Dicht drängte sich an mich mein Meister an
Und sprach: “Du magst sie nach Belieben fragen!"
Und ich, da er es so gewollt, begann:
“Soll dein Gedächtnis noch in späten Tagen
Auf unsrer Welt und in der Menschen Geist
Erhalten sein, so magst du jetzo sagen,
Wie du dich nennst und deine Heimat heißt?
Und, trotz der ekeln Qual, nimm dich zusammen,
Daß du in deinen Reden offen seist."
“Mich zeugt’ Arezzo, und den Tod in Flammen
Verschafft’ einst Albero von Siena mir,
Doch andrer Grund hieß Minos mich verdammen.
Wahr ist’s, ich sagt’ im Scherz: ins Luftrevier
Verstünd’ ich mich im Fluge hinzuschwingen.
Er, klein an Witz und groß an Neubegier,
Bat mich, ihm diese Kenntnis beizubringen,
Und nur weil er durch mich kein Dädal ward,
Befahl sein Vater dann, mich umzubringen.
Doch Minos, dem sich alles offenbart,
Hat, weil ich mich der Alchimie ergeben,
Im letzten Schlund der zehen mich verwahrt."
Zum Dichter sagt’ ich: “Sprich, ob man im Leben
So eitles Volk wie die Sanesen fand?
Selbst die Franzosen sind ja nichts daneben."
Der andre Grind’ge, welcher mich verstand,
Rief: “Mag nur Stricca ausgenommen bleiben,
Der all sein Gut so klüglich angewandt;
Und Nikel, dem die Ehre zuzuschreiben,
Daß er zuerst die Braten wohl gewürzt,
Dort, wo dergleichen Saaten wohl bekleiben;
Und jener Klub, der wohl die Zeit gekürzt,
In dem Caccia d’Ascian samt seinem Witze,
Auch Wald und Weinberg durch den Schlund gestürzt.
Doch willst du wissen, wer dir half, so spitze
Den Blick auf mich und stelle dich dahin,
Gerade gegenüber meinem Sitze;
Dann wirst du sehn, daß ich Capocchio bin.
Metall verfälscht’ ich, daß ich Gold erschaffe,
Und, sah ich recht, so ist dir’s noch im Sinn,
Ich war von der Natur ein guter Affe”.

Dreißigster Gesang

Zur Zeit, da Junos Herz in Zorn geraten
Ob Semeles, in Zorn auf Thebens Blut,
Wie sie so manches Mal gezeigt durch Taten,
Ergriff den Athamas so tolle Wut,
Daß er, als auf sein Weib der Blick gefallen,
Das jeden Arm mit einem Sohn belud,
Den wilden Ruf des Wahnsinns ließ erschallen:
“Die Löwin samt den Jungen sei gefaßt!"
Dann streckt er aus die mitleidlosen Krallen;
Und wie er einen, den Learch, mit Hast
Gepackt, geschwenkt und am Gestein zerschlagen,
Ertränkte sie sich mit der zweiten Last.
Und als das Glück, das alles kühn zu wagen,
Die stolzen Troer trieb, sein Rad gewandt,
So daß zusammen Reich und Fürst erlagen,
Und Hekuba, gefangen und verbannt,
Geopfert die Polyxena erblickte,
Und sie ihr Mißgeschick an Thraziens Strand
Zum Leichnam ihres Polydorus schickte,
Da bellte sie, wahnsinnig, wie ein Hund,
Weil Schmerz den Geist verkehrt’ und ganz bestrickte.
Doch nichts in Theben ward noch Troja kund
Von einer Wut, die Vieh und Menschen packte,
Wie ich hier sah in diesem zehnten Schlund.
Ein Paar von Geistern, totenfahle, nackte,
Brach vor, so wie aus seinem Stall das Schwein,
Indem’s auf alles mit den Hauern hackte.
Der schlug sie in den Hals Capocchios ein
Und schleppt’ ihn fort, und nicht gar sanft gerieben
Ward ihm dabei der Bauch am harten Stein.
Der Aretiner, der voll Angst geblieben,
Sprach: “Schicchi ist’s, der tolle Poltergeist,
Der solch ein wütend Spiel schon oft getrieben."
“Wie du geschützt vor jenes Hauern seist,"
Entgegnet’ ich, “so sprich, eh’ er entronnen,
Wer dieser Schatten ist und wie er heißt."
“Die Myrrha ist’s, die schnöden Trug ersonnen,"
Erwidert’ er, “die mehr als sich gebührt
Vor alter Zeit den Vater liebgewonnen,
Und die mit ihm das Werk der Lust vollführt,
Weil sie die fremde Form sich angedichtet;
Wie jener, der Capocchio dort entführt,
Weil Simon ihn durchs beste Roß verpflichtet,
Als falscher Buoso sich ins Bett gelegt
Und so für ihn ein Testament errichtet."
Als nun die Tollen sich vorbeibewegt,
Ließ ich mein Auge durch die Tiefe streichen
Und sah, was sonst der Schlund an Sündern hegt.
Der eine war der Laute zu vergleichen,
Hätt’ ihm ein Schnitt die Gabel weggeschafft,
Die jeder Mensch hat abwärts von den Weichen.
Die Wassersucht, durch schlechtverkochten Saft
Ein Glied abmagernd und das andre blähend,
Die hart den Bauch macht, das Gesicht erschlafft,
Hielt ihm die beiden Lippen offen stehend,
Die nach dem Kinn, und die emporgekehrt,
Und dem Schwindsücht’gen gleich, vor Durst vergehend.
