Die Leiden des jungen Werther
von Johann Wolfgang von Goethe

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Am 16. März

Es hetzt mich alles. Heut’ treff’ ich die Fräulein B... in der Allee, ich konnte mich nicht enthalten, sie anzureden und ihr, sobald wir etwas entfernt von der Gesellschaft waren, meine Empfindlichkeit über ihr neuliches Betragen zu zeigen.—"O Werther”, sagte sie mit einem innigen Tone,"konnten Sie meine Verwirrung so auslegen, da Sie mein Herz kennen? Was ich gelitten habe um Ihretwillen, von dem Augenblicke an, da ich in den Saal trat! Ich sah alles voraus, hundertmal saß mir’s auf der Zunge, es Ihnen zu sagen. Ich wußte, daß die von S... und T... mit ihren Männern eher aufbrechen würden, als in Ihrer Gesellschaft zu bleiben; ich wußte, daß der Graf es mit ihnen nicht verderben darf,—und jetzt der Lärm!"—"wie, Fräulein?"sagt’ ich und verbarg meinen Schrecken; denn alles, was Adelin mir ehegestern gesagt hatte, lief mir wie siedend Wasser durch die Adern in diesem Augenblicke.—"Was hat mich es schon gekostet! “sagte das süße Geschöpf, indem ihr die Tränen in den Augen standen. —Ich war nicht Herr mehr von mir selbst, war im Begriffe, mich ihr zu Füßen zu werfen.—"Erklären Sie sich!"rief ich.—Die Tränen liefen ihr die Wangen herunter. Ich war außer mir. Sie trocknete sie ab, ohne sie verbergen zu wollen.—"Meine Tante kennen Sie,"fing sie an,"sie war gegenwärtig und hat—o, mit was für Augen hat sie das angesehen! Werther, ich habe gestern nacht ausgestanden und heute früh eine Predigt über meinen Umgang mit Ihnen, und ich habe müssen zuhören Sie herabsetzen, erniedrigen, und konnte und durfte Sie nur halb verteidigen”. Jedes Wort, das sie sprach, ging mir wie ein Schwert durchs Herz. Sie fühlte nicht, welche Barmherzigkeit es gewesen wäre, mir das alles zu verschweigen, und nun fügte sie noch hinzu, was weiter würde geträtscht werden, was eine Art Menschen darüber triumphieren würde.

Wie man sich nunmehr über die Strafe meines Übermuts und meiner Geringschätzung anderer, die sie mir schon lange vorwerfen, kitzeln und freuen würde. Das alles, Wilhelm, von ihr zu hören, mit der Stimme der wahrsten Teilnehmung—ich war zerstört und bin noch wütend in mir. Ich wollte, daß sich einer unterstünde, mir’s vorzuwerfen, daß ich ihm den Degen durch den Leib stoßen könnte; wenn ich Blut sähe, würde mir’s besser werden. Ach, ich hab’ hundertmal ein Messer ergriffen, um diesem gedrängten Herzen Luft zu machen. Man erzählt von einer edlen Art Pferde, die, wenn sie schrecklich erhitzt und aufgejagt sind, sich selbst aus Instinkt eine Ader aufbeißen, um sich zum Atem zu helfen. So ist mir’s oft, ich möchte mir eine Ader öffnen, die mir die ewige Freiheit schaffte.

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