“Ihr, die ihr schmerzlos geht und unversehrt,
Wie? weiß ich nicht, in diesen Schmerzenstalen,"
Er sprach’s, “o schaut und merkt und seid belehrt
Von Meister Adams schreckenvollen Qualen.
Kein Tröpflein, ach, stillt hier des Durstes Glüh’n;
Dort konnt’ ich, was ich nur gewünscht, bezahlen.
Die muntern Bächlein, die vom Hügelgrün
Des Casentin zum Arno niederrollen
Und frisch und lind des Bettes Rand besprüh’n,
Ach, daß sie mir sich ewig zeigen sollen,
Und nicht umsonst–mehr, als die Wassersucht,
Entflammt dies Bild den Durst des Jammervollen.
Denn die Gerechtigkeit, die mich verflucht,
Treibt durch den Ort, wo ich in Schuld verfallen,
Zu größrer Eile meiner Seufzer Flucht.
Dort liegt Romena, wo ich mit Metallen
Geringern Werts verfälscht das gute Geld,
Weshalb ich dort der Flamm’ anheimgefallen.
Doch wäre Guido nur mir beigesellt,
Und jeder, der zum Laster mich verführte,
Ich gäbe drum den schönsten Quell der Welt.
Zwar, wenn der Tolle Wahrheit sagt, so spürte
Er jüngst den einen auf in dieser Nacht.
Doch da dies übel meine Glieder schnürte,
Was hilft es mir? Hätt’ ich nur so viel Macht,
Um zollweis’ im Jahrhundert vorzuschreiten,
Ich hätte schon mich auf den Weg gemacht,
Ihn suchend durch dies Tal nach allen Seiten,
Mag’s in der Rund’ auch sich elf Miglien zieh’n,
Und minder nicht als eine halbe breiten.
Bei diesen Krüppeln hier bin ich durch ihn,
Denn er hat mich verführt, daß ich den Gulden
An schlechterm Zusatz drei Karat verlieh’n."
Und ich: “Was mochten jene zwei verschulden,
Die, dampfend, wie im Frost die nasse Hand,
Fest an dir liegend, ihre Straf erdulden?"
Er sprach: “Sie liegen fest, wie ich sie fand,
Als ich hierhergeschneit nach Minos’ Winken,
Und werden ewiglich nicht umgewandt.
Die ist das Weib des Potiphar; zur Linken
Liegt Sinon mir, berühmt durch Trojas Roß.
Im faulen Fieber liegen sie und stinken."
Und dieser Letzte, den’s vielleicht verdroß,
Daß Meister Adams Wort ihn so verhöhnte,
Gab auf den harten Wanst ihm einen Stoß,
Daß dieser gleich der besten Trommel tönte.
Doch in das Angesicht des andern warf
Herr Adam die gleich harte Faust und stöhnte:
“Ob ich mich gleich nicht fortbewegen darf,
Doch ist mein Arm noch, wie du eben spürtest,
Noch frei und flink zu solcherlei Bedarf."
“Als du zum Feuer gingst,” rief Sinon, “rührtest
Du nicht den Arm schnell, wie er eben war,
Doch schneller, da du einst den Stempel führtest."
Der Wassersücht’ge: “Darin sprichst du wahr,
Doch stelltest du in Troja kein Exempel
Von einem so wahrhaft’gen Zeugnis dar."
“Fälscht’ ich das Wort, so fälschtest du den Stempel.
Hier bin ich doch für einen Fehler nur,
Du aber dientest stets in Satans Tempel."
So Sinon. “Denk’ ans Roß, du Schelm!” so fuhr
Ihn jener an mit dem geschwollnen Bauche,
“Qual sei dir, daß es alle Welt erfuhr."
“Qual sei dir”, rief der Grieche drauf, “die Jauche,
Und blähe stets zum Bollwerk deinen Wanst,
Der Durst, der deine Zung’ in Flammen tauche."
Der Münzer: “Der du stets auf Lügen sannst,
Dein Maul zerreiße dir für solch Erfrechen!
Wenn du mich dürstend. schwellend sehen kannst,
So möge Durst dich quälen, Kopfweh stechen.
Sprach’ einer kurz: Sauf aus den ganzen Bach!
Du würdest dessen wohl dich nicht entbrechen."
Ich horchte stumm, was der und jener sprach,
Da rief Virgil: “Nun, wirst du endlich kommen?
Zu lange sah ich schon der Neugier nach."
Als ich des Meisters Wort voll Zorn vernommen,
Wandt’ ich voll Scham zu ihm das Angesicht
Und fühle jetzt noch mich von Scham entglommen.
Wie man im schreckenvollen Traumgesicht
Zu wünschen pflegt, daß man nur träumen möge,
Und das, was ist, ersehnt, als wär’ es nicht;
So bangt’ ich, daß mir Scham das Wort entzöge;
Entschuld’gen wollt’ ich mich–Entschuld’gung kam,
Indem ich glaubte, daß ich’s nicht vermöge.
Da sprach mein guter Meister: “Mindre Scham
Wäscht größern Fehler ab, als du begangen,
Darum entlaste dich von jedem Gram;
Doch wenn wir je zu solchem Streit gelangen,
So denke stets, daß ich dir nahe bin,
Und bleibe nicht daran voll Neugier hangen;
Denn drauf zu horchen, zeigt gemeinen Sinn.”

Einunddreißigster Gesang

Dieselbe Zunge, die mich erst verletzte
Und beide Wangen überzog mit Rot,
War’s, die mich dann mit Arzeneien letzte.
So, hör’ ich, hat der Speer Achills gedroht,
Und seines Vaters, der mit einem Zücken
Verletzt’ und mit dem andern Hilfe bot.
Wir kehrten nun dem Jammertal den Rücken,
Den Damm durchschneidend, der es rings umlag,
Um, schweigend, mehr nach innen vorzurücken.
Dort war’s nicht völlig Nacht, nicht völlig Tag,
Daher die Blicke wenig vorwärts gingen;
Doch tönt’ ein Horn–der stärkste Donner mag
Bei solchem Ton kaum hörbar noch erklingen–
Drum sucht’ ich nur, entgegen dem Gebraus,
Mit meinem Blick zu seinem Quell zu dringen.
Nicht tönte nach dem unglücksel’gen Strauß,
Der Karls des Großen heil’gen Plan vernichtet,
Des Grafen Roland Horn mit solchem Graus.
Wie ich mein Auge nun dorthin gerichtet,
Glaubt’ ich, viel hohe Türme zu ersehn,
Und sprach: “Ist eine Feste dort errichtet?"
Mein Meister drauf: “Weil du zu weit zu späh’n
Versuchst in diesen nachterfüllten Räumen,
Mußt du dich selber öfters hintergehn.
Dort siehst du, daß, wie oft, zu eitlen Träumen
Aus der Entfernung das Geschaute schwoll,
Drum schreite vorwärts, ohne lang zu säumen."
Dann faßt’ er bei der Hand mich liebevoll
Und sprach: “Ich will dir die Bewandtnis sagen,
Weil’s nah dann minder seltsam scheinen soll.
Ob’s Türme wären, wolltest du mich fragen?
Nein, Riesen sind’s, die rings am Brunnenrand
Vom Nabel aufwärts in die Lüfte ragen."
Wie wenn der Nebel fortzieht, der das Land
In Dunst gehüllt, allmählich unsre Blicke
Das klar erkennen, was er erst umwand;
So, bohrend durch die Luft, die trübe, dicke,
Und mehr und mehr genaht dem tiefen Schlund,
Scheucht’ ich den Wahn, doch kam die Furcht zurücke
Wie um Montereggiones Zinnenrund
Rings eine Krone hohe Türme machen,
So türmten sich, mit halbem Leib im Grund,
Mit halbem Leib rings um des Brunnens Rachen
Giganten, Kämpfer jenes großen Streits,
Sie, welchen nach die Donner Jovis krachen.
Von einem sah ich das Gesicht bereits
Und Schultern, Brust und großen Teil vom Bauche,
Herabgestreckt die Arme beiderseits.
Wenn die Natur nicht mehr nach altem Brauche
Dergleichen Wesen schafft, so tut sie recht,
Damit nicht Mars sie mehr als Schergen brauche.
Schafft sie den Walfisch auch und das Geschlecht
Der Elefanten noch, doch sicher findet,
Wer reiflich urteilt, sie hierin gerecht,
Weil, wenn die Überlegung sich verbindet
Mit bösem Willen und mit großer Macht,
Jedwede Schutzwehr dann dem Volke schwindet.
Das Antlitz schien mir lang und ungeschlacht,
Dem Turmknopf von Sankt Peter zu vergleichen,
Und jedes Glied nach solchem Maß gemacht.
Es mochten wohl vom Strand, der von den Weichen
Ihn abwärts barg, der oberen Gestalt
Drei Friesen ausgestreckt nicht dahin reichen,
Wo seine Stirn das borst’ge Haar umwallt,
Denn aufwärts maß er dreißig große Palmen,
Bis zu dem Ort, wo man den Mantel schnallt.
Raphegi mai amech itzabi Almen!
So tönt’ es aus den dicken Lippen vor,
Für die sich nicht geziemten sanftre Psalmen.
Mein Führer rief: “Nimm doch dein Horn, du Tor,
Und magst du Zorn und andern Trieb empfinden,
So sprudl’ ihn flugs durch seinen Bauch hervor.
Du kannst an deinem Hals den Riemen finden,
Verwirrter Geist, der’s angebunden hält.
Sieh doch ihn dort die dicke Brust umwinden!"
Darauf zu mir: “Sich selbst verklagt der Held;
Der Nimrod ist’s, durch dessen toll Vergehen
Man nicht mehr eine Sprach’ übt in der Welt.
Mit ihm ist nicht zu sprechen. Mag er stehen!
Kein Mensch versteht von seiner Sprach’ ein Wort,
Und er kann keines andern Wort verstehen."
Wir gingen nun zur Linken weiter fort,
Und fanden schon in Bogenschusses Weite
Den zweiten größern, wilden Riesen dort.
Nicht weiß ich, wem’s gelang, daß er im Streite
Ihn fing und band, doch vorn geschnürt erschien
Sein linker Arm und hinter ihm der zweite;
Denn eine Kett’ umwand vom Nacken ihn,
Um, was von seinem Leib nach oben ragte,
Nach unten hin fünf Male zu umzieh’n.
Da sprach mein Meister: “Mit dem Donnrer wagte
Sein kühner Stolz des großen Kampfes Los.
Hier aber sieh den Preis, den er erjagte.
Ephialtes ist’s. Sein Tun war kühn und groß
Im Riesenkampfe, zu der Götter Schrecken;
Nun ist sein droh’nder Arm bewegungslos."
Und ich zu ihm: “Den ungeheuern Recken,
Den Briareus, wenn dies geschehen kann,
Möcht’ ich wohl gern in diesem Tal entdecken."
Mein Führer drauf: “Du siehst hier nebenan
Antäus stehn. Er spricht, ist ungebunden
Und setzt uns nieder in den tiefsten Bann.
Der, den du suchst, wird weiterhin gefunden,
Gleich diesem hier, nur schrecklicher zu schau’n,
Allein wie er mit Ketten fest umwunden."
Hier schüttelt’ Ephialtes sich, und traun!
Kein Erdenstoß, von dem die Türme schwanken,
War heftiger, erregte tiefres Grau’n.
Ich glaubte schon dem Tode zuzuwanken,
Und sah ich nicht, wie ihn die Kett’ umschloß,
So genügten, mich zu töten, die Gedanken.
Wir gingen weiter, ich und mein Genoß,
Und sahn Antäus, der dem tiefen Bronnen,
Zehn Ellen bis zum Haupte hoch, entsproß.
“Der du im Tal, das ew’gen Ruhm gewonnen,
Weil Hannibal in ihm, der kühne Feind,
Mit seiner Schar vor Scipios Mut entronnen,
Einst tausend Löwen fingst, wenn du, vereint
Mit deinen Brüdern kühn den Arm geschwungen
Im hohen Krieg, so hätten, wie man meint,
Die Erdensöhne doch den Sieg errungen.
Jetzt setz’ uns dort hinab, wo, fern dem Licht,
Die starre Kälte den Kozyt bezwungen.
Zu Tiphöus oder Tityus schick’ uns nicht.
Das, was man hier ersehnt, kann dieser geben,
Drum wende nicht so mürrisch dein Gesicht.
Er kann auf Erden deinen Ruf erheben.
Er lebt und hofft, wenn ihn nicht vor der Zeit
Die Gnade zu sich ruft, noch lang zu leben."
Er sprach’s, und jener, schnell zum Griff bereit,
Streckt’ aus die Hand, um auf ihn loszufahren,
Die Hand, die Herkul fühlt’ im großen Streit.
Virgil, kaum konnt’ er sich gepackt gewahren,
Rief: “Komm hierher, wo dich mein Arm umstrickt!"
Drauf macht’ er’s, daß wir zwei ein Bündel waren.
Wie Carisenda, unterm Hang erblickt,
Sich vorzubeugen scheint und selbst zu regen,
Wenn Wolken ihr den Wind entgegenschickt,
So schien Antäus jetzt sich zu bewegen,
Als er sich niederbog, und großen Hang
Empfand ich, fortzugehn auf andern Wegen.
Doch leicht zum Grund, der Luzifern verschlang
Und Judas, setzt’ er nieder unsre Last,
Und, so geneigt, verweilt’ er dort nicht lang
Und schnellt’ empor, als wie im Schiff der Mast.

Zweiunddreißigster Gesang

O hätt’ ich Reime von so heiserm Schalle,
So rauh, wie sie erheischt dies Loch voll Graus,
Auf welchem ruh’n die andern Felsen alle,
Dann drückt’ ich, was ich will, vollkommner aus,
Doch, sie nicht habend, geh’ ich nur mit Bangen
Jetzt an die Rede, wie zum harten Strauß.
Denn nicht ein Spiel ist ja mein Unterfangen,
Den Grund des Alls dem Liede zu vertrau’n,
Und nicht mit Kinderlallen auszulangen.
Doch fördern meine Reim’ itzt jene Frau’n,
Amphions Hilf an Thebens Mau’r und Toren,
Dann wohl entspricht mein Lied der Tat an Grau’n.
O schlechtster Pöbel, an dem Ort verloren,
Der hart zu schildern ist, oh wärst du doch
In unsrer Welt als Zieg’ und Schaf geboren.
Wir waren nun im dunkeln Brunnenloch
Tief unterm Riesen, näher schon der Mitte,
Und nach der hohen Mauer sah ich noch.
Da hört’ ich sagen: “Schau’ auf deine Schritte,
Daß du den Armen nicht im Weiterzieh’n
Die Häupter stampfen magst mit deinem Tritte."
Drum wandt’ ich mich, und vor mir hin erschien
Und unter meinen Füßen auch ein Weiher,
Der durch den Frost Glas, und nicht Wasser, schien.
Die Donau bleibt im Frost vom Eise freier,
Und nah dem Pol, selbst in der längsten Nacht,
Deckt nicht den Sanais ein so dichter Schleier.
Und wäre Tabernik herabgekracht
Und Pietrapan, nicht hätte nur am Saume
Bei ihrem Sturz das Eis krick krick gemacht.
Wie abends, wenn die Bäuerin im Traume
Noch Ähren liest–die Schnauze vorgestreckt,
Der Frösche Volk quäkt aus dem nassen Raume;
So bis dahin, wo sich die Scham entdeckt,
Fahl, mit dem Ton des Storchs die Zähne schlagend,
War elend Geistervolk im Eis versteckt,
Zur Tiefe hingewandt das Antlitz tragend,
Vom Froste mit dem Mund und von den Weh’n
Des Herzens mit den Augen Zeugnis sagend.
Als ich ein Weilchen erst mich umgesehn,
Schaut’ ich zum Boden hin und sah von oben
Zwei, eng umfaßt, vermischt das Haupthaar, stehn.
“Ihr, die ihr drängend Brust an Brust geschoben,
Wer seid ihr?” sprach ich–dann, als sie auf mich,
Die Hälse rückend, ihre Blick’ erhoben,
Sah ich die Augen, feucht erst innerlich,
Von Tränen träufeln, die, noch kaum ergossen,
Zu Eis erstarrten; und sie schlossen sich,
Fest, wie nie Klammern Holz an Holz geschlossen,
Drum stießen sich im Grimme wilden Streits,
Gleich zweien Böcken, diese Qualgenossen.
Und einer, der sein Ohrenpaar bereits
Durch Frost verlor, brach, stets gebückt, das Schweigen:
Was hängst du so am Schauspiel unsres Leids?
Soll ich, wer diese beiden sind, dir zeigen?
Das Tal, das des Bisenzio Flut benetzt,
War ihnen einst und ihrem Vater eigen.
Ein Leib gebar sie, und durchsuche jetzt
Kaina ganz, du findest sicher keinen
Mit besserm Grund in dieses Eis versetzt;
Nicht ihn, des Brust und Schatten einst durch einen
Stoß seines Speers durchbohrt des Artus Hand;
Focaccia nicht, noch ihn, des Kopf den meinen
So deckt, daß mir die Aussicht gänzlich schwand.
Den, hörst du Sassol Mascheroni nennen,
Du, ein Toskaner, sicher leicht erkannt.
Jetzt hör’, um mir nur schleunig Ruh’ zu gönnen,
Ich, Camicion, erwarte den Carlin
Und werde neben ihm mich brüsten können:"
Noch sah ich viele Hundesfratzen zieh’n
Vor großem Frost in diesem tiefen Kreise,
Und schaudre noch vor dem, was mir erschien.
Und weiter ging zum Mittelpunkt die Reise,
Auf welchem ruht des ganzen Alls Gewicht,
Und selber zittert’ ich beim ew’gen Eise.
War’s Vorsatz, war’s Geschick–ich weiß es nicht,
Genug, es stieß mein Fuß beim Weitergehen
Durch viele Häupter, eins ins Angesicht.
“Was trittst du mich?"–so hört’ ich’s heulend schmähen,
“Rächst du noch schärfer Montapert an mir?
Wenn aber nicht, weswegen ist’s geschehen?–"
“Mein Meister,” sprach ich, “harr’ ein wenig hier,
Denn gern belehrt’ ich mich von diesem näher,
Dann folg’ ich, wie dir’s gut dünkt, eilig dir."
Still stand, wie ich gewünscht, der hohe Seher,
Und jener fluchte noch so wild wie erst,
Da sprach ich: “Wer bist du, du arger Schmäher?"
“Und du, der du durch Antenora fährst,"
Sprach er, “wer du, der so stößt andrer Wangen,
Daß es zu arg war’, wenn du lebend wärst?"–
“Ich lebe”, sagt’ ich. “Hättest du Verlangen
Nach Ruf, so wird er dir durch mich zuteil,
Drum wirst du wohl mit Freuden mich empfangen."
Drauf er: “Ich wünsche nur das Gegenteil,
Drum packe dich–in diesen Eisesmassen
Verspricht solch Schmeichelwort ein schlechtes Heil."
Da griff ich nieder, ihn beim Schopf zu fassen,
Und sagt’ ihm: “Nötig wird’s, daß du dich nennst,
Soll ich ein Haar auf deinem Kopfe lassen."
Und er: “Ob du mich zausen magst, du kennst
Mich dennoch nicht–nichts sollst du hier erkunden,
Wenn du mir tausendmal ins Antlitz rennst."
Ich hielt sein Haar um meine Hand gewunden,
Und ob schon ausgerauft manch Büschel war,
Schaut’ er hinab und bellte gleich den Hunden.
Da rief ein andrer: “Bocca, nun fürwahr,
Du ließest schon genug die Kiefern klingen,
Jetzt bellst du noch? Plagt dich der Teufel gar?"
“Dich”, rief ich, “mag ich nicht zum Reden zwingen,
Verräter du, allein zu deiner Schmach
Will ich zur Erde wahre Nachricht bringen."
“Erzähle, was du willst, doch hintennach”,
Rief Bocca, “magst du diesen nur nicht schönen,
Der eben jetzo so geläufig sprach.
Sieh ihn für’s Gold der Franken hier belohnen
Und sage, daß Duera da nicht fehlt,
Wo ziemlich kühl und frisch die Sünder wohnen.
Und fragt man noch, wen sonst dies Eis verhehlt,
Dort siehst du Becherias Augen triefen,
Den jüngst die Florentiner abgekehlt.
Auch wohnt Soldanier jetzt in diesen Tiefen,
Gan, Sribaldello, der Faenzas Tor
Den Feinden aufschloß, da noch alle schliefen."
Wir gingen fort, und, etwas weiter vor,
War, Haupt auf Haupt gedrückt, ein Paar zu finden,
Das fest in einem Loch zusammenfror.
Wie man aus Hunger nagt an harten Rinden,
So fraß der Obre hier den Untern an
Da, wo sich Nacken und Gehirn verbinden.
Wie in die Schläfe Menalipps den Zahn
Einst Sydeus voll von wilder Wut geschlagen,
So ward von ihm dem Schädel hier getan.
“O du, der du mit viehischem Behagen
Den Haß an diesem stillst, an dem du nagst,
Weshalb”, begann ich, “magst du dich beklagen?
Und hör’ ich, daß du dich mit Recht beklagst,
Und wer er sei, und was dein Nagen räche,
So sollst du dort erstehn, wo du erlagst,
Wenn diese nicht verdorrt, mit der ich spreche.”

Dreiunddreißigster Gesang

Den Mund erhob vom schaudervollen Schmaus
Der Sünder jetzt und wischt’ ihn mit den Locken
Des angefress’nen Hinterkopfes aus.
Er sprach: “Du willst zum Reden mich verlocken?
Verzweiflungsvollen Schmerz soll ich erneu’n,
Bei des Erinnrung schon die Pulse stocken?
Doch dient mein Wort, um Saaten auszustreu’n,
Die Frucht der Schande dem Verräter bringen,
Nicht Reden werd’ ich dann noch Tränen scheu’n.
Zwar, wer du bist, wie dir hierherzudringen
Gelungen, weiß ich nicht, doch schien vorhin
Wie Florentiner Laut dein Wort zu klingen.
Du höre jetzt: Ich war Graf Ugolin,
Erzbischof Roger er, den ich zerbissen.
Nun horch, warum ich solch ein Nachbar bin.
Daß er die Freiheit tückisch mir entrissen,
Als er durch Arglist mein Vertrau’n betört,
Und mich getötet hat, das wirst du wissen.
Vernimm darum, was du noch nicht gehört,
Noch haben kannst–den Tod voll Graus und Schauer,
Und fass es, wie sich noch mein Herz empört.
Ein enges Loch in des Verlieses Mauer,
Durch mich benannt vom Hunger, wo gewiß
Man manchen noch verschließt zu bittrer Trauer,
Es zeigte kaum nach nächt’ger Finsternis
Das erste Zwielicht, als ein Traum voll Grauen
Der dunkeln Zukunft Schleier mir zerriß.
Er jagt’, als Herr und Meister, durch die Auen
Den Wolf und seine Brut zum Berg hinaus,
Der Pisa hindert, Lucca zu erschauen.
Mit Hunden, mager, gierig und zum Strauß
Wohleingeübt, entsendet er Sismunden,
Lanfranken samt Gualanden sich voraus.
Bald schien im Lauf des Wolfes Kraft geschwunden
Und seiner Jungen Kraft, und bis zum Tod
Sah ich von scharfen Zähnen sie verwunden.
Als ich erwacht’ im ersten Morgenrot,
Da jammerten, halb schlafend noch, die Meinen,
Die bei mir waren, und verlangten Brot.
Teilst du nicht meinen Schmerz, so teilst du keinen,
Und denkst du, was mein Herz mir kundgetan,
Und weinest nicht, wann pflegst du denn zu weinen?
Schon wachten sie, die Stunde naht’ heran,
Wo man uns sonst die Speise bracht’, und jeden
Weht’ ob des Traumes Unglücksahndung an.
Verriegeln hört’ ich unter mir den öden,
Grau’nvollen Turm–und ins Gesicht sah ich
Den Kindern allen, ohn’ ein Wort zu reden.
Ich weinte nicht. So starrt’ ich innerlich,
Sie weinten, und mein Anselmuccio fragte:
Du blickst so,–Vater! Ach, was hast du? Sprich!
Doch weint’ ich nicht, und diesen Tag lang sagte
Ich nichts und nichts die Nacht, bis abermal
Des Morgens Licht der Welt im Osten tagte.
Als in mein jammervoll Verlies sein Strahl
Ein wenig fiel, da schien es mir, ich fände
Auf vier Gesichtern mein’s und meine Qual.
Ich biß vor Jammer mich in beide Hände,
Und jene, wähnend, daß ich es aus Gier
Nach Speise tat’, erhoben sich behende
Und schrien: Iß uns, und minder leiden wir!
Wie wir von dir die arme Hüll’ erhalten,
Oh, so entkleid’ uns, Vater, auch von ihr.
Da sucht’ ich ihrethalb mich still zu halten;
Stumm blieben wir den Tag, den andern noch.
Und du, o Erde, konntest dich nicht spalten?
Als wir den vierten Tag erreicht, da kroch
Mein Gaddo zu mir hin mit leisem Flehen:
Was hilfst du nicht? Mein Vater, hilf mir doch!
Dort starb er–und so hab’ ich sie gesehen,
Wie du mich siehst, am fünften, sechsten Tag,
Jetzt den, jetzt den hinsinken und vergehen.
Schon blind, tappt’ ich dahin, wo jeder lag,
Rief sie drei Tage, seit ihr Blick gebrochen,
Bis Hunger tat, was Kummer nicht vermag."
Und scheelen Blickes fiel er, dies gesprochen,
Den Schädel an, den er zerriß, zerbrach,
Mit Zähnen, wie des Hundes, stark für Knochen.
Pisa, du, des schönen Landes Schmach,
In dem das Si erklingt mit süßem Tone,
Sieht träg dein Nachbar deinen Freveln nach,
So schwimme her, Capraja und Gorgone,
Des Arno Mund zu stopfen, daß die Flut
Dich ganz ersäuf und keiner Seele schone.
Denn, wenn auch Ugolinos Frevelmut,
Wie man gesagt, die Schlösser dir verraten,
Was schlachtete die Kinder deine Wut?
Oh neues Theben, war an solchen Taten
Nicht ohne Schuld das zarte Knabenpaar,
Das ich genannt? nicht Hugo samt Brigaten?–
Wir gingen nun zu einer andern Schar,
Die, statt wie jene, sich hinabzukehren,
Das Antlitz aufwärts, eingefroren war.
Die Zähren selber hemmen hier die Zähren,
Drum wälzt der Schmerz, der nicht nach außen kann,
Sich ganz nach innen, um die Angst zu mehren.
Denn, was zuerst dem trüben Aug’ entrann,
Das war zum Klumpen von Kristall verdichtet
Und füllte ganz die Augenhöhlen an.
Und ob vom Frost, der solches Eis geschichtet,
Mein Antlitz wie bedeckt mit Schwielen schien,
Und deshalb jegliches Gefühl vernichtet,
Doch fühlt’ ich, schien’s mir Luft entgegenzieh’n,
Drum sprach ich: “Herr, wie mag hier Luft sich regen,
Wo nie die Sonne, dunstentwickelnd, schien?"
Und er: “Du gehst der Antwort schnell entgegen
Und siehst, wenn wir noch weiter fortgereist,
Aus welchem Grund die Lüfte sich bewegen."
Da rief ein eisumstarrter armer Geist:
“Grausame Seelen, ihr, die jetzt vom Lichte
Zu dieser letzten Stelle Minos weist,
Hebt mir den harten Schleier vom Gesichte,
Damit ich lüfte meines Herzens Weh’n,
Eh’ neu die Träne sich zu Eis verdichte."
Ich sprach: “Soll dir’s nach deinem Wunsch geschehn,
So nenne dich, und wenn ich’s nicht erzeige,
So will ich selbst zum Grund des Eises gehn."
Drauf er: “Ich bin’s, der Frucht vom bösen Zweige
Als Bruder Alberich dort angeschafft,
Und speise hier die Dattel für die Feige."
“Oh,” rief ich, “hat der Tod dich hingerafft?"
Und er zu mir: “Ob noch mein Leib am Leben,
Davon bekam ich keine Wissenschaft.
Denn Ptolommäa hat den Vorzug eben,
Daß oft die Seele stürzt in dies Gebiet,
Eh’ ihr den Anstoß Atropos gegeben.
Und daß du lieber mir vom Augenlid
Verglaste Tränen nehmest sollst du wissen:
Sobald die Seele den Verrat vollzieht,
Wie ich getan, wird ihr der Leib entrissen
Von einem Teufel, der dann drin regiert
Bis an den Tod, indes in Finsternissen
Des kalten Brunnens sie sich selbst verliert.
Vielleicht ist oben noch der Körper dessen,
Der hinter mir in diesem Eise friert.
Kommst du von dort, so magst du’s selbst ermessen.
Herr Branca d’Oria ist’s, der jämmerlich
Schon manches Jahr im Eise fest gesessen."
“Ich glaube,” Sprach ich, “du betrügest mich,
Denn Branca d’Oria ist noch nicht begraben
Und ißt und trinkt und schläft und kleidet sich."
Und er darauf: “Es konnte jenen Graben,
An dem beim Pech die Schar von Teufeln wacht,
Noch nicht erreicht Herr Michel Zanche haben,
Da war sein Leib schon in des Dämons Macht.
So ging’s auch dem von d’Orias Geschlechte,
Der den Verrat zugleich mit ihm vollbracht.
Jetzt aber strecke zu mir her die Rechte
Und nimm das Eis hinweg!–doch tat ich’s nicht,
Denn gegen ihn war Schlechtsein nur das Rechte.
Genua, Feindin jeder Sitt’ und Pflicht,
Ihr Genueser, jeder Schuld Genossen,
Was tilgt euch nicht des Himmels Strafgericht?
Ich fand mit der Romagna schlimmsten Sprossen
Der euren einen, für sein Tun belohnt,
Die Seel’ in des Kozytus Eis verschlossen,
Des Leib bei euch noch scheinbar lebend wohnt.

Vierunddreißigster Gesang

“Uns naht des Höllenköniges Panier!
Schau’ hin, ob du vermagst ihn zu erspähen."
So sprach mein edler Meister jetzt zu mir.
Und wie, wenn dichte Nebel uns umwehen,
Wie in der Dämmerung, vom fernen Ort
Windmühlenflügel aussehn, die sich drehen;
So sah ich jetzo ein Gebäude dort–
Nichts fand ich sonst, mich vor dem Wind zu decken,
Drum drängt’ ich fest mich hinter meinen Hort.
Dort war ich, wo–ich sing’ es noch mit Schrecken–
Die Geister, in durchsicht’ges Eis gebannt,
Ganz drin, wie Splitterchen im Glase, stecken.
Der lag darin gestreckt, und mancher stand,
Der aufrecht, jener auf dem Kopf; der bückte
Sich sprenkelkrumm, das Haupt zum Fuß gewandt.
Als hinter ihm ich so weit vorwärts rückte,
Daß es dem Meister nun gefällig schien,
Mir den zu zeigen, den einst Schönheit schmückte.
Da trat er weg von mir, hieß mich verzieh’n,
Und sprach zu mir: “Bleib, um den Dis zu schauen,
Und hier laß nicht dir Mut und Kraft entfliehn."
Wie ich da starr und heiser ward vor Grauen,
Darüber schweigt, o Leser, mein Bericht,
Denn keiner Sprache läßt sich dies vertrauen.
Nicht starb ich hier, auch lebend blieb ich nicht.
Nun denke, was dem Zustand dessen gleiche,
Dem Tod und Leben allzugleich gebricht.
Der Kaiser von dem tränenvollen Reiche
Entragte mit der halben Brust dem Glas,
Und wie ich eines Riesen Maß erreiche,
Erreicht’ ein Riese seines Armes Maß.
Nun siehst du selbst das ungeheure Wesen,
Dem solch ein Glied verhältnismäßig saß.
Ist er, wie häßlich jetzt, einst schön gewesen,
Und hat den güt’gen Schöpfer doch bedroht,
So muß er wohl der Quell sein alles Bösen.
O Wunder, das sein Kopf dem Auge bot!
Mit drei Gesichtern sah ich ihn erscheinen,
Von diesen aber war das vordre rot.
Anfügten sich die andern zwei dem einen,
Gerad’ ob beiden Schultern hingestellt,
Um oben sich beim Kamme zu vereinen;
Das Antlitz links weißgelblich–ihm gesellt
Das links, gleich dem der Leute, die aus Landen
Von jenseits kommen, wo der Nilus fällt.
Groß, angemessen solchem Vogel, standen
Zwei Flügel unter jedem weit heraus,
Die wir den Segeln gleich, nur größer, fanden,
Und federlos, wie die der Fledermaus.
Sie flatterten ohn’ Unterlaß und gossen
Drei Winde nach verschiedner Richtung aus.
Dadurch ward der Kozyt mit Eis verschlossen.
Sechs Augen waren nie von Tränen frei,
Die auf drei Kinn’ in blut’gem Geifer flossen.
Und einen armen Sünder malmt’ entzwei
Und kaute jeder Mund, daher zerbissen,
Flachsbrechen gleich, die scharfen Zähne drei.
Der vordre Mund schien sanft in seinen Bissen,
Verglichen mit den scharfen Klau’n, zu sein,
Die oft die Haut vom Fleisch des Sünders rissen.
Da sprach Virgil: “Sieh hier die größte Pein!
Ischariots Kopf steckt zwischen scharfen Fängen,
Und außen zappelt er mit Arm und Bein.
Zwei andre sieh, den Kopf nach unten hängen;
Hier Brutus an der schwarzen Schnauze Schlund
Sich ohne Laute winden, dreh’n und drängen;
Dort Cassius, kräftig, wohlbeleibt und rund–
Doch naht die Nacht, drum sei jetzt fortgegangen,
Denn ganz erforscht ist nun der Hölle Grund."
Jetzt winkte mir, den Hals ihm zu umfangen,
Und Zeit und Ort ersah sich mein Gesell,
Und, als sich weit gespreizt die Flügel schwangen,
Hing er sich an die zott’ge Seite schnell,
Griff Zott’ auf Zott’, um sich herabzusenken
Inmitten eis’ger Rind’ und rauhem Fell.
Dort angelangt, wo in den Hüftgelenken
Des Riesen sich der Lenden Kugeln dreh’n,
Eilt’ er, mit Müh’ und Angst, sich umzuschwenken.
Wo erst der Fuß war, kam das Haupt zu stehn;
Die Zotten fassend, klomm er aufwärts weiter,
Als sollten wir zurück zur Hölle gehn.
“Hier halte fest dich; denn auf solcher Leiter
Entkommt man nur so großem Leid,” so sprach
Tiefkeuchend, wie ein Müder, mein Begleiter.
Worauf er Bahn sich durch ein Felsloch brach,
Dann setzt’ er mich auf einen Rand daneben
Und streckte mir den Fuß behutsam nach.
Ich blickt’ empor und glaubte, wie ich eben
Den Dis gesehn, so stell’ er noch sich dar.
Doch seine Füße sah ich sich erheben.
Wie ich erschrak, bedenk’, o dumme Schar,
Der’s nottut, daß sie erst erkennen lerne,
Durch welchen Punkt ich jetzt gedrungen war.
Da sprach Virgil: “Jetzt auf, das Ziel ist ferne,
Der Weg auch schwierig, den du vor dir hast;
Und Sol, aufsteigend. scheucht bereits die Sternen
Nicht war’s ein Gang durch einen Prachtpalast,
Der vor mir lag; er lief auf rauhem Grunde
Durch eine Felsschlucht, völlig dunkel fast.
Ich, aufrecht stehend, sprach: “Eh’ aus dem Schlunde
Der Weg, den du mich leitest, mich entläßt,
Reiß aus dem Irrtum mich und gib mir Kunde:
Wo ist das Eis? Wie steckt Dis köpflings fest?
Und wie hat Sol so schnell aus solchen Weiten
Die Überfahrt gemacht zum Ost vom West?
“Du glaubst dich auf des Zentrums andern Seiten,
Wo du am Wurme, der die Erde kränkt
Und sie durchbohrt, mich sahst herniedergleiten.
Du warst’s, solang’ ich mich hinabgesenkt;
Allein den Punkt, der anzieht alle Schwere,
Durchdrängest du, da ich mich umgeschwenkt.
Jetzt kamst du zu der andern Hemisphäre,
Entgegen der, die großes trocknes Land
Bedeckt, und unter deren Zelt der Hehre
So fehllos lebt’ und starb, wie er entstand.
Du stehest jetzo auf dem kleinen Kreise,
Der hier Judokas andre Seit’ umspannt.
Und hier beginnt der Sonne Tagesreise,
Wenn sie dort endet, und im Brunnen steckt
Noch immer Luzifer nach alter Weise.
Vom Himmel ward er hier herabgestreckt.
Das Land, das erst hier ragte, hat sich droben
Aus Furcht vor ihm im Meeresgrund versteckt
Und sich auf jenem Halbkreis dort erhoben.
Um ihn zu flieh’n, drang auch die Erde vor
Aus dieser Höhl’ und drängte sich nach oben."
So sprach Virgil–und sieh, vom Dis empor
Ging eine Schlucht, tief wie die ganze Hölle,
Zwar nicht erkannt vom Auge, doch vom Ohr;
Denn rauschend lief ein Bach, des rasche Welle
Sich Bahn durch Felsen brach, mit sanftem Hang
Und vielgewunden, bis zu jener Stelle.
Nun trat mein Führer auf verborgnem Gang
Den Rückweg an entlang des Baches Windung;
Und wie ich, rastlos folgend, aufwärts drang,
Da blickte durch der Felsschlucht obre Rundung
Der schöne Himmel mir aus heitrer Ferne,
Und eilig stiegen wir aus enger Mundung
Und traten vor zum Wiedersehn der Sterne.

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Die Hölle  •  Das Fegefeuer  •  Das Paradies

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